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Helen Honeychurch (Teil 2)

Jedes Liebespaar hätte sich mit Rücksicht auf die Zimmernachbarn in Zurückhaltung geübt. Für Intimität blieb kaum Raum. Lachend malten wir uns aus, wie wir mit Peitschenknallen und Popohieben möglicherweise die Polizei auf den Plan riefen. Helen zu fesseln, ging dagegen lautlos.

Eine BDSM-Geschichte von Schattenwölfin.

  • Info: Veröffentlicht am 06.07.2013 in der Rubrik BDSM.

  • Folge: Dieser Text ist Teil einer Reihe.

  • Urheberrecht: Veröffentlichung, Vervielfältigung oder Verwendung sind nicht erlaubt. Mehr.

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Prolog

Genau einen Monat später trafen wir uns in dem Appartement, das ich sofort für dieses Wochenende gebucht hatte. Tag für Tag hatte ich mich mehrfach auf der Internetseite des Hauses eingefunden und durch die Bildergalerie und die Beschreibungen geklickt. Wie ich das Projekt in meiner Firma zum Abschluss gebracht habe, wie ich mich meiner Familie gegenüber verhalten habe, weiß ich nicht mehr. Helen hatte ich eine Nachricht geschickt, dass ich an diesem Tag ab 14 Uhr dort auf sie warten würde. Sie hatte knapp geantwortet: „Gut, ich freue mich!“

Ich hatte eine Reisetasche dabei und zwei Tüten mit Einkäufen aus dem Feinkostladen: Brot, Salzbutter, Schinken, Käse, eine kleine Auswahl an Brotaufstrichen, Wein und Sekt, Obst, etwas Saft und Mineralwasser. Nachdem ich alles verstaut hatte, nahm ich mir Zeit, um das Appartement genauer in Augenschein zu nehmen. Ich war darauf eingestellt, dass die Bilder im Internet überholt sind und alles irgendwie schmuddelig sein würde, aber alles war ordentlich, sehr gepflegt und sauber. Ich hatte befürchtet, der Gedanke daran, was andere Besucher hier getrieben haben mögen, würde mich in irgendeiner Weise belasten. Nun erregten mich solche Vorstellungen eher. In den zurückliegenden Wochen hatte ich immer wieder angezweifelt, ob Helen überhaupt hierher kommen würde. Nun war ich mir sicher, dass sie bald kommt. Und ich freute mich auf sie. Wieder war es eine Art kindliche Vorfreude. Als käme ein toller Freund zum Spielen und brächte lauter neue, tolle Spielsachen mit. In gewisser Weise war es ja auch so. Aber die Spielsachen waren schon da. Peitschen und Paddles, Rohrstöcke und Teppichklopfer, Masken und Knebel, alles das unterzog ich einer genauen Betrachtung. 

 

Helen kam und wir zögerten nicht lange, die Dinge zu tun, um derer wegen wir uns hier trafen.

„Es wird ohnehin zu viel geredet!“, meinte sie, „ich stehe auf Männer, die tun!“

 

Dieses Wochenende war der Anfang einer Reihe von Treffen in „unserem“ Appartement. Nicht immer gelang es mir, ein ganzes oder gar ein verlängertes Wochenende freizumachen. Manchmal trafen Helen und ich uns nur für ein paar Stunden dort. Dann beschloss meine Frau, für ein knappes Jahr zu ihrer Schwester nach Argentinien zu reisen und sie bei der Pflege der kranken Mutter zu entlasten. Im Hinterkopf hatte ich schon, dass die von ihr genommene Auszeit durchaus etwas mit unserer Ehe zu tun haben könnte. Im Vordergrund standen die Möglichkeiten, die sich so für Helen und mich bieten würden.

Dass ich meine Frau betrogen hatte und weiterhin betrügen würde, verdrängte ich nach wie vor. Die Tatsache, dass Helen und ich nie miteinander schliefen, erleichterte mir das. Es war, als würden sie und ich gemeinsam mit unserem Alltag diese alltägliche Form der Sexualität hinter uns lassen wollen.

