Draußen jagt der Sturm um das Haus. Regen prasselt an die Fensterscheiben. Die Malerin Annalena denkt zurück an ihre letzte Ausstellung. Zu jedem Tag im Advent hat sie ein sadomasochistisches Bild gemalt. Das Cover des Bildbandes zeigt Beatrice, ihre Galeristin. Es hat Annalena einiges an Durchsetzungskraft gekostet, Beatrice davon zu überzeugen, sich in dieser Stellung öffentlich abbilden zu lassen.
Wind heult durch die Nacht. Er rast durch Straßen und Gärten der östlichen Vorstadt, zerrt an Sträuchern und Bäumen.
Es knackt im Dach des Hauses.
Stürmt es von Nordost, fährt der Wind in die Fallrohre der Dachrinnen. Dann jault das Haus, ähnlich einem traurigen Hund, der den Mond anheult.
Der Wetterbericht hatte für die frühen Morgenstunden vor Sturm gewarnt. Regen prasselt an die Fensterscheiben.
Annalena Olsberg sieht auf die Uhr. Es ist drei Uhr morgens. Im Bett zu bleiben ist keine Alternative. Nachts werden kleine Gedanken groß, blasen sich auf wie Ballons. Dann kommen die unbeantwortbaren Fragen vom woher, warum und wohin. Was bringt das Starren an die Zimmerdecke? Besser ist es, produktiv zu sein, nach dem Erfolg der Ausstellung zur Adventszeit etwas Neues zu beginnen.
Skandal ist seit der Vernissage am ersten Dezember, Kritiker ereifern sich in den Zeitungen. Mit Verbot wird gedroht. Die Moral ist in Gefahr.
Wunderbar! Verkaufsfördernd wirkt so ein Dissens. Kunst wird erst dann spannend, wenn sie scharf an der Grenze bürgerlicher Toleranz schrammt. Genau dort entfaltet sie ihre Wirkung, an der Linie, die man nicht sehen, sondern nur ahnen kann. Die Basis des Erfolgs liegt im Tanz auf diesem schmalen Grat. Überschreitet man ihn, wird aus Kunst Dreck.
Annalena steht auf, zieht ihren Morgenmantel über.
Im Wohnzimmer schaltet sie die Spots über den Gemälden an den Wänden ein, dazu ihr Leselicht hinter der Couch.
Die Scheiben der bodentiefen Fenster glänzen nass, hin und wieder lässt der Wind den Regen an das Glas prasseln, sodass es klingt wie schnell brennendes Reisig.
Der neue Bildband liegt auf dem Tisch, am ersten Dezember ausgeliefert und nach dreiundzwanzig Tagen mehr als dreitausend Mal verkauft.
Auch heute, am Tag des Heiligen Abends, hängen in den zwei Räumen der Galerie vierundzwanzig Bilder des Projektes, in neutraler, nicht wertender Sachlichkeit gerahmt. Bis Ende Januar wird die Ausstellung laufen. Bildbände, Shirts, Kaffeetassen und Plakate verkaufen sich prächtig. An alle Bilder hatte Beatrice schon am Ende der Vernissage die roten Verkaufspunkte geklebt. Finanziell hat sich die Ausstellung schon jetzt als außergewöhnlicher Erfolg gezeigt.
In der zum Wohnzimmer hin offenen Küche lässt Annalena einen Kaffee durchlaufen, nimmt die Tasse, geht zum Sofa. Draußen ist finstere Nacht. Sie setzt sich, nimmt den Bildband vom Tisch, denkt an Beatrice und ihr Gesicht, als sie das Bild auf dem Einband erstmalig vor zehn Monaten auf der Staffelei sah.
»Das ist nicht dein Ernst«, stöhnte sie, starrte ungläubig auf das Ölbild.
