Rezension: "Herbertstraße: kein Roman. Mein Leben als Domina" von Manuela Freitag
Die Autobiografie bietet einen interessanten Einblick in das Leben und Arbeiten als Domina, mit allen Schattenseiten. Nicht Mitleid heischend, sondern nüchtern beschreibend, wie es dazu kam und wie es heute ist.
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Wie wird man eine Domina? Wie lebt »so eine« privat? Warum tut Frau das überhaupt? Was macht diese Arbeit mit dem Menschen?
Jedem fallen bei der Nennung des Begriffs »Domina« auf Anhieb ganz viele Fragen ein, erscheinen Bilder vor dem geistigen Auge und bei dem einen oder anderen gehen vielleicht auch die Fantasien im Kopf auf die Reise.
Vielleicht nicht alle, aber doch viele Antworten darauf findet man in dem vorliegenden, meiner Einschätzung nach sehr empfehlenswerten Buch »Herbertstraße: kein Roman. Mein Leben als Domina“ von Manuela Freitag.
Vorweg ein wichtiger Punkt: Ich gehe davon aus, dass das Geschriebene der Realität entspricht, dass es sich dabei um die Wahrheit und keine erfundene Story handelt, keine Fiktion, sondern eine echte Autobiografie ist.
Ich habe schon die unterschiedlichsten «Lektüren» von anderen Dominas gelesen, die alle bisher nicht wirklich gut waren. Wobei es sich dabei meist um angebliche Ratgeber mit einigen eingestreuten Erlebnisberichten handelte. Dieses Buch dagegen ist meines Erachtens flüssig geschrieben, es liest sich flott. Die Sprünge zurück in die Vergangenheit und die Verbindung in die Gegenwart sind für mich schlüssig.
() Die Autorin bietet einen interessanten Einblick in das Leben und Arbeiten in diesem Gewerbe, mit all seinen Schattenseiten. Nicht Mitleid heischend, sondern nüchtern beschreibend, wie es dazu kam und wie es heute ist.
Sicher wird es die üblichen Schlaumeier (mit dem Diplom in Frauenzeitschriften- oder alternativ Stammtischpsychologie) geben, für die es völlig logisch ist, dass nach der geschilderten Kindheit der Autorin eine «Karriere» als Prostituierte im Prinzip schon vorgezeichnet war.
Meiner Meinung nach sollte dieses Buch für all die unbelehrbaren Freizeitpsychologen Pflichtlektüre sein, die immer noch die pseudowissenschaftliche - und auch längst widerlegte - Argumentation vertreten, dass es hauptsächlich Manager, Männer in beruflich hochgestellten Positionen und damit Entscheidungsträger wären, die zum Ausgleich ihres beruflichen Alltags dann zu einer Domina gehen würden. Die Behauptung «Tagsüber selber austeilen und sich dann abends dafür den Hintern versohlen lassen" ist bekanntermaßen schlichtweg falsch. Das bestätigt auch das vorliegende Buch.
Was mich sehr nachdenklich machte, ist die Beschreibung des Privatlebens und der aus der Tätigkeit als Domina resultierenden Probleme im Bekanntenkreis, vor allem als Mutter. Hier sollte sich jede/r fragen, wie man selbst darauf reagieren würde, wenn eine Frau im Umfeld der eigenen Familie ihren Unterhalt als Domina verdient. Wie weit geht die eigene Akzeptanz?
Alles in allem empfand ich die Autobiografie als eine Lektüre, die durchaus nachdenklich stimmt und die Diskussionen anregt - beispielsweise über den Umgang der Gesellschaft mit dieser Thematik. Das Buch wirft verschiedene Fragestellungen auf, unter anderem, wieso es offensichtlich so wenige Frauen gibt, die zu einem Dominus gehen (= das männliche Pendant einer Domina) oder warum viele Frauen anscheinend Angst vor einer Domina in ihrem privaten Umfeld haben.
Das Buch regt zum Nachdenken an über kritische Fragen, deren sich die aufgeklärte und angeblich so tolerante Gesellschaft längst stellen sollte. Eine Gesellschaft, in der zwar Dienstleistungen aller Art verlangt werden, diejenigen, die diese dann erbringen, aber zu Geächteten werden lässt.
Mein Resümee: Der Kauf des Buches ist kein rausgeschmissenes Geld, sofern man sich dafür wirklich interessiert und auch bereit ist, aufgrund des Gelesenen vielleicht eigene Standpunkte zu überdenken.
Wer sich lediglich geile Geschichten erhofft und den eigenen Voyeurismus befriedigt sehen möchte, wird enttäuscht sein.
Ob man die (Lebens-)Erfahrungen einer 57jährigen Domina als exemplarisch für alle - oder zumindest die meisten - in diesem Dienstleistungsgewerbe Arbeitenden gelten lassen mag, muss jede/r für sich selbst entscheiden. Eine Ausnahme sind sie sicher nicht.