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Päckchen tragen

Eine BDSM-Geschichte von Noras Marie

Platz 1 im Schreibwettbewerb "Das Päckchen" (Link).

 

Frau Heigerlein kommt aus dem Supermarkt, in beiden Händen schwere Papiertüten. In einer davon das Fleisch für die kommende Woche, Rindsgulasch, Schweinebraten, Bratwürste, ein Huhn, etwas Gemüse, nur wenig, denn das mag er nicht so gern, der Herr Heigerlein, lieber Knödel dazu oder Pommes. Auch davon ist ein Kilogramm dabei. In der anderen Tasche das Bier für Herrn Heigerlein, zwölf Flaschen Ottakringer. Und ein Liter Milch für sie selbst. Macht sieben Kilo links und sieben Kilo rechts. Die Taschen schneiden tief in Frau Heigerleins Hände. Aber jeder muss sein Päckchen tragen.

Draußen regnet es. Das ist dumm, denkt Frau Heigerlein, jetzt habe ich keine Hand frei für den Schirm. Und ich kann die Tüten auch nicht niederstellen, sonst weicht das Papier auf und die Tüte zerreißt und das Fleisch liegt auf der Straße, oder noch schlimmer, die Bierflaschen zerschellen am Asphalt. Das würde Schelte geben und nicht zu gering. Also stell dich nicht so an, Anita, vergiss den Schmerz in deinen Händen, geh halt schneller. Ein jeder muss sein Päckchen tragen.

Ich muss noch in die Apotheke, denkt Frau Heigerlein und freut sich, trotz der langen Wartezeit im Regen, denn die Ampel hat gerade auf Rot geschaltet, und nun steht sie da und der Regen durchweicht ihre Bluse, man sieht schon den BH darunter, peinlich ist das. Aber trotzdem freut sich Frau Heigerlein, dass ihre Bluse nass vom Regen ist und sie in die Apotheke muss. Herr Heigerlein hat dort etwas bestellt, das muss sie abholen. Er wollte nicht sagen was, und sie hat nicht genauer nachgefragt. Ein Päckchen, das sie jetzt nachhause tragen wird.

Endlich springt die Ampel auf grün. Ein junges Mädchen, fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, wer kann das schon sagen bei den Kindern von heute, fährt auf einem Skateboard an ihr vorbei, rempelt sie an und springt mit ihrem Rollbrett auf den Gehsteig. Dort dreht es sich um, sieht zurück und ruft eine Entschuldigung. Es hat rotes Haar und eine Baseballkappe auf dem Kopf. Nichts passiert, denkt Frau Heigerlein und lächelt das Mädchen an, aber das ist schon wieder davon. Einen Rucksack trägt es über seinen Kapuzenpullover, da steht Fuck off! drauf. Das ist sein Päckchen, das es zu tragen hat.

In der Apotheke stehen sechs Leute an. Alle beim jungen Herrn Magister, der erst seit kurzem da ist. Ein schöner Mann, denkt Frau Heigerlein, hochgewachsen, breite Schultern, ein freundliches Lächeln. Auch Franz sah einmal so aus. Wie lange mochte das nun her sein? Achtundzwanzig Jahre? Dreißig? Er war nett, konnte gut tanzen, wollte hoch hinaus. Kam er ja auch, dann später, mit der Zeit. Jetzt ist er Filialleiter. Ein Job mit großer Verantwortung. So hat jeder sein Päckchen zu tragen.

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Kommentare von Leserinnen und Lesern

Robert S

Autor.

11.11.2023 um 04:19 Uhr

geändert am 11.11.2023 um 05:43 Uhr

Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Das Wettbewerbsthema als Gleichnis umzusetzen, Episoden einzuspinnen, diese gleichzeitig miteinander zu verknüpfen, dazu die fast lakonische sprachliche Umsetzung und eine gut eingeleitete, krachende Pointe am Ende zu schreiben, empfand ich als erfahrene, sehr gut gemachte Arbeit. Ich gratuliere zum Ersten Platz.

Noras Marie

Autorin.

10.11.2023 um 14:50 Uhr

Danke schön liebes Hexlein.

