Circe mit den Zauberhänden
Eine Satire von Treibholz
Das Mittelmeer. Endlose Weiten. Wir befinden uns in einer fernen Vergangenheit. Dies sind die Irrfahrten des Odysseus und seiner Mannschaft, viele Seemeilen von der Heimat entfernt. Dabei dringen sie zu Inseln vor, die nie zuvor ein Grieche gesehen hat.
„Eins, zwei, Pull! Eins, zwei, Pull!“
Tage und Nächte nur Monotonie. Ruder heben, tauchen, ziehen, heben, tauchen, ziehen, heben, erneut tauchen. Der Steuermann wiederholte sein endloses Mantra „Eins, zwei, Pull!“
Die Sonne versengte ihre Köpfe, nicht die kleinste Brise wollte ihren überhitzen Leibern Kühlung verschaffen. Der Horror der vergangenen Tage saß ihnen im Nacken, als sie mit dem einzigen verbliebenen Schiff ihrer Flotte nur äußerst knapp entkommen konnten. Mit Entsetzen erinnerten sie sich an die Insel, auf der die Tage doppelt so lang waren, auf der es keine Nächte gab und ein Sklave zweifaches Tagewerk verrichten musste, ohne eine Minute Schlaf zu bekommen. Hier auf dem Meer hofften sie, bald möge ein wenig Wind die Segel aufbäumen und das Schiff vorantreiben. Der Steuermann setzte erneut an: „Eins, zwei ...“
„Land in Sicht!“, unterbrach ein Ruf das eintönige Mantra. „Eine Insel!“
Die Rudersklaven hielten inne und wandten sich um, soweit es ihnen ihre Eisenketten erlaubten, um einen Blick zu erhaschen. Tatsächlich. Am Horizont erhob sich ein Felsen aus dem Meer.
Nach wenigen Ruderschlägen setzte das Schiff knirschend auf und der Steuermann machte sich daran, die Sklaven von ihren Ketten zu befreien. Viele konnten ihre Tränen nicht zurückhalten und weinten vor Glück, als das ewige Schaukeln endlich ein Ende hatte. Sie befanden sich inmitten einer von senkrechten Felsen umschlossenen Bucht und blickten hinauf.
Da erhob sich Odysseus von seinem mit Schaffellen gepolsterten Sitz und erteilte Befehle. „Wir teilen uns in zwei Gruppen auf. Ich bleibe mit einer Hälfte der Sklaven beim Schiff und du, mein treuer Steuermann, schaust dich mit der anderen Hälfte auf dieser Insel um.“
„Das ist unfair“, brummte dieser. „Ich soll mich wieder einmal in Todesgefahr begeben, während du es dir bequem machst? Nein, Odysseus, was hatten wir in den letzten Tagen nicht alles! Die Insel, auf der es nichts gab außer der Lotusfrucht, von der man irre wird, auf der nächsten erwartete uns der einäugige Riese, der uns fressen wollte, und auf der letzten wollten sie uns, nachdem wir uns halb zu Tode geschuftet hatten, schon wieder fressen! Niemals begebe ich mich noch mal freiwillig auf eine Erkundungstour! Wie wäre es, du gehst ausnahmsweise mal als Erster?“
„Du willst nicht?“ Odysseus verzog nachdenklich die Stirn. Abrupt hellte sich sein Gesicht auf. „Wir knobeln. Stein, Schiff, Meer. Das Meer verschlingt den Stein, der Stein zertrümmert das Schiff und das Schiff trotzt dem Meer.“
Wenig später saßen sie sich gegenüber und das Spiel begann.
„Schnick-schnack-schnuck!“ Odysseus und der Steuermann bildeten beide eine Faust und sie öffneten sie gleichzeitig. „Zweimal Stein. Nochmal. Schnick-schnack-schnuck!“
„Gewonnen! Das Meer verschlingt das Schiff.“ Odysseus umschloss mit seiner Handfläche das Segel, welches der Steuermann gebildet hatte. „Du gehst zuerst!“
„War das nicht vorher andersrum?“ Der Steuermann betrachtete verdutzt seine Hand, zuckte mit den Schultern und erhob sich stöhnend. „Na gut.“
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