 

Nachdem Verena die Vertretung für ihren Laden organisiert hatte, brach sie auf nach Südamerika. Und Helen schlug vor, dass wir doch einmal richtig zusammen verreisen könnten, statt uns im Appartement zu treffen. Wir überlegten uns mögliche Ziele. Wie sehr habe ich mich gefreut, dass Helen sich auch in den Bergen wohlfühlt. Meine Familie wollte immer nur ans Meer. Jahr für Jahr haben wir Stunden im Auto verbracht bis an die Ostseeküste, wo nach der Wiedervereinigung die alten Seebäder in neuem Glanz erstrahlten. Seit unsere Kinder nicht mehr mitfuhren, fiel es mir zunehmend schwer, dorthin zu reisen, allein mit meiner Frau. Aber nicht nur des Meeres wegen, wo ich lieber in die Berge gefahren wäre. Sondern mehr noch, weil losgelöst von unserem turbulenten Alltag so schmerzhaft zu spüren war, wie wenig wir uns noch zu sagen hatten.

 

„Wasser wäre zwar toll, aber es muss nicht das Meer sein“, sagte Helen. Und so haben wir uns für die oberitalienischen Seen entschieden, vom Gardasee aus wollten wir sie nach und nach alle kennenlernen und dabei uns.

In Malcesine hatten wir uns in ein kleines, familiengeführtes Hotel in den verwunschenen Gassen nahe dem Hafen einquartiert.

Jedes Liebespaar hätte sich hier mit Rücksicht auf die Zimmernachbarn in Zurückhaltung geübt. Für Intimität blieb kaum Raum. Lachend malten wir uns aus, wie wir mit Peitschenknallen und Popohieben möglicherweise die Polizei auf den Plan riefen, und beschlossen wenigstens die Anschaffung eines Ballknebels. Helen zu fesseln ging lautlos vonstatten, und so fixierte ich sie mit weichen Seilen mal am Bett, mal auf einem der Stühle und einmal sogar nachts, im Schutz der Dunkelheit, draußen am Geländer des kleinen Balkons. Dabei erzählte ich ihr in immer klareren Details, was ich mit ihr anstellen würde, wenn wir an einem ungestörten Ort wären, an dem uns niemand hören kann. Was ich zu sagen hatte, gefiel Helen offensichtlich, denn sie wand sich unruhig in ihren Fesseln.

 

Nach den Erfahrungen mit dem Familienhotel am Gardasee hatten wir uns auf unserer nächsten Reise für ein kleines Ferienhaus oberhalb des Lago d’Iseo entschieden, um ungestörter zu sein. So einsam, wie im Prospekt angepriesen, lag es indessen nicht, der Ballknebel war also eine gute Entscheidung gewesen. Dachte ich in besonnenen Momenten noch, dass ich unser Tempo kaum selbst mithalten konnte, lösten sich die Zweifel augenblicklich auf, wenn Helen mich mit ihrem schmerzgierigen Blick ansah. Nicht einmal die irrsinnige Hitze des Sommers vermochte zu bremsen, was durch diesen Blick in Gang gesetzt wurde.

 

Ganz für uns waren wir schließlich oberhalb von Varenna am Lago di Como. Dort hatten wir uns ein kleines Haus gemietet, gut und gerne einen halben Kilometer betrug die Entfernung zu unseren nächsten Nachbarn. Der Herbst war klar und kalt. Ständig brannte ein Feuer im Kamin. Die Abgeschiedenheit des Hauses machte den Knebel überflüssig, Helens Lustschreie klangen ungebremst, schmerzvoll und lustvoll.

 

So viel hatte ich gelernt auf diesen Reisen und war meiner dabei stets sicherer geworden. Mich hatte tatsächlich eine devote, vor allem aber masochistische Frau gelehrt, was es heißt, zu dominieren. Von dem Klischee der Frauen und Männer, die ihre Sklaven oder Sklavinnen ausbildeten, waren wir meilenweit entfernt. Helen hatte mich nicht nur auf einer Reise an die oberitalienischen Seen begleitet, sondern mich vor allem auf einer Reise zu mir selbst an ihre Hand genommen.

