Noch bevor sie die Augen aufschlug, meldete sich ihr Kopf mit einem dumpfen Pochen zu Wort. Es fühlte sich an, als ob jemand ihr mit einem orange glühenden Nagel gegen die Innenseite des Schädels stechen würde und ihre erste Reaktion darauf bestand aus einem lauten Stöhnen. Zumindest klang es für ihre Ohren so, aber da sich ihr Mund trocken anfühlte und jemand ihre Zunge mit einem alten Putzlumpen ausgetauscht hatte, konnte sie sich da nicht ganz sicher sein.
Für ihn war es laut genug gewesen und mit einem bewussten Blinzeln unterbrach er seine Wacht. Schulterlanges Haar umrahmte zusammen mit einem Vollbart ein wettergegerbtes Gesicht und dunkelbraune Augen richteten sich auf die junge Frau, die derzeit auf seinem Schoß saß. Da sie das Gesicht in seine Halsbeuge vergraben hatte, konnte er hauptsächlich das rote Haar erkennen, dass über seine Jacke floss. Letztere hatte er zu einer improvisierten Decke umfunktioniert und sie in den grauen Stoff gehüllt, um es ihr gemütlicher zu machen. Auch wenn Kälte nicht wirklich ein Problem war, da sie direkt neben dem Kamin der Gaststube saßen.
In dieser hatte die junge Frau zusammen mit ihren Kollegen zu Mittag gegessen. Allerdings war zum Ausgleich für das kalte Herbstwetter reichlich Alkohol geflossen, was ihr schließlich zum Verhängnis wurde. Vor einem Sturz hatte er sie bewahren können und kurzerhand zu sich geholt, um schlimmerem Unglück vorzubeugen. Eine gute Entscheidung wie sich jetzt zeigte.
"Munter wie ich sehe", kommentierte er mit ruhiger Stimme, während er die langstielige Pfeife aus dem Mund nahm. "Wie fühlst du dich?"
"Beschissen", grummelte sie leise und bereute es gleich darauf, als ihr Kopf sich erneut zu Wort meldete.
Der scheltende Laut, der ihm dabei entkam, war nur noch die Krönung und jagte ihr eine Mischung aus Scham und Reue durch die gepeinigten Gedanken.
„Ich denke das kannst du besser Kitz“, mahnte seine Stimme und dann lockte ein leises Klacken.
Als sie den Kopf von ihm abwandte, konnte sie auf dem Tisch zwei Tassen erkennen. Aufsteigende Schwaden aus nebelhaftem Dampf gaben ein wortloses Versprechen auf einen warmen Inhalt und er tippte mit dem Stiel seiner Pfeife eine davon an.
Sich darüber Gedanken zu machen, ob seine Wahl ihr behagen würde, erschien ihr im Moment eine zu große Anstrengung und so griff sie wortlos nach der, in violett gehaltenen, Tasse. Angenehm warm fühlte sich diese unter ihren Fingern an und mit einem genießerischen Seufzen genoss sie den Duft nach Kamille.
„Also?“, er sprach nur dieses eine Wort und transportierte doch damit eine umfangreichere Botschaft, als viele andere Menschen mit leerem Gerede.
Bewusst gab sie sich den Anschein, dass ihre Konzentration auf der Tasse lag und doch schossen unzählige Antworten durch ihren Kopf. Als sie einen Blick riskierte, erkannte sie, dass er geduldig darauf wartete, bis sie die passende gefunden hatte. Seine ruhige Ausstrahlung hüllte sie wie eine weitere Decke ein und mit gewisser Faszination beobachtete sie, wie er das elfenbeinfarbene Mundstück zwischen die Zähne nahm. Dann vermischte sich der Duft des Tees mit dem, sanft in der Nase kitzelnden, Geruch des würzigen Tabaks.
„Mein Kopf dröhnt. Meine Zunge fühlt sich taub an“, sprach sie schließlich leise. „Aber mir ist angenehm warm und… äh, es ist gemütlich.“
Beim letzten Satz hatte sie fast schamhaft ihr Gesicht verborgen. Im nächsten Moment wusste sie jedoch nicht einmal, warum genau. Sein tiefes Brummen war eine positive Bestätigung, die durch seine folgenden Worte vervollständigt wurde.
„Eine ehrliche Antwort Kitz“, sanft sog er an der Pfeife. „Dann werden wir hier noch sitzen bleiben, bis du dich etwas besser fühlst. Und damit dir nicht langweilig wird… kennst du das Märchen von den zwölf Jägerinnen?“