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Der Dämon des Rennens

Eine BDSM-Geschichte von Tilbake Holdenhet.

 

Hört man von dunklen Mächten im Sport, denkt man an Doping, Wettmanipulation oder Korruption. Niemand verschwendet einen Gedanken an wirklich dunkle Mächte und noch weniger daran, dass sie in einem selbst schlummern könnten. Ich bildete da keine Ausnahme, als ich im März 2010 mit meinen vier Freunden einen skandinavischen Wintersportort besuchte. Normalerweise zog es uns zu dieser Jahreszeit in südlichere, meist von Wasser umspülte Partygefilde. Die Idee, diesen Zugtrieb einmal umzukehren und dem Schnee nachzureisen, stammte zwar nicht von mir, erfüllte mich aber mit Zuversicht.

 

Ich traf die alte Clique nur noch einmal im Jahr, da ich als Einziger nach dem Studium für den Job in eine andere Stadt gezogen war. Mit den Jahren ließ sich nicht mehr leugnen, dass ich mich nicht nur geographisch von der Gruppe entfernte. Während ich immer mit dem Wunsch, alte Zeiten aufleben zu lassen, zu den Treffen fuhr, lebten die vier einfach in ihrem Jetzt weiter. Sie trafen sich das ganze Jahr über, gingen zusammen ins Kino, zum Fußball oder auf Partys. Sie und ich entwickelten uns einfach nicht mehr auf einer Linie. In anderen Jahren hatte ich dagegen angekämpft und mir alle Mühe gegeben, mir die neuen Insidergags und Ähnliches zu merken, damit ich wieder auf dem Laufenden war, nur um im nächsten Jahr feststellen zu müssen, dass mich wieder dreihundertfünfundsechzig Tage von den Jungs trennten.

 

Der Trip in den Schnee zum Biathlon hatte Veränderung suggeriert und Hoffnung auf eine neue gemeinsame Erfahrung gemacht, auf die wir aufbauen konnten. Die Ernüchterung kam schnell, denn außer Schnee statt Sand und Pudelmütze statt Badehose veränderte sich nichts. Zu Anfang wurden mir die neuen Insidergags noch erklärt, aber, hey, wie lustig ist ein Witz, wenn er erklärt werden muss? Mit steigendem Alkoholpegel geriet ich mehr und mehr ins Abseits. Nach zwei Stunden überlauter Spaßmusik, umgeben von albern herumhüpfenden Menschen aus aller Herren Länder, hielt ich es nicht mehr aus.

Ich glaube, ich erzählte den Jungs etwas von einem Gang zum Klo. Es erschien mir unnötig, ihnen eine komplizierte Ausrede aufzutischen. Sie hörten mir ohnehin nicht mehr zu, sondern tranken Wodka und hüpften herum wie die anderen Besucher.

 

Ich trauerte der teuren Eintrittskarte keine Sekunde nach, sondern freute mich über jeden Meter, den ich zwischen die lärmende Tribüne und mich legte. Als ich den Besuchertunnel, der unter der Strecke hindurch aus dem Stadion führt, hinter mir hatte, atmete ich auf. Ich wollte zuerst zurück in unser Ferienhäuschen, doch ein Blick in die verschneite, skandinavische Waldlandschaft, ließ mich diesen Gedanken verwerfen. Ich hätte kaum über die ganze Ostsee fliegen müssen, um ein Zimmer von innen zu betrachten. So verließ ich, von den Ordnern in der Nähe unbemerkt, den offiziellen Weg und stapfte aufs Geratewohl in den Wald. 

Bald knarrte Schnee unter meinen Winterstiefeln. Die lärmende Geräuschkulisse verschwand und mit ihr meine melancholische Stimmung. Die Luft roch nicht mehr nach Rentierdöner und Alkohol, sondern strömte klar und frisch in meine Lungen, während ich in eine faszinierende Landschaft eintauchte.

Die Fichten ächzten unter ihren Schneelasten. An den Enden vieler Äste hingen Eiszapfen wie drohende Speere in der Zauberwelt eines Fantasyromans. Wenn der Wind hin und wieder sanft ein paar Schneeflocken von den Tannenspitzen blies, konnte ich ein leises, kristallenes Klingeln hören. Kitschig, ich weiß, aber in diesem Augenblick eine Wohltat. 

Plötzlich zerrissen aufgeregte Schreie die Idylle. Männerstimmen krakelten herum. Ich dachte, in eine Treibjagd geraten zu sein. Kein falscher Gedanke. Das Rennen hatte begonnen und ich hörte die Anfeuerungsrufe der Trainer und Betreuer. Das anstrengende Stapfen durch den kniehohen Schnee hatte mir eine weit größere Entfernung suggeriert. Tatsächlich war ich noch nicht wirklich weit von der Strecke entfernt. Und dann hörte ich das Schnaufen und Stöhnen der Skijägerinnen, das Sirren der in den Schnee stechenden Skistöcker und das Schneiden der Ski durch die eisige Piste.

