Thorwald
Eine Science-Fiction-Geschichte von Nachtasou
Er hatte den Wald noch kennengelernt - zumindest den verbliebenen im Arboretum. Dort standen sie sortiert und beschriftet. Und davor standen kleine Holzkistchen, in die man die Nase tauchen konnte, um die meist ätherischen Gerüche der Blätter und Nadeln als Duftprobe einzuatmen.
Thorwald schnüffelte das Frittierfett aus dem Siebenundreißigsten. Über ihm waren es immer noch 83 Stockwerke. Und links und rechts und vorne und hinten genauso.
Der Abend brach plötzlich herein, als die Beleuchtungen auf den Schienen der Gänge draußen ausgingen. Wieder Stromsperre oder eine Havarie. Sogleich krisch überall Metall auf Metall, als die Luftkissen nicht aufrechterhalten werden konnten, und die Bodenplatten auf dem Fahrgrund aufsetzten. Den ganzen Tag würde draußen Unruhe und Getrappel sein und keine Nachtruhe mehr zulassen.
Thorwald sollte erst nächste Woche wieder arbeiten können. Seine Kontingente, die ihm das ermöglichten, waren schon fast aufgebraucht für dieses Jahr und er musste sparen mit diesem Vergnügen. Er redigierte Texte für ein Nachrichtenmagazin, die automatisch und fehlerfrei erstellt worden waren, und die automatisch und fehlerfrei ausgesendet werden würden. Er pflegte zu sagen: Nur Menschen sind noch nicht selbstschaffend und fehlerfrei. Aber wir essen und furzen noch. Und das nicht zu knapp.
Sein Hemd war etwas hochgerutscht. Thorwald nutzte die Gelegenheit, seinen weißen Speck zu streicheln. Etwas ging noch rein. Die Nahrungspakete stapelten sich schon und mussten weg. Was er ins Klo schiss, würde wieder zu Tomaten werden. Er stellte sich das riesige Kanalisationsnetz vor, durch das sich Gigatonnen Fäkalien hindurch quälten wie durch einen Darm, bis nach Brasilien, wo sich die Gemüse-Anbaugebiete konzentrierten. Und noch mehr.
Er schaute sich kurz um, als seine Hand in der Hose verschwand. Da war natürlich niemand. Obwohl Platz genug da gewesen wäre. An die 16 qm-Wohnung war er seinerzeit über Beziehungen gekommen, und hatte sie natürlich nie wieder hergegeben. Auch wenn sie nur im 38. Stockwerk lag und mithin in schlechter Luft. Da war der chronisch obstruktive Husten schon vorprogrammiert. So wie alles in Thorwalds Leben programmiert war.
Bevor er weiter essen konnte, musste er erstmal scheißen, um Platz zu schaffen. Aber er musste auch Punkte sammeln. Er lag im Rückstand. Und ohne Punkte kein Sex. Und ohne Sex keine Arbeit. Und ohne Arbeit nur in der Wohnung herumfläzen. Seine Arbeit hätte genauso gut von zu Hause erledigt werden können, aber darum ging es ja. Sich mal hinausbewegen dürfen. An der Pförtnerin vorbei, an der die Uniform das einzig Schicke war, denn ihr Gesicht war gelblich, wie das von vielen in den unteren Baracken. Sein Flat wurde auch Baracke genannt, obwohl es 4096 Menschen beherbergte. Und acht von diesen Baracken waren sternförmig vereint. Stern neben Stern. Ein ganzer Sternhimmel davon so weit das Auge reichte. Gereicht hätte. Gesehen hatte Thorwald es nie aus der Vogelperspektive. Ach ja, gestern in den Nachrichten wurde berichtet, dass angeblich eine Vogelspinne gesichtet worden sei. In Australien. Die kannte man nur noch von den Holo-Medien. Den Bericht hatte er nämlich selbst korrigiert gehabt, und ein Fehler war darin versteckt worden, den er tatsächlich gefunden hatte. Womit bewiesen war, dass er aufmerksam arbeitete. Die Fogelspinne wäre beim Einspeisen in das Sprachmodul eh nicht aufgefallen. Und selbst wenn, wen hätte es interessiert. Die meisten Bild-und-Ton-Schirme liefen sowieso mit abgedrehtem Ton, weil sie einfach nur noch nervten über einen langen Tag hin.
Die Stromhavarie wirkte sich wie immer nur auf die sogenannten Gänge und Straßenflure aus. Von seinem Fenster aus hätte er die Schluchten sehen können, in denen sich die Bahnen wie Blutplättchen durch Gefäße trieben. Manchmal entstand ein Thrombus und dann war´s das für eine Weile.
„Was machen meine Blutfettwerte?“ Fragte Thorwald.
Von der Wand her hörte er: „Thorwald, danke der Nachfrage. Sie liegen im grünen Bereich. Du bist fit wie ein Turnschuh.“
„Was ist das denn?“
„Thorwald, danke der Nachfrage. Das tragen Menschen, wenn sie Sport treiben.“
„Aha.“
„War´s das, Thorwald?“
„Noch was. Wie viele Sexpoints habe ich schon auf meinem Konto?“
„Thorwald, danke der Nachfrage. Auf welchem Konto. Dem natürlichen?“
„Nein, Du Lötstelle. Ich meine natürlich dem HSK.“
„HSK war bis vor 128 Jahren das amtliche Kennzeichen für benzingetriebene Fahrzeuge im Hochsauerlandkreis, Thorwald. Du meinst sicher Dein Holo-Sex-Konto. Darauf hast Du erst ganze 2 ...“
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