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Who Can Say

Eine BDSM-Geschichte von Jona Mondlicht.

Als Hörtext verfügbar.

Bild: Midjourney

 

Diese Geschichte widme ich allen Opfern, deren Angehörigen und allen Menschen der Welt, die am 11. September 2001 von dem grauenvollen Terroranschlag auf New York betroffen waren.

 

 

Ihr Himmel ist grau. Er hat sich eingetrübt in einem Moment, der an ihr vorüberstrich, ohne dass sie bemerkt hätte, wie dunkel es um sie geworden war. Ein einziger, kurzer Moment. Seitdem sinkt trauriger Nieselregen in ihre wunde Seele und lähmt ihre Sinne.

Sie hat sich einen unscheinbaren Platz gesucht auf dem Fußboden, höher mag sie nicht sitzen. Die Zeit ihrer großen Flüge ist vorüber. Ihre Hände ruhen flach auf dem Boden, ergeben, resignierend, und sie ahnt, dass sie sich nie wieder erheben wird.

 

»Who Can Say...«

 

Sie hat seit Tagen nicht mehr schlafen können. Die dunklen Grübchen unter ihren Augen schimmern feucht, weil sie weint. Weil sie seit Tagen weint. Nicht nur aus ihren Augen, sondern auch mit ihrer Seele.

Eine kleine Kerze spendet ihr Licht. Es reicht nicht, um in die tiefe Nacht hinein zu leuchten, die sie umgibt. Ein hilfloses, einsames Flackern in endloser Leere. Es gibt nichts Wirkliches, was es zu sehen lohnt.

 

»Who Can Say...«

 

Ihr Blick führt ins Leere. In Gedanken ziehen die Bilder an ihr vorüber, die sie noch erreicht haben, bevor es Nacht wurde.

Ein Vogel streicht lautlos durch die Luft zwischen gespenstischen Skeletten aus Eisen und Beton. Eine Wüste aus staubigem Schutt, über der eine Ruhe liegt wie nach einer letzten, verlorenen Schlacht. Immer und immer wieder hört sie die flehenden Rufe der Verlorenen, die oberhalb des Feuers eingeschlossen waren. Immer und immer wieder sieht sie, wie sich aufgebende Menschen vom Himmel fielen. Immer und immer wieder. Es hilft nicht, die Augen zu schließen. Das hat sie bereits gelernt. Sie entkommt den Bildern nicht. Immer und immer wieder.

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Kommentare von Leserinnen und Lesern

23.07.2024 um 09:05 Uhr

Ach Jona, warum musste ich gerade heute über diese berührende Geschichte stolpern? Jetzt muss ich weinen.

 

Ich weiß noch genau, wo ich war, als die Nachrichten im Fernsehen live zu sehen waren - in einem BDSM-Chat. Und die Tragweite der Ereignisse warf mich beinah um.

 

Heute verstehe ich auch die leisen Tränen der Frau, denn auch ich habe sie vergossen. Und wäre sie keine fiktive Gestalt, würde ich ihr zurufen wollen, dass das Halsband natürlich immer dem gehört, der es verlieh, aber dass die Zukunft dennoch keine verschlossene Schatulle bleiben muss. Who can say...

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23.07.2024 um 08:50 Uhr

geändert am 23.07.2024 um 08:52 Uhr

Nachtasou,

 

wow, die Geschichte werde ich noch lesen, aber dein Kommentar dazu hat mir für ein paar Momente sinnbildlich den Atem geraubt, so tief und treffend empfand ich ihn.

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Nachtasou

Autor. Korrektor.

23.07.2024 um 00:54 Uhr

geändert am 23.07.2024 um 00:56 Uhr

Ich stieß eben auf den Text, der zur Diskussion stehen wird. Er wird zufällig ausgewählt. Ich hätte ihn nicht ausgewählt, weil es nichts zu diskutieren gibt. Aber etwas anderes: Nicht nur ich werde mich an diesen Tag erinnern; jedoch nicht an 9/10 und nicht an 9/12. Das haben schlechte Nachrichten so an sich. Sie ziehen nicht nur eine Gedächtnisspur, sondern verursachen einen Riss oder gar einen Bruch in der zeitebenen Gedächtnisfläche.

Das sind so Momente, wo Worte zu kurz greifen, sondern Rituale wie ein Auffangbecken den Dammbruch auffangen sollen. Die Kerze in der Geschichte zum Beispiel. Das Geschenk, das zurückgelegt wird, sogar in der Steinzeit schon mit ins Grab gegeben.

Auch in der Geschichte sind die zwei Gesichter der Trauer eingefangen: die Trauer der Zurückgelassenen oder gar sich verlassen Fühlenden um sich selbst (Selbstmitleid), und die Trauer um die Gegangenen. Deswegen hat man zwei Augen und zwei Tränendrüsen.

Rituale können helfen, wo Worte versagen. Rituale, über die man in guten Zeiten vielleicht die Nase rümpft, solange man zu den Verschonten gehört.

Das ist vielleicht die Verbindung zum BDSM, denn auch dort haben Rituale ihr Zuhause. Jeder Text auf diesen Seiten ist nur ein Versuch, etwas einzufangen, das nie endgültig und perfekt zu beschreiben wäre.

 

Wir sehen die Nachrichten und hören Zahlen von Opfern. Sind 20.000 doppelt so viel wie 10.000? Der Text verweist darauf, dass hinter der Vielzahl immer Einzelfälle sind, die nicht addierbar sind. Und vor allem: auch nicht gegeneinander aufrechenbar. Auch heute ist der Kummer groß in der Weltpolitik. Ein Kind ist ein Kind, ein Partner ist ein Partner, ein Vater ist ein Vater …

Die EINS ist nicht die Hälfte der zwei. Und nicht ein Drittel der drei. Nur in der Rechenkunst ist das so. Die eins ist alles. Das hat sogar theologischen Gehalt; für den, der´s mag (und Monotheist ist).

