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Rezension: „Unverglüht“ von Jona Mondlicht

Ein Blogbeitrag von Schattenwölfin.

Vorlesen

() Es gibt Worte, die augenblicklich, wenn ich sie lese, ein olfaktorisches Feuerwerk in mir entfachen.

Lederwarenmanufaktur ist so ein reizauslösendes Wort, dem ich schon auf den ersten Seiten des Romans „Unverglüht“ begegne, denn dorthin folge ich Sarah an einem dunklen und nassen Dezembervormittag. Anders als bei ihr, die Stunde um Stunde hier verbringt und den Erzählungen eines Herrn Conrad lauscht, setzt bei mir keine Gewöhnung ein, und so begleitet mich der Geruch der Riemen rund zweihundert Seiten durch eine, nein: durch zwei atemberaubende Geschichten.

Doch zurück zum Anfang. Einem spärlich beleuchteten Flur folgend betritt Sarah die helle Werkstatt, als käme sie durch einen Tunnel dorthin, und im Verlauf der Handlung beschreitet sie einen weiteren, einen ganz anderen tunnelähnlichen Weg. Was Herr Conrad  - der Besitzer der Manufaktur - ihr erzählt, bringt eine bislang eher verborgene, in ihrem Inneren liegende Seite ans Licht und Sarah somit ein gutes Stück zu sich selbst. Dieser Tunnel ist unvergleichbar länger als der Flur, sein Durchqueren eine besondere Herausforderung. Sie bräuchte nur aufzustehen und zu gehen, doch sie bleibt, hört zu und nimmt die Herausforderung an.

Sarah empfindet die intimen Erzählungen von Herrn Conrad zunächst noch als unangenehm aufdringlich. Als wolle er ein Geheimnis lüften, das zu lüften sie nicht, oder jedenfalls nicht vor ihm und nicht jetzt, zu lüften bereit ist. Sie ringt mit sich und mit Herrn Conrad. Und Herr Conrad ringt mit Sarah. Um sie, um ihre Neigung, die er rasch erkannt hat. Für sie und nicht etwa für sich.

Der letztgenannte Punkt ist es, der den Roman zu etwas Außergewöhnlichem macht. Ich begegne keinem Dom-Prinzen, der aus einer Aschenputtel-Sub eine devote Gespielin für sich macht. Herrn Conrad geht es um Sarah - er ist ein Ritter, kein Prinz.

Zugegeben, ein bisschen spielt er mit ihr - auf einer sehr subtilen Ebene. Zugegeben, auch das gefällt mir. Sarah lässt sich hierauf ein, Zweifel und Widerstände lösen sich zunehmend auf und sie füllt die Rolle, die sie in sich trägt, immer selbstverständlicher aus. Während sie seinen kleinen Anweisungen folgt, seine dementsprechenden Gesten zunehmend sicherer deutet, während sie auf ihn zugeht, kommt sie vor allem sich selbst immer näher.

„Was ist das denn nun für eine Geschichte, die Herr Conrad Sarah erzählt?“, mag sich der ein oder andere fragen. Und ich stehe vor der Frage, wie ich hierauf antworten kann, ohne zu viel zu verraten. Es ist die Geschichte von Lia und Bruno, eine Geschichte vom Suchen und Finden, von Erwartungen und Enttäuschungen, vom Festhalten und Loslassen, vom Gewinnen und Verlieren - und natürlich von Dominanz und Unterwerfung und der damit verbundenen, ganz besonderen Verantwortung und Fürsorge. Es geht um einen dominanten Mann, der seiner Sub viel abverlangt und ihr alles gibt.  

Die einzelnen Episoden nehmen mich mit in ein Hotelzimmer, ans Meer und in ein Schloss. Sie werden illuminiert von den nächtlichen Lichtern einer Stadt, dem Blinken eines Leuchtturmfeuers und dem Flackern von Kerzen in mehrarmigen Leuchtern. Wieder rieche ich Leder, aber auch die salzhaltige Seeluft und fühle auf meiner Zunge den pelzig-bitteren Nachgeschmack einer Ananas.

Es ist eine Geschichte, die ich ebenso gebannt verfolgt habe wie die Begegnung zwischen Sarah und Herrn Conrad.

Jona Mondlicht folgt nicht den gängigen Mustern, wie ich sie aus anderen BDSM-Romanen kenne. Wer die Texte gelesen hat, die vom Autor hier auf den Schattenzeilen veröffentlicht  sind, kann sich denken, was ich meine. Deutlich vielschichtiger, aber nicht weniger konsequent als in zahlreichen anderen Büchern mit BDSM-Bezug, werden Dominanz und Unterwerfung beleuchtet. Und wenn ich eine dieser Schichten hervorheben wollte, so würde ich sagen: Jona Mondlicht berührt meine Seele als Leserin, wie Herr Conrad Sahras Seele berührt und Bruno Lias Seele fordert. Deswegen fällt es mir schwer, hier Attribute wie  leidenschaftlich, prickelnd, erotisch zu verwenden, die allesamt zutreffend sind und verkaufsfördernd sein mögen, aber das Besondere, wodurch dieser Roman sich auszeichnet, nicht greifbar machen, ihm nicht genügen.

Es gibt Worte, die augenblicklich, wenn ich sie lese, ein olfaktorisches Feuerwerk in mir entfachen.

