Letzte Anweisung
Eine unheilbar erkrankte Patientin erinnert sich an eine vergangene Reise mit ihrem Mann. Eine Geschichte über die große Liebe, die Unvergleichbarkeit von Schmerz und drei vergnügliche Tage in Hamburg. Aber auch darüber, dass man sich nach Phasen des Nichtwahrhabenwollens, des Zornes und der Angst einlassen kann auf das Sterben. Und dass schöne Erinnerungen dabei eine ganz bedeutende Rolle spielen.
Eine BDSM-Geschichte von Schattenwölfin.
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Drei Wochen bin ich nun auf dieser Station und kann noch immer nicht glauben, wie schnell alles gegangen ist. Noch kein halbes Jahr ist es her, dass ich mit Dir im Sprechzimmer von Dr. Maschke saß, der uns mit ernster Miene die Ergebnisse der Untersuchungen mitteilte und dass an ihnen nichts zu deuteln sei, gar nichts. Ein halbes Jahr, vielleicht ein ganzes, was er nicht glaubte, hätte ich noch zu leben. Hätte ich noch Zeit, hätten wir noch Zeit.
Ich erinnere mich nicht mehr, wie wir an diesem Tag nach Hause gekommen sind. Ich sehe uns in der Küche sitzen und weinen; unsere Kinder waren in der Wald-Freizeit. Wie sollten wir ihnen erklären, wenn sie nach Hause kämen, was wir selbst nicht verstanden? Ich wollte noch nicht sterben. Wer will das mit Anfang vierzig? Ich wollte nicht ohne Dich sein, ohne die beiden Töchter, unser Haus, unsere Freunde. Ich war traurig. Ich war zornig. Ich hatte Angst. Eine Höllenangst hatte ich, besonders vor den Schmerzen.
Ausgerechnet ich, die ich mich sonst so komplett fühle im Schmerz, die ihn dankbar und stolz annimmt von und aus Deinen Händen.
Diese anderen Schmerzen, vor denen ich mehr Angst hatte als vor dem Tod, diese Schmerzen kamen schneller, als ich gedacht habe, so dass ich bald nicht mehr ohne Medikamente über die Tage und durch die Nächte kam. Den Schmerzen konnte ich Einhalt gebieten mit den Tropfen, nicht jedoch der Ermüdung meines Körpers, die mich schließlich vor drei Wochen gezwungen hatte, den Weg hierher zu nehmen.
Als Familie haben wir uns in den letzten Wochen arrangieren müssen mit dem Unvermeidbaren, das um uns herum schleicht, dem Tod, der seine Hände unerbittlich ausstreckt nach mir, Freund Hein... Freund? Wollte ich den Tod als Freund in mein Leben lassen?
Wir haben ein Sommerfest in unserem Garten gefeiert mit Verwandten und Freunden. Obwohl alle mit angepackt haben, hat es mich so viel Kraft gekostet, dass ich irgendwann in der alten Hollywoodschaukel eingeschlafen bin, für die wir schon immer belächelt wurden und die ich nie zu lieben aufgehört habe. Am frühen Morgen des nächsten Tages haben wir miteinander geschlafen. Zum letzten Mal, und zum ersten Mal nach langen, langen Jahren behielt ich die Augen verschlossen, damit ich mir diesen Körper nicht ansehen musste, den die Krankheit so rasch ausgemergelt hatte.
Und jetzt, keine zwei Monate später, bin ich fast nur noch Schmerz. Schmerz, der sich nicht in Lust verwandelt, sondern Schmerz ist und Schmerz bleibt. Mein Körper, nicht gezeichnet von den Spuren Deiner Hiebe, sondern von den Spuren, die Spritzen und Infusionen unter die dünne Haut gezeichnet haben.
Seit gestern geht es nicht mehr ohne den Tropf. Alle drei Stunden kommt eine Schwester, füllt eine Wunderflüssigkeit hinein, und der aufkeimende Schmerz verwandelt sich. Nicht in Lust, aber in Träume, Träume von der Lust und Erinnerungen, die sich mit den Träumen verweben und ihn wieder zum Leben erwecken in mir, den liebgewonnenen Schmerz. Ich werde unruhig, öffne die Augen und Du bist da, und das Leuchten in Deinen Augen verrät mir, dass Du genau weißt, woher meine Unruhe kommt.
Ich lächle Dich an, mein Mann, mein Kamerad, mein Geliebter, mein Gebieter, versuche etwas zu sagen, doch Mund und Kehle sind so trocken. Du reichst mir die Schnabeltasse mit derselben Hingabe wie früher den Rotweinkelch.
Mit einiger Anstrengung gelingt es mir, Dich zu fragen: „Weißt Du noch, Hamburg...?“ Du nickst mit dem Kopf, der Kloß in Deinem Hals ist groß, Du drückst leicht meine Hand, ganz, ganz leicht. Wie wenig hat die Berührung gemein mit den früheren Hieben. Wie viel hat sie mit ihnen gemein, weil sie getragen ist von derselben großen Liebe.
Ich dämmere weg, sitze wieder mit Dir im Auto, dem roten Golf, aufgekratzt wir beide wie frisch verliebte Teenager. Tatsächlich hast Du aus irgendeiner Kiste im Keller ein altes Tape heraus gekramt. Aus den Boxen erklingt ein Mix, zu dem wir schon früher - meistens nachts - über die Landstraßen und Autobahnen gebrettert sind. Phil Collins fühlt es kommen in dieser Nacht, und wir kommen erst einmal nicht voran, sondern stehen im Stau vor dem Elbtunnel.
Doch irgendwann sind wir da. