Beste Diedie Nerin,
Vorsicht: Überlänge.
Ich habe bislang den Anspruch gehabt, mein „Gefallen“ oder „Nichtgefallen“ nicht in meine Bewertung einfließen zu lassen. Bei Deinem Text stoße ich an Grenzen dieses selbstauferlegten Kriteriums.
Und ich habe etwas über „meine eigene BDSM-Neigung“ gelernt, Was mir ansonsten nur über das Handeln gelingt, nicht übers Lesen.
Ob es SF ist, Albtraum, Wunsch, sogar FemDom lasse ich mir gefallen, und sei es einfach aus Neugier: Aber zwei versoffene Typen, die zu dritt gelangweilt herumhängen, und denen nichts anderes einfällt als rough sex, bei dem „sie“ auf einem Teppich kniet, auf dem fettige Chipskrümel herumliegen, macht mir alles kaputt, was ich je mit BDSM verband. Das sagt unfreiwilligerweise mehr über mich, als über Dein Schreiben; sei also ganz beruhigt..
Rough Sex, Handfestes, Ohrfeigen, Ausbrüche gab es schon immer: In allen Generationen rückwärts, sogar ganz früher und wurde nicht BDSM genannt. Was ist überhaupt anders, seit es diese vier Buchstaben in der Neuzeit gibt? Ganz sicher nicht die Abläufe und Techniken. M de Sade ist vielleicht der Erste gewesen, der überhaupt mal darüber nachdachte und beschrieb, was ihn wozu treibt, und woran er genießt. Und das war mindestens ´rough´. Das kulturell „Neue“ am BDSM ist also, dass die Beteiligten voneinander wissen, was sie da treiben, und dass Gewalt nicht das sein muss, als was sie erscheint. Die Einvernehmlichkeit ist nur das Spitzenhütchen oben drauf.
Dein Text erinnert mich an die 70-er Jahre, was Aufklärung hieß, aber weiter von Aufklärung nicht sein konnte, weil mehr trivialisiert wurde als vorher. Es wurde einfach nur exhibitionistisch und voyeuristisch.
Und seitdem hat sich viel, sehr viel getan.
Dass diese drei Gestalten im Text Zuschauer brauchen, liegt auf der Hand. Sie würden auch johlend mit 190 km/h über die Autobahn rasen und sich toll dabei finden. Ich sag´s mal so: Sie sollen´s treiben wie sie wollen, aber die Tür zulassen.
Handwerklich: Die Erzählstimme im Text passt zu einer jungen Frau (soweit ich mir das vorstellen kann). Das ist gut gewählt, find ich. Das Ambiente ist so gut beschrieben, dass ich am liebsten wegsehen möchte; prima! Die Geschichte hat keinen Anfang und kein Ende, muss sie ja auch nicht. Aber das liegt m.E. einfach daran, dass die Gestalten im Text Beziehungen führen, die eben auch nur impulsiv sind. Was hätte noch passieren können: na, dass sie sich in die Wolle kriegen und prügeln und am nächsten Tag wieder zusammen trinken. Ein Rad der Gegenwart. So passt die von Dir gewählte Form zu den Figuren; find ich auch gelungen. Aber diese Figuren könnten auch Landser vor 110 Jahren gewesen sein, die es der Kellnerin mal zeigen. Und dass es ihr vielleicht sogar gefallen mochte, macht noch keinen BDSM daraus.
Ich bin auf weitere Texte von Dir gespannt, Diedie Nerin. Etwas härtere Gangarten sind rar auf den SZ und werden auch von mir vermisst. Dein jetziger Text gefiel ja vielen, und ich bin kein Maßstab.
So ein „Gürtelspiel“ wäre sehr geeignet gewesen, meine Phantasie in Gang zu setzen, tat es aber in diesem Setting einfach nicht. Mein Problem. Am wenigsten interessiert es, was ich jeweilig für bdsm-ig halte oder nicht.
Danke für die Anregung ganz anderer Art.