Warten
Du hattest mich vorbereitet. Mich ermutigt, meine Rolle zu finden. Mein Platz war klar: Ich würde mich ihr unterordnen. Von ihr abschauen. Von ihr lernen. Ich hatte nie einen Zweifel, wollte dir eine ebenso gute Sklavin werden, wie sie es war. Doch es kam anders.
Eine BDSM-Geschichte von Leo Me.
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Wieder blicke ich auf die Uhr. Sechs Minuten sind vergangen. Mir kommt es viel länger vor. Wie eine Stunde. Wie ein Tag. Ein Jahr. Eine Ewigkeit.
Mir ist kalt. Dabei hat der Herbst gerade erst begonnen. Meine Erinnerungen an laue Spätsommernächte sind noch frisch. Nie hätte ich gedacht, dass es Ende Oktober so eisig sein kann.
Aus meinen Kopfhörern klingt meine Lieblingsmusik. Schon seit Stunden. Zunächst umhüllte sie mich beschützend und wärmend. Sie trug meine Gedanken und gab mir Sicherheit. Jetzt nehme ich sie kaum noch wahr.
Konzentriert schaue ich in die Ferne, die Tür fest im Blick. Die Tür, durch die ihr gleich heraustreten werdet. Gemeinsam werdet ihr den Weg hinuntergehen. In meine Richtung. Direkt auf mich zu. So, wie wir es besprochen haben. So, wie wir es geplant haben. Wie du es geplant hast. Es ist Teil unseres Spiels. Deines Spiels. Deine Aufgabe für mich. Meine Herausforderung.
Immer wieder rufe ich mir deinen Plan in Erinnerung. Bereite mich vor auf das, was mich erwartet: Noch bevor ihr den Wagen erreicht, werde ich die Fahrertür öffnen. Ich werde aussteigen, meinen kurzen, engen Rock zurechtstreichen und langsam auf euch zugehen.
Für ein paar Sekunden schließe ich meine Augen, atme tief und langsam ein. Ich stelle mir das Geräusch meiner hohen Absätze auf dem feuchten Asphalt vor. Klack. Klack. Klack. Die umliegenden Häuser verstärken den Hall meiner gleichmäßigen Schritte. Klack. Klack. Klack. Klack.
Beim Ausatmen entweicht mir ein leises Seufzen. Ich öffne meine Augen und schaue wieder zur Tür.
Ich erinnere mich noch genau, wie ich das erste Mal vor dieser Tür stand. Ängstlich, aufgeregt, neugierig, stolz. Beruhigend legtest du deinen Arm um mich. Ich spürte, dass ich dir vertrauen konnte. Ich spürte, dass mir nichts passieren kann. Ich spürte den Stolz, weil du mich ihr präsentieren würdest: Deiner langjährigen Sklavin.
Die Bilder, die deine Schilderungen und Erinnerungen von ihr in mir zeichneten waren voller Respekt und Ehrfurcht. Sie diente dir seit Jahren, bereitete dir Lust und Freude, erfüllte bedingungslos all deine Wünsche. In meiner Vorstellung war sie perfekt. Ich wünschte, ich wäre wie sie.
Immer wieder bat ich dich, von ihr zu erzählen. Ich wollte alles wissen, bettelte um jedes Detail. Wie sah sie aus? Wie roch sie? Wie schmeckte sie? Wie fühlte sie sich an? Aber vor allem: was gab sie dir? Ich war süchtig danach, deine Erregung und deine Lust in deiner Stimme zu hören. In deinem Blick zu lesen, während du von ihr erzähltest.
Die Gefühle, die das in mir hervorrief, waren widersprüchlich. Ich fühlte mich unbedeutend und klein. Gleichzeitig war ich erfüllt von Stolz, weil du mich in dein Vertrauen zogst. Du hast mich teilhaben lassen an ihr. An dir. An deinen Gedanken. An deinen Gefühlen. An deiner Lust.
Du hattest mich vorbereitet. Mich ermutigt, meine Rolle zu finden. Mir Situationen vorzustellen. Mir auszumalen, was passieren könnte. Ich hatte nie einen Zweifel. Mein Platz war klar: Ich würde mich ihr unterordnen. Von ihr abschauen. Von ihr lernen. Ich wollte dir eine ebenso gute Sklavin werden, wie sie es war.