»Gefällt es dir nicht?« Annalena sah ihre Galeristin erstaunt an. »Es ist sehr naturalistisch und ich bin sicher, es wird für einen guten Preis verkauft.«
»Nein, Annalena! Man sieht, dass du auf dem Bild bist und ich ebenfalls. Mein Ruf als Galeristin!«
Draußen jagt der Sturm um das Haus. Regen prasselt an die Fensterscheiben. Die Malerin Annalena denkt zurück an ihre letzte Ausstellung. Zu jedem Tag im Advent hat sie ein sadomasochistisches Bild gemalt. Das Cover des Bildbandes zeigt Beatrice, ihre Galeristin. Es hat Annalena einiges an Durchsetzungskraft gekostet, Beatrice davon zu überzeugen, sich in dieser Stellung öffentlich abbilden zu lassen.
Die Malerin schlägt das Bild zum ersten Dezember auf. Da ist Daniel, schaut direkt zum Betrachter. Das Zentrum des Bildes, seine Kraft, Ausstrahlung und Aussage liegt in diesem Gesicht. Einiges von dem, was Sadomasochismus ausmacht, zeigt Daniel, die Annahme von Leid, der gebändigte Widerstand, hingenommene Qual und eine alles überdeckende Lust, die aber nicht bei Daniel liegt.
Annalena nickte kaum spürbar. »Du hast völlig recht. Aus diesem Grunde ist es gut, wenn du dich zu einer Sache zwingst, dich überwinden musst. Ich brauche Authentizität, Ausdruck. Aus einem Bild heraus muss sich etwas entwickeln, dass sich auf den Betrachter überträgt. Ich erkläre es dir an einem einfachen Beispiel. Was würdest du tun, wenn ich den Absatz meines Schuhes auf deinen Fuß stelle und zudrücke, erst langsam, dann immer stärker und dich dabei beobachte?«
Peter sah Annalena an. »Manchmal habe ich den Eindruck, dass es ein BDSM-Amt gibt, in dem penible Angestellte jede Neigung, jeden Fetisch klar definieren, katalogisieren, in Registraturen ablegen, bei Bedarf als Handlungsanweisung hervorholen und durch Exekutive überwachen. Wer die klar definierten Handlungsanweisungen ignoriert, gehört nicht zur Szene. Können Sie mir folgen?«
Katharina trank einen Schluck Mineralwasser, lehnte sich zurück. »Ich hätte nichts dagegen, wenn du dich ausziehst und hier in meinem Studio auf die Liege legst. Dann könntest du mich bitten, dass ich dich dazu bringe, mir ein wenig von deiner Seele zu zeigen. Dominant oder nicht, jeder Mensch hat zwei Seiten.«
Kaum sitzt Annalena, entsteht die Szene in ihrem Kopf. Beatrice, draußen, eng von ihr an der Leine geführt. Es muss ein öffentlicher Gehweg sein. Nur bei scheußlichem Wetter, Regen und Sturm sind derartige Aufnahmen möglich. Kein anderer Mensch sollte auf der Straße sein. Zwar kennen die Nachbarn Annalena als etwas verschrobene, skurrile Künstlerin. Aber das bedeutet nicht, dass sie es tolerieren, wenn eine nackte Frau wie ein Hund an der Leine durch ihre Straße geführt wird.
»Spielen?« Annalena bewegte verneinend ihren Zeigefinger. »Es wird hier etwas strenger zur Sache gehen. Was zögerst du! Schaffst du es, noch deinen Slip auszuziehen? Nun mach und sag uns, worum es dir geht.«
Annalena schaute Vera ungläubig an. »Du bist ein Ferkel, weißt du das? Magst du Kaffee?« »Tee bitte, Kräuter, biologisch unbedenklich. Ich bin kein Ferkel, sondern eine ausgewachsene Sau.«
Auf dem Bild ist die Galeristin zu sehen. Sie schweigt. Das macht sie selten, denn es gibt immer etwas zu bemerken, zu verbessern oder vorzuschlagen. Sie schweigt nicht freiwillig, doch sagen kann sie nichts, denn sie trägt einen Ballknebel. Den sollte sie öfter anlegen.