Das Gegenüber ist alles. Besonders als Einzelfall. Ein Volk kann man nicht lieben, das wäre irrwitzig. Eine Ideologie auch nicht, das wäre vernarrt.

 

In der Geschichte wirbelt die Rose Staub auf. Manchmal tut das gut.

Meine erste Beerdigung, die ich erlebte, schockierte mich als Kind, weil im Anschluss, spät abends nach den Anekdoten und reichlich ´sprituellen´ Getränken gelacht wurde und noch später sogar Ausgelassenheit herrschte. Der Hauptperson hätte das gefallen, erfuhr ich später.

Die Überlebenden sollen weiterleben, und zwar möglichst gut, weil das im Sinne derer ist, denen das ab heute versagt bleibt.

Später kommt ab und zu die Trauer, manchmal auch die eigene Angst vor der eigenen Zerbrechlichkeit und mehr noch der der Liebsten und Anvertrauten.

 

Und da „Who knows …“  in einem erotisch ausgerichteten Forum steht:

Libido ist nicht nur sexuelle Antriebslust. Sondern Lebenslust ganz umfassend. Sie ist auch in einem Gärtnerei-Forum zu finden, weswegen es eine solche Rubrik auch auf den Schattenzeilen gibt. Nur eine Gedenk-Rubrik gibt es noch nicht; falls wir es überhaupt je erfahren würden, wer sich ausloggt.

Gestorben sind Mitmenschen erst dann, wenn sich niemand mehr an sie erinnert. Der Text ist einige Tage nach 9/11 entstanden. Aber mir kommt´s wie gestern vor.

 

Noch etwas: 9/11 und Ähnliches wird in den Medien als Tragödie bezeichnet. Das ist falsch. Eine Tragödie stellt sich zwangsläufig, schicksalhaft, ein. In der griechischen Tragödie liegt ein Fluch auf der zukünftigen Entwicklung, und die ist unentrinnbar. Ein Ödipus ist nicht mit Attentätern zu vergleichen.

Und dann stellt sich zur Trauer auch der Zorn ein. Ein Erschrecken ganz anderer Art als über eine schlechte Nachricht. Das Erschrecken nämlich vor dem freien Willen.

Dass Freiwilligkeit im BDSM so ähnlich klingt, ist hoffentlich ein reiner Zufall der deutschen Sprache.

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Sisa

Autorin. Förderer.

18.02.2023 um 00:55 Uhr

Ich musste weinen, als mir diese Geschichte gerade über den Zufallsgenerator angezeigt wurde. Es mag Jahre her sein, es berührt immer noch, schockiert und macht betroffen.

Wir haben damals bei dem Anschlag einen lieben Freund meiner Tochter verloren.

Die Tränen fließen immer noch. Ich weiß gar nicht, was ich hier jetzt schreiben soll ...

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26.02.2022 um 23:10 Uhr

Eine sehr berührende Geschichte...

Danke

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07.12.2021 um 23:29 Uhr

schlichtweg ergreifend,eine super Geschichte die nachdenkliich macht.

Danke das du uns teilhaben läst.

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Queeny

Förderer.

10.11.2021 um 08:47 Uhr

Dankeschön Jona!

Dein Text hat mich tief berührt!

Während ich ihn gelesen habe , hatte ich eine Gänsehaut und Tränen sind herunter gelaufen.

 

Queeny

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Gelöscht.

09.11.2021 um 23:27 Uhr

Lieber Jona,

Ich sitze hier in meinem gemütlichen Wohnzimmer, abends es ist schnuckelig warm und mir laufen die Tränen über das Gesicht. Deine Zeilen haben mich unheimlich tief berührt. Ich danke dir für diese schönen Zeilen und auch dafür das du dir die Zeit genommen hast dieses schreckliche Ereigniss so tiefgründig und berührend zu schreiben.

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Gelöscht.

14.03.2016 um 08:58 Uhr

Es wird immer wieder solche Menschen geben die andere ins Unglück stürzen...unzufriedene,"kranke" Menschen ,die nicht sehen wollen, was sie anderen zu fügen ,mit ihrem tun...

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Meister Y

Autor. Förderer.

11.03.2016 um 09:58 Uhr

Beeindruckend...

Lieber Jona,

danke für diese Zeilen. Sie haben mich wirklich getroffen, mir heute, fast fünfzehn Jahre danach, sofort die Bilder vor Augen geholt, die ich damals sah und nicht glauben wollte. Dieses schreckliche Ereignis hat wohl die ganze Welt verändert aber eben auch tief in das Leben Einzelner eingegriffen. So, wie Du es in diesen Zeilen geschrieben hast.

Schmerz ist vergänglich, die Wunden, die dieser Tag gerissen hat heilen. Dies aber bleibt, die Erinnerung und die Trauer um einen geliebten Menschen.

Danke für diese ergreifenden Zeilen. Für Zeilen, die mir diesen schmerzvollen, schrecklichen Tag in Erinnerung riefen. Für Zeilen, die mir heute wieder die Tragweite dieses Tages bewusst gemacht haben.

Dank für Zeilen, die ich in diesem Zusammenhang hier auf den Schattenzeilen nicht erwartet hätte, die mir aber gerade deswegen sehr zu Herzen gegangen sind.

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