Stille Nacht, heilige Nacht
Eine Bondage-Geschichte von Knurrwolf.
Ein sanfter Wind trieb große Flocken aus Schnee aus der Dunkelheit und gegen das Fenster, wo diese für Sekunden verweilten, bevor sie an der warmen Oberfläche entlang glitten und ihren Geschwistern auf dem Fensterbrett Gesellschaft leisteten. Dutzende folgten ihnen in kurzen Abständen und doch lief der ganze Prozess fast lautlos ab. Von jenen ungehört, die sich auf der anderen Seite des Glases befanden und dort ihren Abend verbrachten.
Die Konzentration des Mannes, der derzeit vor dem Weihnachtsbaum kniete, wurde im Moment jedoch sowie durch etwas anderes gefangen als von fallendem Schnee. Schulterlanges, dunkelbraunes Haar rahmte ein wettergegerbtes Gesicht ein, das durch einen sauber gestutzten Vollbart vollendet wurde. Hosen aus braunem Wildleder, wie sie zu einem Jäger passten, umhüllte eine muskulöse Gestalt, die ansonsten unbedeckt war. Doch damit trug er schon weit mehr als die Frau, die vor ihm lag.
Mit geübter Hand löste Liam die Juteseile, die ihre Gestalt bis jetzt umschlungen hatten. Bis vor kurzem waren sie noch eine Verlängerung seines eigenen Körpers gewesen, doch nun bedeuteten sie ihm wenig. Rasch lösten sich die verschlungenen Muster, die er zuvor mit so viel Geduld und Präzision geformt hatte, und enthüllten Spuren auf der hellen Haut darunter. Für das Zusammenlegen gab es eine bessere Zeit, also landeten die Seile formlos in dem Weidenkorb neben dem großen Sofa.
„Wie geht es dir?“, seine Frage begleitete er damit, dass er das Meer aus roten Strähnen zurück drängte, um ihr Gesicht besser sehen zu können. „Bist du schon wieder bei mir?“
Doch als sein Blick Cailins Augen suchte, fand er diese glasig und unfokussiert vor. Unwillkürlich kamen die Bilder an ihre erste Begegnung aus den Tiefen seiner Erinnerung hervor, ließen ihn schmunzeln. Im Gegensatz zu jenem Tag war es diesmal nicht der Alkohol, der sie betrunken gemacht und ihren Geist vernebelt hatte. Trunken war sie jedoch, daran bestand kein Zweifel. Doch diesmal war die Schuld bei ihm zu finden, bei ihm und den Seilen, die sie bis eben noch zur Unbeweglichkeit verdammten.
„Nick einmal, wenn alles okay ist“, seine Forderung kam in einem sanften, aber bestimmendem Tonfall, der eine Antwort verlangte.
Diese erhielt er wenig später, als sie leicht den Kopf bewegte und dabei ein Geräusch von sich gab, das ihn mindestens genauso erleichterte, wie die Bewegung selbst.
„Das war das letzte Seil“, kommentierte er sein Vorgehen, bevor das erwähnte Stück bei den anderen im Korb landete. „Es wird Zeit für dein Fell, Kitz.“
Lange vor ihrem Spiel war alles von ihm bereitgelegt worden, dass sie für ihre gemeinsame Aktivität brauchten. Zielsicher und ohne den Blick von ihr abzuwenden, fand Liams Hand die weiche Decke, nur um sie kurz darauf darin einzuhüllen. Bei weitem nicht die einzige im Haus, handelte es sich bei dieser doch um ihre Lieblingsdecke. Ein flauschiger Mantel aus braunem Kunstfell, der so wirkte, als hätte man ihn direkt vom Rücken eines Hirsches geschnitten. Im wahrsten Sinn des Wortes also ein Fell für sein nacktes Rehkitz.
Mochte ihr Blick auch zeigen, dass ihr Geist noch nicht wieder ganz klar war, so reagierte Cailin doch bereits auf seine Aktivitäten. Ein wohliger Laut entwich ihrer Kehle, als sie in die Decke gerollt wurde und mit einem entspannten Seufzen, bei dem ihm das Herz aufging, kuschelte sie sich eng an ihn, als er sie vom Boden hob.