 

Mehr war daraus nicht geworden. Ich hatte mir schlichtweg verboten, mich in Helen zu verlieben. Nicht etwa, um meine Ehe nicht doch noch zu gefährden, sondern aus Angst, dass der Schmerz im Falle einer Trennung zu groß geworden wäre.

Und tatsächlich würden Helen und ich die oberitalienischen Seen nicht mehr alle zusammen bereisen können. Sie hatte sich entschieden, in die USA zu gehen und dem Ruf eines großen Dirigenten an sein Orchester zu folgen. In diesem Sommer schon.

Ich war so dankbar für das Erlebte, dass mich in Anbetracht der Trennung keine Panik befiel. Ich fragte Helen, ob sie mit mir noch eine Reise machen wollte, bevor sie Europa den Rücken kehrte.

„Ja gerne, für ein paar Tage sollte ich mich noch davon stehlen können. Ich freue mich darauf. An den Luganer See?“

„Nein, ich möchte mit Dir in die Schweiz fahren. Ich habe in einer Fachzeitschrift einen Artikel über ein Hotel gelesen, in das ich schon immer gerne einmal wollte. Kürzlich ist mir der Artikel wieder in die Hände gefallen und ich habe mir vorgestellt, dort mit Dir zu sein. Da wir nun ohnehin nicht mehr alle oberitalienischen Seen schaffen werden, stelle ich mir die Reise dorthin als unser Abschiedsgeschenk vor. Es gibt eine Suite mit einem Flügel. Ich möchte Dich dort einmal spielen hören. Nur für mich.“

 

Dritter Tag

Gleich nach dem Frühstück ging es los. Der Kutscher war der Inbegriff eines Bergbauern, klein und drahtig mit wettergegerbter Haut. Das Hemd kariert, die Hose aus abgewetztem Leder, die Bergschuhe mochten einiges an Höhenmetern gemacht haben. Den Hut zierte ein Gamsbart. Zwei Pferde waren eingespannt, Schwarzwälder Kaltblut, massig mit fuchsfarbenem Fell, blondem Schweif und blonder Mähne. Beeindruckende Tiere, die Ruhe selbst, wie der Kutscher mir versicherte.

Die Kutsche war offen und ich half Helen nach oben. Sie trug einen langen schwarzen Rock, eine Bluse und eine Art Mieder dazu, beides ebenso schwarz, und darüber ihr großes, buntes Wolltuch. Das hatte fast schon was von einem Dirndl, und ich lachte in mich hinein, denn so etwas würde Helen nie tragen wollen, hatte sie mir auf der Herfahrt versichert. Nun schien sie sich diesem traditionellen Kleidungsstück auf ihre eigene Weise anzunähern. Als ich Helen nach oben half, sah ich unter dem Rock Lack aufblitzen. Sie trug doch tatsächlich ihre supernuttigen Stiefel mit den mörderisch hohen Absätzen und der Schnürung anstelle der hinteren Naht. Der Weg nachher vom Halt zum Picknickplatz würde sicher ein ganz besonderer Spaß werden. Ich setzte mich neben Helen und sie schmiegte sich an mich, legte eine Decke über unsere Beine und begann sofort ein Spiel mit ihren Händen in meinem Schritt.

„Es kann losgehen!“, sagte ich dem Kutscher und fragte Helen: „Was trägst Du noch unter Deinem langen Rock? Bist Du sicher, richtig für unseren Ausflug angezogen zu sein?“

„Ja!“

„Sag mir wie?“

„Der Plug.“

„Welcher?“

„Rate!“

„Welcher?!“

„Der mit dem Rosshaarschweif, was dachtest Du denn?“

„Wer stellt hier die Fragen?“

„Du?“

Dieses kleine Biest. Und ihre Hände machten munter weiter.

„Und sonst?“

Helen drückte mir die Fernbedienung für das Vib-Ei in die Hand und sah mich an. Der Blick. Ganz das scheue Reh. Ganz das kecke Luder.

„Sitzt Du gut?“

„Ja, es ist unangenehm, danke!“

Die Gangart der Pferde bestimmte die Stärke der Vibrationen, die Helen in ihrem Inneren spürte. Sie schien den Ausflug sehr zu genießen.

Natürlich trug ich sie später zum Picknickplatz. Mit ihren Stiefeln wäre sie dort kaum unversehrt angekommen. Noch einmal ging ich zur Kutsche zurück und bat den Kutscher, uns später wieder abzuholen. Ich war versucht, ihn zu fragen, ob er mir seine Peitsche leiht, aber die würde er sicher brauchen. Inzwischen hatte Helen Rock und Oberteil ausgezogen. Sie kniete im Schutz einer kleinen Felsgruppe und der Rosshaarschweif fiel von ihr herab in die Gräser der Wiese.

Ich fütterte sie mit den Leckereien aus dem Korb.

 

Am Abend spielte Helen Beethoven. Ich musste an einen Satz aus dem Film Zimmer mit Aussicht denken. Die weibliche Hauptfigur, Lucy Honeychurch, spielt dort Klavier, ich glaubte mich zu erinnern ebenfalls Beethoven. Der Pfarrer, der sie gut zu kennen scheint, sagt: „Wenn Miss Honeychurch sich je entschließen sollte, so zu leben, wie sie spielt, wird das sehr aufregend werden, sowohl für uns als auch für sie selbst.“ Und Helen? Helen spielte, wie sie lebt. Helen Honeychurch nannte ich sie nun für mich. Und das tue ich heute noch.

 

Prolog

Helen war einverstanden und wollte sich von dem Hotel überraschen lassen. Also plante ich die Reise und buchte das Hotel. Unsere Abschiedsreise.

Ganz schlau war ich aus ihr in den zurückliegenden Monaten nicht geworden. Wir hatten über viele Dinge gesprochen, natürlich auch über uns. Dabei war ich es, der deutlich mehr von sich erzählt hatte. Von Helen kannte ich ein paar Eckdaten ihrer Biografie, wusste aber nichts über ihre Familie zum Beispiel oder ihren Freundeskreis. Ich hätte auch als Zwischengang nicht danach gefragt. Ein unausgesprochenes Safeword hatte diese Dinge mit einem Bann belegt, den ich selbstverständlich respektierte.

So wusste ich lediglich, dass Helen aus gutbürgerlichem Elternhaus stammte, Geschwister hatte sie nicht.

Ihr musikalisches Talent war von ihrer Grundschullehrerin entdeckt und gefördert worden. Frau Koch hatte dafür gesorgt, dass Helen zunächst bei einer Klavierlehrerin vor Ort Unterricht nehmen konnte. Mit dem Übergang auf die weiterführende Schule bekam sie ein Stipendium für ein Musikinternat. Schon bald wurde man weit über dieses Internat hinaus auf Helens Talent aufmerksam, eine erfolgreiche Karriere schien ihren Lauf zu nehmen.

Helen gelangte jedoch am Ende ihrer Internatszeit an einen Punkt in ihrer Ausbildung, an dem sie glaubte, nicht mehr weiter zu kommen. Sie wusste, dass sie gut war, sehr gut sogar. Die Verknüpfung von Komponistenvorgabe, Technik und eigener Interpretation zu einem einmaligen und unverwechselbaren Klavierspiel fehlte ihr jedoch. Zumindest gemessen an ihren eigenen, sehr hohen Ansprüchen. Obwohl die Professoren, ihre Mitstudierenden und das Publikum, vor dem sie auftrat, stets begeistert waren, stand Helen im Begriff, das Erarbeitete hinzuschmeißen und ihre Karriere sausen zu lassen.

Hin und hergerissen, wie sie war, vertraute sie sich ihrer alten Klassenlehrerin an. Der Kontakt zu ihr war nie abgerissen, sondern hatte sich sogar zu einem beinahe freundschaftlichen Verhältnis entwickelt. Frau Koch hatte in all den Jahren ein besonderes Auge auf Helens Entwicklung gehabt. Und sie wusste, dass aus dem kleinen Mädchen mit den blonden Zöpfen zwar eine begnadete Pianistin, aber zugleich auch eine stets suchende Frau geworden war.

„Um zu finden, was Du suchst, liebe Helen, und was Du nicht in der Musik finden wirst, musst Du vielleicht eine gewisse Auszeit nehmen, einen anderen Schwerpunkt setzen. Was hast Du denn bislang gesehen von der Welt? Wie viele Städte Du auch schon bereist haben magst, überall bist Du zwischen Hotelzimmern, Übungssälen und Konzerthallen hängen geblieben. Nur flüchtige Blicke konntest Du auf die wahren Schönheiten und Hässlichkeiten werfen. Und das gilt wohl nicht nur für die Städte, sondern für das Leben im Allgemeinen. Wann warst Du das letzte Mal richtig verliebt? Und was ist daraus geworden?“

Helen lauschte gebannt den Worten der alten Dame, die so viel Einfluss auf ihr Leben genommen hatte. Lag sie auch dieses Mal richtig? Auf geheimnisvolle Weise wagte Helen auch als junge Erwachsene nicht, Frau Koch oder ihre Ideen infrage zu stellen. Gegen spätere Lehrerinnen und Lehrer hatte sie häufig rebelliert, gegen ihre Eltern sowieso. Die fördernde und wohlmeinende Autorität ihrer früheren Lehrerin gab ihr Halt und ließ sie folgen.

„Vielleicht verhält es sich mit Dir selbst ganz ähnlich?“, unterbrach Frau Koch Helens Gedanken. „Vielleicht gewährst Du Dir nur kurze Blicke und verwehrst Dir so tiefer gehende Innenansichten? Dieses Innere erst macht Dich komplett. Lass es raus und lass es in Deine Musik. Und wenn Dein Spiel Deinen Ansprüchen dann noch immer nicht genügt, dann kannst Du es bleiben lassen.“

Reisen! Das war es. Frau Koch hatte recht. Helen wollte sich eine solche Auszeit nehmen und reisen. Sie pickte sich zehn europäische Städte heraus, die sie sich nacheinander ansehen wollte, denn Helen liebte Strukturen. Und da tatsächlich auch die Liebe und ein Liebesleben bisher zu kurz gekommen waren, hatte Helen beschlossen, frühestens dann einer Stadt den Rücken zuzukehren, wenn sie dort wenigstens einmal guten Sex gehabt hätte. Den letzten Teil ihres Planes verschwieg sie ihrer alten Lehrerin, die im Übrigen begeistert war und Helen ein paar ihrer alten Baedeker in die Hand drückte.

Und so zog Helen los und ging auf eine vergnügliche Europareise. Sie sah und staunte, sie genoss und liebte, sie las Bücher und Notenblätter, ohne zu spielen, sondern versuchte die Musik in ihrem Kopf erklingen und von dort aus in ihr Herz gelangen zu lassen.

 

In einem schummrigen und verrauchten Jazzkeller in Marseille begegnete sie einem jungen Mann, der wie sie Klavier spielte und Chad Kroeger nicht unähnlich war, und mit dem Helen zunächst wild flirtete, dann wild am Klavier improvisierte und in dessen Bett sie sich schließlich wild mit ihm austobte. Wild war das richtige Wort, den ungezügelt liebten sie sich wieder und wieder. Bis Laurent irgendwann die Führung übernahm, zunächst unmerklich, dann deutlicher werdend. Gleichzeitig wurde er härter, und Helen immer gefügiger, weicher in seinem Griff. Es war, als zähmte er ein wildes Tier, um sein Vertrauen zu erlangen. Helen öffnete sich und Laurent bekam Zutritt.

Am Morgen setzte er sie an sein Klavier und verband ihr die Augen. „Spiel für mich!“, sagte er. Und Helen spielte. Und Laurent spielte mit Helen. Er befestigte Wäscheklammern an ihren Brüsten und Schamlippen und Helen spielte und spielte, bis er die Klemmen abnahm. Das Vorspiel war beendet.

Helen blieb ein paar Monate in Marseille, tauchte ein in die Welt aus Lust und Schmerz, tauchte schnell und tief.

 

„Warum hast Du Dir nie einen festen Partner gesucht, mit dem Du das leben kannst?“, hatte ich Helen einmal gefragt.

Und sie hatte geantwortet: „Ich liebe die Musik, ich habe meine Art des Klavierspielens gefunden, aber ich kann nicht beides. Entweder bin ich ganz meine Arbeit und unterwerfe mich der Genialität der Komponisten, den strengen Anforderungen des Probenplans mit dem Orchester und den Anweisungen des Dirigenten. Dort fliege ich in Dur und Moll. Oder ich fliege in ganz anderen Tonarten, unterwerfe mich der Genialität eines Sadisten, seinen Plänen und seinen Anweisungen. Dem Rohrstock statt des Dirigentenstabes. Auch dort fliege ich. Affettuoso und amaroso, oft auch agitato, immer appasionato, alla maestro und al fine.“

Ich sah sie fragend an. Sie sah die Frage nicht.

„Das erträgt keine Partnerschaft. Deswegen lebe ich, wie ich lebe,“ schloss Helen ihre Erklärung.

 

Letzter Tag

Ich hasse Abschiede. Und diesen hasste ich ganz besonders. Hatte ich ihn die letzten Tage verdrängt, so traf mich die Aussicht, dass dies unser letzter gemeinsamer Abend sein würde, nun mit voller Wucht.

Helen trat auf mich zu. Sie trug einen wundervollen, breiten Strumpfgürtel mit schwarzen Strümpfen, dazu Mary-Jane-Pumps und hatte ihren blutroten Lippenstift angelegt. Mehr nicht. Trotz der Wärme im Raum ragten mir ihre Nippel fest und groß entgegen. Ich strich sanft über ihre zarten Brüste und kniff spürbar eine der Knospen.

Sie durchschritt den ganzen Raum, drehte sich mal linksherum, mal rechtsherum um ihre eigene Achse. Auf dem Flügel stand ein Tablett mit einer Karaffe Wein und zwei Gläsern. Ich hatte mich für einen Sangiovese aus der Emilia-Romagna entschieden und bat Helen, uns jeweils ein Glas einzuschenken und dann mit den Gläsern zu mir ans Bett zu kommen. Hier saß ich, sämtliche Kissen zu einem bequemen Rückenpolster drapiert. Helen sah mich fragend an und ich nickte, also setzte sie sich zu mir, hielt mir ein Glas hin, welches ich nahm und wir prosteten uns zu und kosteten.

Wir saßen also da, tranken und schwiegen und tranken. Niemals hätte ich gedacht, dass ein solcher Wein so bitter schmecken könnte.

„Ich gieße noch einmal nach“, sagte ich, „setz Du Dich an den Flügel!“, forderte ich Helen auf. Wir standen also auf und gingen zu dem wunderschönen Instrument. Während Helen sich auf den Hocker setzte, füllte ich noch einmal die Gläser und nahm die beiden Metallklemmen an mich, die ebenfalls auf dem Tablett lagen.

„Und nun möchte ich, dass Du nichts mehr sagst, nur noch spielst, Opening aus Glassworks, einmal, zweimal, wenn es sein muss fünfzig oder hundert Mal. Deine Hände bleiben auf den Tasten, die Klemmen, die ich Dir gleich anlegen werde, bleiben, wo sie sind. Wenn ich eingeschlafen bin, kannst Du aufhören zu spielen und sie abnehmen.“ Helen drückte ihren Rücken durch und mir so ihre Brüste entgegen.

„Lebewohl, Helen“, sagte ich und brachte die beiden Klemmen an, „Danke für alles!“

Ich lauschte der Musik und blickte zu Helen, die mit zunehmend angespannten Gesichtszügen spielte, bei jedem Atemzug bebten ihre Nasenflügel. Hinter ihr erhob sich das Bergpanorama im letzten Licht der untergehenden Sonne. Die blaue Stunde kam und später die Dunkelheit und mit ihr der Schlaf.