In der Tat ist es hier sehr morbid. Allein der Zentralfriedhof hat mehr "Bewohner" als die ganze Stadt! Und ist noch dazu wunderschön!

Ich wünsche dir, dass die Päckchen, die du trägst, etwas leichter werden...

hexlein

Autorin.

10.11.2023 um 14:35 Uhr

Liebe Marie,

 

zuerst einen großen  für den ersten Platz in dem Wettbewerb, den Du Dir redlich verdient hast mit dieser Geschichte.

Päckchen tragen..ja, jeder hat sein Päckchen zu tragen. Mal große, mal kleine, mal wechseln sie auch im Laufe des Lebens, weil wir den Inhalt entrümpeln können und damit das Päckchen wieder leichter machen können. 

Beim ersten Lesen Deiner Geschichte, gleich nach der Veröffentlichung, da hat mich das "Päckchen tragen" gestört. Als ich die Geschichte dann aber ein zweites Mal las, da habe ich in Gedanken sogar noch an anderen Stellen diese Phrase eingesetzt.

Du siehst also, dass das von Dir gewählte Stilmittel sich sogar verselbständigen kann bei dem ein oder anderen.

 

Der Plot der Geschichte ist ein wenig ... sagen wir mal... makaber. Aber was  kann man in der Beziehung schon von einer Wahlwienerin erwarten, die sicherlich den leicht morbiden Charme der Bewohner dieser Stadt gerne aufgenommen hat. Ich mag es.

 

Noras Marie

Autorin.

10.11.2023 um 14:15 Uhr

Dankeschön, liebe Grenzforscherin!

Und herzlich willkommen auf den Schattenzeilen auch von mir.

(Falls dir mal irgendwelche unerforschte Grenzen unterkommen - ich bin dabei!)

10.11.2023 um 03:36 Uhr

Mir gefällt Deine Art zu schreiben. So viele kleine Überraschungen in der Geschichte… hat mir Spaß bereitet. 

Dankeschön.

Noras Marie

Autorin.

05.11.2023 um 13:17 Uhr

Danke Tante Queeny

Fürs Mutmachen, fürs Da-sein, fürs Marie-Aushalten, für überhaupt alles...

Ich hab dich auch lieb ❤

Queeny

Förderer.

05.11.2023 um 10:00 Uhr

Liebe Marie

Lasse dich bitte nicht verunsichern, von der Kritik auf sehr hohen Niveau. 

Du hast eine tolle, stimmige Geschichte geschrieben, die genau so geschrieben werden musste. Diese Geschichte hat so viel Charme, deshalb wurde sie genau so wie sie ist, auf den ersten Platz gewählt.

Dein feiner Humor, die präzisen Beschreibungen deiner Protagonisten und ihrem Umfeld, man hatte dieses Grätzl vor Augen.

 

Nochmals herzlichen Glückwunsch zum

 1. Platz !

 

Ich Danke dir! Hab dich lieb Queeny 

Noras Marie

Autorin.

03.11.2023 um 08:46 Uhr

geändert am 03.11.2023 um 09:04 Uhr

Danke, Wodin.

Ich weiss dass ich mit dem Refrain vom Päckchen tragen für manche knapp an den Rand des Erträglichen gegangen bin. Aber ein bisschen wollte ich das auch, um zu zeigen, wie sehr so ein "Glaubenssatz" nervt - erst recht, wenn du ihn von früh auf immer wieder hörst. Und schliesslich auch glaubst, dass die Packen, die dir andere aufhalsen, tatsächlich deine Päckchen sind.

Die Frau Drachenlady hat das exakt auf den Punkt gebracht. Mir scheint, du hast mit ihr das gleiche Glück, wie ich mit Nora.

Noras Marie

Autorin.

03.11.2023 um 08:28 Uhr

geändert am 03.11.2023 um 08:34 Uhr

Danke, Frau Drachenlady

Ihr Lob ist eine grosse Ehre für mich!

Drachenlady

Autorin. Förderer.

