Tabu
Eine BDSM-Geschichte von Onmymind.
Die Hände aufgestützt betrachte ich mich im Spiegel. Was siehst du? Ich kralle mich in das harte Porzellan, will nicht hinsehen. Ein Rinnsal im Waschbecken, das ich nicht verschwenden will. In der Kuhle meiner Hände sammelt sich das kalte Wasser. Immer wieder wasche ich mein Gesicht, doch ich wache nicht auf. Dieses Mal nicht. Meine Haare sind nass geworden und der Spiegel ist vollgespritzt, sodass die Tropfen hinunterlaufen. Es juckt mich in den Fingern, das Glas zu putzen. Wenn ich den Wasserhahn nicht poliere, bleiben Kalkflecken. Nicht gleich, aber irgendwann. Eine Metapher. Die Chaotin in mir lacht mich aus. Was ist aus dir geworden? So wolltest du doch nie werden! Die Luft zum Atmen wird kostbar, gierig sauge ich sie ein. Ich tauche meine Hände ins Wasser und verschmiere wütend das Bild, bis ich mich nur mehr verschwommen sehe. Gut so! Das bin ich. Verschwommen. Ein Schatten meiner selbst.
Plötzlich ist mir alles zu viel. Und dass mir alles zu viel ist, ist mir auch zu viel, schließlich habe ich alles, was man sich wünschen kann. Ich bin ein undankbares Luder, ich hasse mich! Mein Kopf schnellt zur Seite, die Wange brennt von der heftigen Ohrfeige und meine Handfläche kribbelt. Es ist sinnlos, ich komme nicht runter. Eine lächerliche Selbstgeißelung mit schalem Nachgeschmack. Rationell betrachtet weiß ich, dass ich eine Panikattacke habe. Es gibt Abhilfen. Entweder räume ich den Kühlschrank leer, esse, bis ich pappvoll bin, mich endlich wieder spüren kann, oder ich betäube mich mit Tabletten. Falsch, richtig, gut, böse, alles verschwimmt. Die dritte Möglichkeit steht nicht zur Debatte. Wie um mich zu vergewissern, gehe ich zu den Kinderzimmern. Davor bleibe ich stehen. Schützend breite ich meine Arme aus, spüre das Holz an meinen Handflächen. Eine Tür links, die andere rechts. Eine gekreuzigte Sünderin. Ich wende mich zum Schlafzimmer. Hinter der geschlossenen Tür schläfst du. Ich drücke meine Stirn dagegen.
„Weshalb kannst du nicht annehmen, was ich bin? Ich passe mich an und fühle mich schlecht. Bitte, ich will uns nicht verlieren, aber ich bin mehr als nur ein Teil“, flüstere ich.
Dabei will ich, dass du mich hörst und doch wieder nicht, denn du verstehst mich nicht. Mit zitternder Hand drücke ich den Türgriff nieder und verharre. Stell dich! Wimmernd presse ich die Finger an meine Schläfen, doch die Stimme ist beharrlich. Stell dich! Hektisch entblocke ich eine Nummer und tippe eine Nachricht ein. Kai schläft nicht. Auch hat er mich nach all der Zeit nicht vergessen. Er antwortet sofort. Ich nehme den Autoschlüssel, hole die Pumps aus ihrem Versteck und schleiche mich aus dem Haus. Ich bin ein feiger Wurm.
Der Bass hämmert aus den Boxen. Großstadtlichter ziehen vorbei. Der Fahrtwind zerrt an meinen Haaren. Ich fühle mich berauscht und der Druck ist weg. Ich kann wieder atmen. Die Nacht wirft ihren nachsichtigen Schleier über mich, lässt Adrenalin durch meine Adern strömen. Seit ich die schwarzen Lackheels angezogen habe, bin ich eine andere Frau. Sie holt sich, was sie braucht. An einer Kreuzung springt die Ampel auf Rot. Mein verhangener Blick begegnet mir im Rückspiegel. Ich trage den knallroten Lippenstift auf, den ich im Alltag niemals verwenden würde. Viel zu aufdringlich. Eigentlich wollte ich ihn schon längst wegwerfen, doch ich konnte es nicht. Eines der letzten Attribute meiner Selbstfindung. Es hat mich körperlich geschmerzt, mein Lederhalsband und meine Mieder wegzugeben. Ich wollte damit meine Identität ausradieren, mich wieder geradebiegen, doch es hat nichts genutzt. Alles nur Schein.
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