Nun, ich war gekommen, um mir Biathlon anzusehen. So entfachte der Wunsch, hier, wo es so viel stiller war, doch noch etwas von dem neuen Wettbewerb, der Mixed-Staffel, zu sehen. Bald konnte ich das bunte Feld der Läuferinnen, die noch eng beieinander liefen, durch die Bäume erkennen und beeilte mich, an die Strecke zu gelangen.

 

Ich erreichte ein flaches Stück von vielleicht vierzig oder fünfzig Metern, das hinter einer Steigung lag und an der anderen Seite in einer Kurve mit einer Abfahrt endete. Den Anstieg belagerten die Betreuer, die dort Abstände und Informationen über die Schießleistungen an ihre Athleten weitergaben. Die Abfahrt zog Zuschauer an, die spektakuläre Abfahrtseinlagen sehen wollten. Das flache Geradeausstück interessierte niemanden.

Mir gefiel es jedoch außerordentlich. So dicht an der Strecke, wo die Läuferinnen hautnah an einem vorbeiliefen, wirkte alles viel intensiver. Im Stadion mit etlichen Metern zwischen sich und den Akteurinnen waren diese die umjubelten, aber entfernten Stars in einem Spektakel. Dort wo ich stand, liefen Menschen aus Fleisch und Blut, deren Atem dampfte, die keuchten, deren Anstrengung einfach spürbar war.

 

In den ersten Runden, die Kathrin Friedrich für Deutschland absolvierte, hatte ich mich noch ganz der Aufnahme dieser Eindrücke gewidmet, doch mit zunehmender Dauer erwachte in mir das Rennfieber. Kathrin Friedrich ergatterte den zweiten Platz und übergab an unsere Ausnahmebiathletin Anna-Lena Dreyer. Diese hatte den Abstand zur Führenden kontinuierlich aufgeholt. Hatte ich in ihrer ersten Runde nur ein bisschen geklatscht und in der zweiten ein bisschen »hopp, hopp« dazu gerufen, brach es nun aus mir heraus.

Anna-Lena hatte ihren Rückstand kontinuierlich verkürzt. Am Anstieg hatte die Führende sich noch behaupten können, aber Anna-Lena hing ihr im Nacken. Sie brauchte einfach Unterstützung. Also ließ ich alle Zurückhaltung fallen und feuerte sie lautstark mit geballten Fäusten an: »Komm schon, Anna! Die hast du. Die kann nichts mehr. Die ist blau. Los, Anna, zieh! Hopp, hopp, hopp!«

Ob diese Worte Kräfte in ihr freimachten, oder das Wachs unter den Skiern ihrer Konkurrentin in Schmirgelpapier verwandelten, kann ich nicht sagen. Auf einmal scherte Anna-Lena aus und flog geradezu leichtfüßig davon, legte spielend Meter um Meter zwischen sich und die eben noch Führende. Als sie hinter der Kurve zur Abfahrt verschwand, drehte ich mich um, um ihren Vorsprung abzuschätzen. In diesem Moment wurde mir eines schlagartig klar: Nicht nur ich bekam die Athletinnen hautnah mit, sondern sie auch mich.

D führte ihre durch tausendfaches Training eingeschliffenen Bewegungen mechanisch fort, doch ihr Kopf schien diesem Bewegungsablauf entrückt. Sie schaute mich unumwunden an. Ihre rechte Hand klappte ihre orangefarbene Rennbrille hoch. Ihre Augen fixierten mich, wie der Mafiaboss den Kronzeugen nach Verkündung des Gerichtsurteils. Ein eisiger Schauer raste über meinen Rücken, während mein Kopf vermutlich tomatenrot glühte, und ich mich in die Anonymität des Stadions zurücksehnte. Die x-beliebige Konkurrentin, das Hindernis, das Anna-Lena von der Führung abgehalten hatte, verwandelte sich auf einmal in einen Menschen, eine Frau, die sich nicht weniger anstrengte, den Sieg zu erringen.

Von einer Sekunde zur anderen schnürte Beklommenheit meine Kehle zusammen. Wie konnte ich nur so gemein sein und all meine Sympathien einer anderen schenken? Und das, wo sie so ästhetisch lief. Warum es mir vorher nicht aufgefallen war, konnte ich nicht sagen, doch im Gegensatz zur eifrig quirligen Anna-Lena wirkte Ds Laufstil elegant, gerade zu stolz. Sie schwebte, wie die Schneekönigin aus Andersens Märchen, an mir vorbei.