Doch es kam anders. Schon als sie die Tür öffnete, regte sich Unbehagen in mir. Zunächst dachte ich, es wäre nur Misstrauen mir gegenüber. Damit hatte ich gerechnet. Ich blieb höflich und zurückhaltend. Neugierig lauschte ich eurem Gespräch, ohne mich einzumischen. Aufmerksam beobachtete ich euch. Eure Körperhaltung. Eure Blicke. Ich sah dein Verlangen. Es erfüllte mich mit Freude, dennoch spürte ich ein ungutes Gefühl.
Später hast du uns auf die Knie gezwungen. Wieder habe ich sie genau beobachtet. Ich wollte sie sehen. Wie sie sich bewegte. Wie sie reagierte. Wissbegierig nahm ich jedes noch so kleine Detail auf.
Doch was ich sah, gefiel mir nicht. Ich war enttäuscht. Ich sah sie nicht, wie ich sie mir in meiner Vorstellung ausgemalt hatte. Frech kommentierte sie jeden deiner Befehle. Sie gehorchte nicht. Sie forderte. Nur widerwillig setzte sie deine Anweisungen um.
Ich habe versucht, meinen Platz einzunehmen. Unter dir. Aber je mehr sie ihre Forderungen stellte, dir widersprach, versuchte ihren Willen durchzusetzen, umso schwerer wurde es für mich. Ich ertrug es einfach nicht, zu sehen, wie sie gegen dich aufbegehrt. Wut breitete sich in mir aus. Ich kämpfte dagegen an, aber es gelang mir nicht. Einer unsichtbaren Kraft folgend, landete meine Hand klatschend auf ihrem Hintern.
Für einen Moment herrschte absolute Stille.
Erschrocken sah sie mich an.
Erschrocken sah ich dich an.
Dein Blick blieb streng. Um deine Lippen bemerkte ich ein kaum sichtbares Grinsen.
In den folgenden Wochen traf ich mich noch einige Male mit ihr. Alleine. Ich sollte mich mit ihr anfreunden. Meine Rolle finden. Ich gab mir Mühe, aber ich schaffte es nicht. Sie beleidigte mich. Sie beschimpfte mich. Sie versuchte, einen Keil zwischen uns zu treiben. Sie redete schlecht über dich, bei dir spielte sie die brave Sklavin. Das war das Schlimmste für mich.
Ich war wütend und hilflos. Du hast mir nicht geglaubt. Du hast gesagt, ich verstehe es falsch. Du hast sie verteidigt und in Schutz genommen. Immer wieder hast du mich zu ihr geschickt. Bis du ihre Sprachnachrichten an mich gehört hast.
Seitdem hast du sie nicht mehr getroffen. Ich weiß, dass du oft an sie denkst. An die Situationen und Erfahrungen, die ihr gemeinsam hattet. Du geilst dich an ihr auf. Ich höre dir gerne zu, wenn du dich erinnerst und davon erzählst. Es macht mich immer noch klein. Aber viel mehr macht es mich stolz und stark. Ich habe meinen Platz gefunden. An deiner Seite. Ich bin deine Sklavin und Vertraute. Ich gehöre dir.
Es ist oft nicht einfach. Auch heute nicht. Endlich haben wir mal wieder Zeit. Ein ganzes Wochenende. Ich hatte mich sosehr danach gesehnt.
Wie verabredet holte ich dich am Bahnhof ab. Wie immer bin ich auf den Beifahrersitz gerutscht, habe dir die Lenkung übergeben. Schüchtern legte ich meine Hand auf deinen Oberschenkel. Ich wollte dich fühlen. Ich spürte sofort, dass etwas anders ist.
Ich fragte nicht. Wir schwiegen einen Augenblick. Dann hast du mir deinen Plan erklärt: Wir fahren zu ihr. Du gehst hinein. Allein. Ich warte im Wagen. Nur kurz. Ihr kommt gemeinsam hinaus und sie wird ihre neue Rolle lernen.
Ich hatte Angst. Ich habe dir von meinen Zweifeln erzählt. Du konntest sie mir nicht ganz nehmen, aber ich habe dir vertraut.
Fünf Stunden sind seitdem vergangen. Die Kälte macht meinen Atem sichtbar. Kurz überlege ich, an der Tür zu klingeln. Aber was dann?
Ich drehe den Zündschlüssel herum und starte meinen Wagen. Noch immer zögere ich. Eine erste Träne rinnt mir übers Gesicht. Langsam fahre ich Richtung Autobahn.
Ich habe meine Rolle gefunden.
Danke, für jeden Moment.