Kürzlich habe ich gelesen, was ich an mir schon lange entdeckt zu haben glaube: Gerüche werden über lange Zeit erinnert und bleiben im Gedächtnis. Dies gelte aber nur, wenn der Geruch mit einem besonderen Erlebnis, mit besonderen Erinnerungen verknüpft ist. Mein Ledergeruchsgedächtnis ist nun um einen wunderbaren Erinnerungsfaktor ergänzt, ein Leseerlebnis: „Unverglüht“ von Jona Mondlicht.

 

Broschiert: 208 Seiten

Verlag: Elysion-Books (25. Juni 2014)

Autor: Jona Mondlicht

Bewertung

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Kommentare von Leserinnen und Lesern

Gelöscht.

08.08.2016 um 19:11 Uhr

Prima Rezension.

 

Sie verdeutlich anschaulich die Vielschichtigkeit des Romans, ohne zuviel der Handlung zu verraten.

Rote Sonne

Profil unsichtbar.

08.01.2015 um 01:55 Uhr

Wölfin Du hast wirklich eine besondere Gabe, einen neugierig auf ein Buch zu machen. Nun werde ich mir das Buch besorgen und mich überraschen lassen.

Danke für Deine Rezession.

Söldner

Autor. Korrektor.

24.11.2014 um 18:33 Uhr

Gaststätten bieten oft zur Belebung des Geschäftes einen Mittagstisch mit Getränk für zehn Euro.

Für diesen Preis habe ich eine Mahlzeit der besonderen Art erstanden, die mir zwar nicht den Magen, dafür aber Herz und Seele gefüllt hat.

Hier wird eine Geschichte erzählt, ohne Wertung, ohne Definitionen, ohne Erklärung, nüchtern aber gleichzeitig sehr emotional. Eingebettet in einen flüssigen Erzählstrang liegen kleine, fein gezeichnete erotische Geschichten.

 

Wer Antworten auf Fragen im Umgang mit BDSM erwartet, findet sie in diesem Buch nicht. Aber ich bin davon überzeugt, dass jeder Leser seine ganz eigene Antwort nach dem Lesen dieses Buches finden wird.

Subfix

Gelöscht.

12.11.2014 um 12:25 Uhr

Zweimal Lob:

- Zuerst an Wölfin für ihre gute Rezension, die hat mich neugierig gemacht. Die Vorfreude und Neugier hat sich dann beim Lesen bestätigt.

- Dann an Jona Mondlicht für das Buch: Die Erzählung auf den beiden Ebenen ist wirklich fesselnd, faszinierend, spannend. Ausserdem ist alles richtig gut formuliert, was ja dem Verständnis einer Geschichte bzw. der Intentionen der Protagonisten nur zugute kommt.

Kurz: toll.

Antje Ippensen

Profil unsichtbar.

14.09.2014 um 21:43 Uhr

Der Beitrag ist richtig gut geschrieben, "schwingt mit", lässt das rezensierte Werk lebendig werden und macht absolut neugierig aufs Lesen!

Gelöscht.

11.09.2014 um 20:43 Uhr

Hallo!

 

Ich habe über einen Hinweis in dem vorgestellten Buch hier zu den Schattenzeilen gefunden und möchte mich bei dem Autor (der hier bestimmt mitliest?!?) bedanken für ein unglaublich schönes Leseerlebnis!

 

Ich muss "Wölfin" zustimmen, es ist ein außergewöhnliches Buch. Ich habe selten eine Geschichte gelesen, die mich derart gefesselt hat. Einmal mit dem Lesen begonnen, war es um mich geschehen. Klar ist es eine herzzerreißende Liebesgeschichte. Aber die Handlung verläuft nicht so, wie es in anderen Büchern ist. Am Ende blieb ich melancholisch, aufgewühlt, berührt und bewegt zurück. Buch, Geschichte und eine Sehnsucht (...Neid!...) nach dem Glück der weiblichen Protagonistin aus den erzählten Geschichten hängen mir seitdem extrem nach...

 

Danke! Und jetzt schaue ich mich hier um.

 

LG

Lena

 

Gelöscht.

28.08.2014 um 20:56 Uhr

Weil ich nicht alles verstanden habe.

Gelöscht.

23.08.2014 um 07:16 Uhr

Sehr beeindruckende Rezension, macht Lust auf das Buch und ich werde mir es kaufen.

Ich bin sehr gespannt darauf das Buch zu lesen.

Ambiente

Autorin. Förderer.

21.08.2014 um 11:08 Uhr

Liebe Wölfin,

lieber Jona,

 

@ Wölfin: Ich habe selten eine derart sensible Rezension gelesen. Ich danke Dir sehr dafür. Sie hat mir die Lektüre schmackhaft gemacht.

 

@ Jona: Danke für die intensiven Momente die Du mir geschenkt hast. Ich bin in Dein Buch, in die beiden Geschichten gefallen. Du hast Gefühle fühlbar gemacht. Auch ich hatte meine besonderen Highlights - wie Lucia auch.

 

Nach der Hälfte ahnte ich - was sich hinterher bestätigte. Die letzte Geschichte traf tief - legte die Seele des Protagonisten offen - schmerzte und ich litt mit.

 

Das Ende...schade - ergreifend und vielleicht für Einen tröstlich. Wahre Liebe gibt es anscheinend tatsächlich zur einmal!

Jona Mondlicht

Autor. Korrektor. Teammitglied.

15.08.2014 um 17:12 Uhr

Liebe Wölfin,

 

herzlichen Dank für die Rezension des Buches. Ich habe mich über Deinen Enthusiasmus und Deine Worte gefreut. Denn Du hast das Buch mehr als einfach nur gelesen. Danke dafür.

 

 

 

Viele Grüße

Jona

 

 

Berücksichtigt wurden nur die letzten Kommentare.

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