02.11.2023 um 21:00 Uhr

Eine Geschichte, die einen mitnimmt in einen eher tristen Alltag, der einem nur allzuoft bekannt vorkommt. Vielleicht nicht unbedingt aus eigener Erfahrung, aber doch immer wieder gesichtet im persönlichen Umfeld. Paare, die man kennt und die genausogut in dieser Geschichte ihren Platz finden könnten. Eine Erzählung aus dem Leben gegriffen, Personen und Situationen so kurz wie treffend beschrieben. Die typisch wienerische(?) morbide Wendung zum Schluß, die dazu führt, dass sich eine gewisse Genugtuung einstellt und einem das Beste für Fr. Heigerlein hoffen lässt. All das macht für mich die Geschichte rund. Ein Setting, dass in der Realität durchaus vorkommen kann. Und trotz aller Tristesse ein, wenn auch etwas makabres, Happy End bereithält, zumindest für die „Überlebende“. Ein berechtigter Platz 1, wie ich finde.

Und daran trägt für mich das penetrante Wiederholen dieses „Päckchen tragen“ einen nicht unwesentlichen Anteil. Gerade dieses ständige Wiederholen ist für mich ein absolut passendes Stilmittel, ein gelungener rhetorischer Kniff, um die Eindrücklichkeit noch mehr zu vertiefen. Ich halte es daher für ein gut gewähltes Stilmittel, um dieser vielzitierten und so häufig leicht dahergesagten Phrase ein entsprechendes Gewicht zu verleihen. Wie auch von TekWolf schon erwähnt, hat das vor allem im Kontext mit dem Thema des Wettbewerbs absolut seine Berechtigung.

Würde man die Wiederholungen weglassen und vielleicht nur am Anfang ein paar Mal erwähnen, hätte dies längst nicht den gewünschten verstärkenden Effekt.

Aber klar, da kann man natürlich unterschiedlicher Meinung sein.

Zitat Poet:

Ein aufmerksamer Leser wird ihn an den passenden Stellen selbst ergänzen,  da die Beispiele förmlich danach lechzen. Das ständige Wiederholen wirkt wie ein An-den-Haaren-Packen des tumben Lesers, dem man den Kopf immer wieder in die Soße drückt. Einmal wiederholt würde der Leitsatz dieser Story völlig ausreichen und den Leser ernst nehmen, der so tumb meist doch nicht ist!

Sehe ich anders. Wenn man davon ausgehen möchte, dass der oben zitierte „aufmerksame Leser“ die passenden Stellen gedanklich selbst ergänzt, so könnte man sich im Prinzip eine ganze Menge (Schreib-)Arbeit sparen. Und ob dessen eigene gedankliche Ergänzungen dann tatsächlich der Vorstellung des Autors bzw. der Autorin entspricht, wage ich zu bezweifeln. Zu unterschiedlich sind oft die Interpretationen von Geschichten, ausschließlich abhängig von der Person, die liest. Was dem einen völlig logisch und stimmig erscheinen mag, ist für den anderen das exakte Gegenteil. Wie oft wird diskutiert, was denn wie gemeint war, weil eben nicht alle automatisch das Gleiche in einer Geschichte sehen und darüber denken.

 

Für viel bedeutsamer halte ich aber, dass gerade die Annahme, man könne doch schließlich von etwas ausgehen, weil es einem persönlich völlig logisch erscheint (“die Beispiele förmlich danach lechzen“) sich tatsächlich in der Realität der geschriebenen Kommentare leider durchaus häufig als komplett irrig erweist. Da werden zum Beispiel Märchen(!) als „unrealistisch“ abgekanzelt, Science Fiction an heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen gemessen, der Inhalt von Fantasy-Geschichten wenig schmeichelhaft als „hanebüchener Unsinn“ tituliert, nur weil man damit nichts anfangen kann. Mit derart widersinnigen Aussagen (im Hinblick auf das Thema der Geschichten) hat sicher keiner der Verfasser gerechnet. Wie die Ergänzungen durch solche Leser dann wohl aussehen würden?

Berücksichtigt wurden nur die letzten Kommentare.

Zu allen Beiträgen im Forum zu dieser Veröffentlichung.