Druckpunkt
Eine BDSM-Geschichte von Timothy Truckle
"Es ist härter, ins Leere zu fallen, als auf dem Boden aufzuschlagen."
Andrea Mira Meneghin
Man nimmt eine Waffe in die Hand, richtet sie auf ein Ziel und krümmt den Zeigefinger. Die ersten Millimeter sind kaum zu spüren, dann kommt ein Widerstand: der Druckpunkt. Er ist die letzte physische Grenze, wird sie überschritten, rast die Kugel aus dem Lauf. Trifft sie, wird sie etwas zerstören: eine Flasche, eine Zielscheibe, einen Kopf und manchmal auch ein Herz. Ein Profi weiß das, und auch, dass nicht nur Waffen einen Druckpunkt besitzen.
Suchte man seinen? Sinnend blickte Mike Simmons zu dem Treiben auf dem nur knapp einen halben Kilometer entfernten Oslofjord. Die norwegische Mittsommernacht draußen lief zur Hochform auf, Yachten legten ab oder kehrten in den Hafen zurück, die Decks bunt erleuchtet und Musik klang herüber. Männer, Frauen und die, die sich da nicht so sicher waren oder es nicht sein wollten, tanzten nach dem hämmernden Dröhnen der Beats. Niemanden schien der leichte Regen zu stören.
Sein Fenster reichte vom Fußboden bis zur Decke und zog sich über die ganze Front des Wohnzimmers hinweg. Der Ausblick durch die Wand aus Glas war atemberaubend. Nur Ragnar Borg hatte einen Besseren, dessen Haus ragte von einem Felsen ein paar Meter bis über den Fjord. Die Firma ließ sich die Unterbringung ihrer Spitzenkräfte etwas kosten. Die Schlachten, die NordicSF nicht nur an den Börsen schlug, entschieden über das Schicksal von Millionen Menschen. Hakonsen, der große Boss, saß irgendwo auf der Welt in einem seiner sieben Nordic-Tower und kümmerte sich nicht um die Belange der „Erdlinge“, wie er sie nannte. Er war Forscher mit Leib und Seele.
Mit eiserner Hand führten Wielander und Mikkelsen den Konzern in seinem Auftrag und Borg war der Mann, der aufflammenden Widerstand brach. Ihn hätte man in kleine Stücke hacken können - worüber einige Leute mehr als nur glücklich gewesen wären - und trotzdem würde sich jedes einzelne davon noch seinen Weg bis ganz nach oben bahnen und jeden niedermachen, der ihm dabei im Weg stand. In der Wahl seiner Mittel war er weder zimperlich noch sonderlich subtil und wenn Captain Mike Simmons gelegentlich ein Veto einlegen wollte, lachte Borg nur rau.
Nicht so beim letzten Mal. Zwei Wochen war das her. Eisig hatte Borg aus stahlgrauen Augen den Captain angeblickt. „Sie lieben schnelle Autos, scharfes Essen und böse Frauen, sagt mir Ihre Akte. Mein Gefühl sagt mir, dass eines davon Sie umbringen wird. Passen Sie ein bisschen mehr auf sich auf, Captain. Gute Leute verliere ich nicht gern.“ Für Borgs gewöhnliche Wortwahl war das wie eine Quantenverschlüsselung für das, was er tatsächlich gemeint hatte. Mike Simmons hatte es trotzdem verstanden: Borg zweifelte an seiner Loyalität.
Gestern war jemand in seiner Wohnung gewesen und Mike Simmons fragte sich, ob Borg den Befehl dazu gegeben hatte. Niemand sonst, der nicht gerade Todessehnsucht verspürte, würde der Wohnung eines Captains der Spezialtruppen von NordicSF einen Besuch abstatten, wenn der Hausherr nicht anwesend war. Nichts war verändert worden, keine sichtbaren Spuren waren vorhanden und selbst die elektronische Türkontrolle zeigte den korrekten Zählerstand. Trotzdem hatte der Captain das Gefühl, dass jemand in seiner Abwesenheit in seiner Wohnung herumgeschnüffelt hatte, und sein Gefühl hatte ihn noch nie getäuscht, wenigstens nicht in dieser Hinsicht.
Einst war er Kampftaucher gewesen und genau dieser Instinkt war es gewesen, der ihm mehr als nur einmal den Hals gerettet hatte. Damals hatte er sich eingebildet, nicht schlechter zu sein als die amerikanischen Marines. Lange her war das, aber an den Schmerz erinnerte er sich noch und daran, dass er geprahlt hatte, er könnte jeden aushalten. Vielleicht hatte das auch gestimmt, damals wenigstens. Die Ausbildung machte so etwas mit den Männern.
Zehn Jahre später, kurz nach seiner Entlassung aus dem aktiven Dienst, hatte es eine Frau genau wissen wollen. Sie hatte nichts weiter als ein Paar Handschellen, sein ‚Ja‘ und dann die Daumen und Zeigefinger ihrer Hände gebraucht und keine Ausbildung der Welt hätte ihn auf das vorbereiten können, was in jener Nacht geschehen war. Erst hatte er geschrien, dann nicht einmal mehr das gekonnt und zum Schluss hatte er in ihren Armen geheult wie ein Schlosshund. Am Morgen danach war sie gegangen. Statt ihrer war die Leere gekommen und sie dauerte bis heute an. Verdammte zwei Jahre war er ihren Spuren gefolgt, dann hatte er sich die von ihr geweckten dunklen Träume da herausgerissen, wo andere ein Herz hatten.
Seit damals ließ er sich nur noch auf Frauen ein, die aufregend angezogen waren, schnell zur Sache kamen, nicht viel redeten und unten liegen wollten. Ansonsten machte er einen Bogen um sie. Er traute seiner dunklen Seite nicht mehr und wollte nicht enden wie David Carradine: in einem Schrank, mit einem Seil um Hoden und Hals und blau heraushängender Zunge. Hätte ihn Borg vor die Wahl gestellt, in den Lauf seines Sturmgewehrs oder aus nächster Nähe in die Augen einer Frau zu blicken, die mehr wollte als 08/15-Sex - Captain Simmons hätte die Waffe gewählt. Bei einem Sturmgewehr wusste er, was geschah, wenn der Abzug gedrückt wurde.
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