 

Epilog

Helen verließ noch in der Nacht das Hotel. So hatten wir das abgesprochen. Als ich am nächsten Morgen die Rechnung beglich, überreichte mir die Dame an der Rezeption einen Briefumschlag aus handgeschöpftem Papier. Ich wog ihn kurz in meiner Hand, verließ das Haus und ging zu meinem Auto. Nachdem ich mein Gepäck verstaut hatte, öffnete ich zunächst das Verdeck und dann den Umschlag. Darin eine passende Karte. Darauf mit Tinte und in ausladenden Buchstaben von Hand geschrieben:

 

„Ich gebe mich hin, aber niemals auf“.

Lilli Gräfin von Bretzlow

Am Kiefernwäldchen, Seeheilbad Jährlingsdorf

 

Ich startete den Wagen. Allerhöchste Zeit, mal wieder ans Meer zu fahren.

 

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Kommentare von Leserinnen und Lesern

20388

Gelöscht.

25.08.2018 um 03:30 Uhr

Danke fürs mitlesen, schön geschrieben und beschrieben,

harter Abschied ohne Vereinigung... dafür der Hinweis auf neue Erlebnisse am Meer, hmmh

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13357

Gelöscht.

30.01.2015 um 05:15 Uhr

Ich denke, beide Texte zusammenhängend zu lesen macht die Geschichte am schönsten. Eine Geschichte, die ich gern gelesen habe. Die mich mitnahm auf eine wundervolle Reise, ein bisschen Urlaubsfeeling aufkommen ließ. Die mich mitnahm in eine Welt, die hier etwas aus einer anderen Perspektive, wahrscheinlich aber gerade daher, wunderbar beschrieben ist.

 

Vielen Dank dafür.

 

rauenstein

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14596

Gelöscht.

29.01.2015 um 04:51 Uhr

bitte mehr davon . sehr schön , danke.

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poet

Autor. Förderer.

17.02.2014 um 19:29 Uhr

Ist nicht alles so ganz stimmig, warum wird die Gräfin am Nachbartisch aufgebaut, wenn sie nicht ins Spiel kommt - aber was soll's. Ich finde, man merkt, dass hier eine Frau aus der Perspektive eines Mannes schreibt, aber das schadet der Story nicht, in der ohnehin die vermeintliche "sub" die Zügel führt, und das macht den Text ja grade zum Vergnügen! Für dieses Vergnügen vielen Dank!

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24.12.2013 um 03:22 Uhr

Stimmig geschrieben. Die anfangs gesetzten typischen Klischees (Unternehmer, Geld spielt keine Rolle) spielen keine große Rolle.

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12509

Gelöscht.

05.12.2013 um 10:37 Uhr

Als Fortsetzungsgeschichte sehr kurz. Leider.

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11828

Gelöscht.

05.10.2013 um 12:35 Uhr

Super geschrieben - weiter so!

Danke!

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Rote Sonne

Profil unsichtbar.

07.09.2013 um 21:53 Uhr

Du hast mich schon wieder mit Deiner Wortwahl fasziniert,

besonders mit dieser,

„Um zu finden, was Du suchst, liebe Helen, und was Du nicht in der Musik finden wirst, musst Du vielleicht eine gewisse Auszeit nehmen, einen anderen Schwerpunkt setzen…“

Die Geschichte ist so klasse geschrieben,

wunderschöne Beschreibungen

und die Zeitsprünge machen sie noch interessanter.

 

Und am Ende, ganz am Ende gab es noch was zum Schmunzeln.

Danke!

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11445

Gelöscht.

30.08.2013 um 20:07 Uhr

Eine phantastische geschichte die sich supe zu lesen ist.

Mit vollem kopfkino.

Die verbindung mit mit musik ist klasse.

Bin echt begeistert

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Michelle

Autorin.

26.08.2013 um 17:13 Uhr

Schön geschriebene Geschichte. Ein Schuss Erotik hat mir dabei allerdings ein wenig gefehlt.

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