Ach du meine Güte. Das Jahr wieder fast rum. Was für ein Jahr. Geschenke - gestrichen. Sonstige Einkäufe - gestrichen. Fröhliche Treffen mit allen Freunden, bei einem rauschenden Jahresausklangsfest - gestrichen. Aber einen Kalender, wenigstens einen Kalender! Mit goldenem Glitzer. Mit versteckten Preziosen. Mit aufregenden Überraschungen! Wie soll man denn sonst runterzählen, dass das elende 2021 endlich durch ist, und wir in das gloriose, befreite, fröhliche 2022 starten können!
So - oder so ähnlich - blitzt es Steffi durch den Kopf, am ersten Tag, an dem sie Zeit hat, ihren morgendlichen Kaffee zu trinken, ohne auf die Uhr zu sehen. Und das ausgerechnet an einem trüben Novembermittwoch. Gerade heute bräuchte sie dringend Wärme. Also irgendwen, der sie wärmt. Wie auch immer.
Sie überlegt, ob sie sich irgendwo schnell ihren Corona-Booster holen kann. In der Hoffnung, dass ein freundlicher, gut aussehender Arzt ihr wenigstens einen kleinen Schmerz zufügt. Ok, nur ein Pieks, nicht das, was sie sich eigentlich wünscht. In der Hoffnung, dass sie sich dann mit gutem Gefühl mit Anderen treffen kann, die wirklich wissen, wie man sie zum Gleiten bringt. Hoffnung ...
Verdammt. Steffi verbrennt sich fast die Zunge, weil sie den Rest Kaffee auf einmal runterstürzt. Sie hat eine Idee. Sie wird sich einen Kalender basteln, einen ganz und gar ungewöhnlichen. Sie zieht die Leiter aus und klettert auf den Dachboden, der monatelang keine spitzen, kleinen Schmerzlustschreie mehr gehört hat. Gott, hier könnte man mal aufräumen, oder? Am Kreuz würde man sich einen staubigen Po holen! Und eine halbe Stunde hier knien, in den Flusen? Die Peitschensammlung sieht aus, als würde sie Pig Pen gehören, dem Jungen von den Peanuts, der immer von einer Schmutzwolke verfolgt wird.
»Steffi!«
Booom! Ein Kommando. Eine Erinnerung aus einer langen, dunklen, fiebrigen Nacht. Eine Stimme, die für immer in ihrem Kopf verankert ist. Die ihr Schauer über den Rücken jagt und alle ihre Sinne auf das Kommende lenkt. Auf das Unvermeidliche. Auf den langen, steilen Weg hinunter. Dahin, wo ihre Lust wie ein lange nicht gefüttertes Raubtier auf sie lauert.
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