Ich weiß noch, dass mein Hirn mir Dinge funkte wie: »Schau doch einfach weg.« Aber ich konnte nicht. Ihre türkis leuchtenden Augen hielten mich gefangen. Die geschmeidigen Bewegungen ihres Körpers faszinierten mich, wie das Muskelspiel einer Leopardin auf der Pirsch. Es war nur ein kurzer Augenblick, in dem sie an mir vorüberlief, aber mein Herz klopfte mit einem Mal wie aufgeputscht und - ich weiß auch nicht - aber da flatterte schon so etwas wie ein kleiner Schmetterling in meinem Bauch.

Plötzlich klang das Kratzen ihrer Ski durch den Schnee vorwurfsvoll. Wenn ihre Stöcke in den Schnee stachen, schien es wie ein Ächzen. Es tat mir leid, dass sie die Führung verloren hatte; meinetwegen.

D ließ mich nicht aus den Augen, auch als sie schon vorbeigelaufen war. Erst kurz vor der Kurve wandte sie ihren Blick ab und konzentrierte sich auf die Abfahrt. 

Ich hatte noch Minuten später eine Gänsehaut und wusste nicht, ob ich mich auf ein Wiedersehen in der nächsten Runde freuen, oder ob ich es fürchten sollte. Doch es gab kein Wiedersehen. Die Frauen übergaben an die Männer.

Damit kamen die Norweger richtig stark auf und gewannen das Rennen schließlich vor Deutschland. Ds Staffel erreichte keinen Podestplatz.

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Deine Meinung

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Kommentare von Leserinnen und Lesern

25.03.2022 um 07:59 Uhr

Eine sehr schöne Geschichte, die ich vor längerer Zeit bereits in einem anderen Forum gelesen hatte. Dort hatte der Autor auch die hervorragende Geschichte "Der Schwiegermuttertraum" veröffentlicht.

Luna Ery

Förderer.

28.10.2021 um 11:51 Uhr

Ein kleines Meisterwerk im Schnee.

Diese Geschichte ist mehr als lesenswert. Tolle Idee, super geschrieben und auf jeden Fall einmal etwas ganz anderes, ich habe noch nichts vergleichbares gelesen.

Ich würde gern mehr als 4 Sterne vergeben!

Rene Raimann

Autor(in).

17.07.2021 um 14:44 Uhr

Gefällt mir, diese Geschichte!

Schöne Idee, schöne Atmosphäre!

Die Sprache flutscht - ohne Stolpersteine!

 

Interessanterweise (... naja, vermutlich nur für mich selbst "interessant"...) kam mir beim Lesen hie und da dein Schreibstil eigenartig vertraut vor. Fast so, als könnten bestimmte Formulierungen auch aus meiner Tastatur gequollen sein... Aber das nur nebenbei.

Aiko Schwarzmeier

Gelöscht.

23.05.2021 um 13:13 Uhr

Eine schöne Geschichte, die es verdient hat, gelesen zu werden

Ranja

Gelöscht.

19.05.2021 um 00:00 Uhr

habe den Text genossen. Dankeschön!

Nachtasou

Autor. Korrektor.

03.05.2021 um 21:49 Uhr

Bester Tilbake Holdenhet,

ich habe die Geschichte in einem Rutsch mühelos und mit Genuss durchgelesen. Die Konstruktion lässt keine Wünsche offen, das imponierte mir am meisten, mitsamt ihren Überraschungsmomenten. Zudem hat diese seltsam fremde Sinnlichkeit einer Sportlerin vor meinem Auge Körpergestalt angenommen.

Meine Vorurteile ggü Biathlon und russische Leistungssportlerinnen lasse ich lieber mal beiseite, denn erfreulich ist, wenn eine Geschichte den eigenen Blick verändert.

Da kann ich nur sagen: Dawaj, dawaj.

Devil Cat

Gelöscht.

03.05.2021 um 11:53 Uhr

Es ist immer wieder ein Vergnügen deine Geschichten zu lesen.

Das Eintauchen in eine andere Welt, diese unglaublichen Beschreibungen der Landschaft

und die sehr gut nachvollziehbaren Beschreibungen von den Charakteren,

als würde man sie eine Ewigkeit kennen.

Das knistern in verschiedenen Situationen lässt die Spannung weiter steigen

und auch das Ende ist immer wieder einmal eine Überraschung.

Ich hab jetzt weniger auf die Form geschaut, geschweige denn auf Fehler,

das ist für mich auch unmöglich, wenn man von einer Geschichte so gefangen wird!

Vielen Dank für dieses Schriftwerk!

famulus severus

Förderer.

27.04.2021 um 22:30 Uhr

märchenhaft schön

Gelöscht.

18.04.2021 um 16:00 Uhr

V

Andreas V

Gelöscht.

16.04.2021 um 18:20 Uhr

Wundervolle Geschichte - hätte 5 Sterne verdient. oder eine Goldmedaille

Berücksichtigt wurden nur die letzten Kommentare.

Zu allen Beiträgen im Forum zu dieser Veröffentlichung.