Entspannt ließ er sich im nächsten Moment mitsamt diesem angenehmen Bündel auf das Sofa sinken. Zu oft war diese Bewegung wiederholt worden, sodass es nur ein paar wenigen Korrekturen bedurfte, bevor Liam angenehm saß. Den Rücken gegen den alten, aber gepflegten Stoff der Rückenlehne gedrückt und ihre in die Decke gewickelte Gestalt in seinem Schoß.
Für endlose Minuten lauschte er einfach nur ihrem Atem, um sicher zu gehen, dass alles in Ordnung war. Erst als dieser tief und ruhig wurde, griff Liam zur Seite. Die Pfeife lag gestopft bereit, sodass er sie nur noch zwischen die Zähne klemmen und entzünden musste. Dieser Teil des Rituals gehörte ebenfalls seit ihrer ersten Begegnung dazu, war ebenso oft wiederholt worden wie alle anderen Schritte, doch genauso wenig zur stupiden Routine geworden.
Kurz zischte das Streichholz, entfachte den Tabak, bis dieser wenig später im hölzernen Kopf der Pfeife gloste. Sanfte Finger aus Rauch erhoben sich daraus, zogen in der ruhigen Luft des Zimmers entlang, bis sie sich um den Weihnachtsbaum sammelten. Dieser war durchschnittlich groß, nicht mehr geschmückt als er tragen konnte und ruhte mit der majestätischen Eleganz eines Tannenbaums in der Ecke neben dem Fenster. Mochte es auch unromantisch wirken, so wurde er doch durch elektrische Kerzen beleuchtet, um Unfälle während der Bescherung und auch danach zu vermeiden. Trotzdem trug er zu der besinnlichen Stimmung bei, die jetzt in diesem Haus herrschte.
Ein Geräusch riss Liam im nächsten Moment aus der Betrachtung des Baumes, bis er es zu einem Punkt zurückverfolgte, der sich hartnäckig zwischen der Decke und einer Flut aus roten Haaren zu verstecken suchte. Doch schließlich fand der geübte Blick die Quelle, die ihn jedes Mal erneut zum Lächeln brachte. Cailin glich nun mehr einem Häschen, wie ihre Nase zuckte und schnüffelte, als sie den Geruch seiner Pfeife erkannte. Eine sichere Methode, sie mit etwas Bekanntem zur Ruhe oder zu Verstand kommen zu lassen. Auch wenn das kaum verständliche Gemurmel Letzteres noch bezweifeln ließ, doch kannte er sie inzwischen gut genug, um nicht mehr zu brauchen.
„Müde, kalt und ein wenig hungrig“, übersetzte er mit erleichtertem Humor, bevor er die Pfeife aus dem Mund nahm, um sie auf die Nasenspitze zu küssen. „Fühlst du dich noch wach genug, um die beiden Letzteren zu bewältigen, Kitz?“
Erneut wartete Liam auf ihr Nicken und als dieses kam, griff er zur Seite. Eine große Tasse wurde in ihrem Schoß platziert, vorsichtig aus der Thermoskanne mit heißem Tee befüllt und schließlich zu ihrem Mund geführt.
Ihren ersten Protest über seine Fürsorglichkeit ignorierte er gekonnt, ließ aber zu, dass ihre Finger die seinen beim Halten der Tasse unterstützten. Aufmerksamkeit beobachtete er, wie Cailin trank und schließlich mit einem entspannten Seufzer erneut gegen ihn sank. Nachdem er die Tasse wieder zur Seite gestellt hatte, gab Liam sich erneut dem behaglichen Gefühl ihrer Nähe hin. Genoss die Art und Weise, wie sie sich enger an ihn kuschelte, während auch er zur Ruhe kam.
Dies war stets der letzte Teil jenes besonderen Geschenkes, das sie ihm immer wieder aufs Neue machte. Das Vertrauen, sich bei ihm fallen lassen zu können und die Gewissheit, dass er sie auffangen würde. Dass ihm ihr Wohlergehen ebenso wichtig war wie ihr sein Wille. Natürlich bekam dieses Geschenk durch den heutigen Tag noch eine ganz besondere Bedeutung.
Und bevor Cailin nun endgültig wegdösen konnte, küsste Liam sie sanft auf die Lippen und flüsterte leise: „Frohe Weihnachten, Kitz.“