Katharinas Stiefel verdeckt die direkte Sicht. Nur die Randbereiche des Käfigs sind zu sehen, glänzendes Metall, das sich auf Haut presst. Ein Kabel geht vom Käfig zu einem Steuergerät, ein weiteres führt vom Steuergerät hinter den anderen Stiefel von Katharina. Man ahnt, was er verdeckt.
Der Major tritt zurück, betrachtet sein Werk. »Schön sieht das aus«, sagt er. »Es schmerzt, nicht wahr? Das soll es auch. Wie wäre es mit noch einigen Gewichten? Magst du ein wenig jammern? Ich schätze es, einen Mann genau dort zu quälen, wo er am empfindlichsten ist. Weißt du, weil ich selbst ein Mann bin, kenne ich die Stellen genau.«
Stahl, nackte Haut und Leder bestimmen das Bild. Zwei Materialien dominieren, über ein Material wird bestimmt. Zwei tote Materialien zwingen ein lebendiges Material in Form. Die Stäbe pressen sich derart eng an Lars, dass er wie ein eng geschnürtes Paket wirkt.
Deine Meinung
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Vielleicht kann ich deine Freunde, Ronja, über den Advent hin erhalten, freue mich über deinen Kommentar.
Für deine bisher positiven Kritiken danke ich, poet, bin gespannt, ob es mir gelungen ist, die vierundzwanzig Kalenderbilder sadomasochistischer Praktiken durch rückblickenden Plauderton meiner Malerin in einen Kurzroman zu fassen.
Ich habe diesen Text zweimal lesen müssen, denn er ist inhaltlich wie sprachlich ungewöhnlich, fällt aus dem gewohnten Rahmen. Das musste ich erst einmal verarbeiten. Packend wie selten, weil so anders. Wird es mehr davon geben? Text 2 dieser Serie habe ich zwischen erster und zweiter Lektüre dieses Textes gelesen. Kann das so weitergehen, auf diesem Niveau, ohne sich zu wiederholen? Ich bin gespannt!
Liebe Hekate was für eine tolle Idee, du hast auch nichts versprochen was du nicht gehalten hast. Die Beschreibung deiner Protagonisten und der Szenen waren sehr Bildhaft, ich konnte Sie vor mir sehen. Das erste Türchen hat mir schon mal sehr gefallen, es ist spannend und macht neugierig auf mehr. Ich freue mich darauf jeden Tag eines lesen zu können. Dankeschön dafür!
Liebe Hekate, jetzt passiert genau das, was einen dominierenden Adventskalender ausmacht. Der Anfang ist gemacht, man will mehr, will wissen wie es weitergeht und dann wird man auf die Folter gespannt...
Die Idee finde ich klasse, nun bin ich wirklich gespannt, ob die hoch gelegte Latte gerissen wird oder ob sich hinter jedem Türchen eine so tolle Geschichte wie die befindet, die ich gerade lesen durfte.
Den Schattenzeilen danke ich für die Veröffentlichung.
Derzeit kann ich jede Menge thematische Adventskalender kaufen. Von Teebeuteln über Süßigkeiten, Alkohol, Kosmetik, bis hin zu Gewürzen sind die Läden voll.
Ab Montag gibt es die Kalender wahrscheinlich zum halben Preis.
Was ich aber nirgends entdecken konnte, war ein devot-submissiv-dominant-sadomasochistischer Adventskalender.
Den gibt es nur auf den Schattenzeilen, und nicht gegen Geld, sondern kostenfrei für alle Freundinnen und Freunde der besonderen Erotik.
Tut mir den Gefallen, macht die Türchen auf.
Meinungen, Fragen und Kritiken sind mir hier im Forum willkommen.
EIne gute Adventszeit wünsche ich euch und bitte, spielt nicht alles nach, was hinter den Türchen beschrieben ist.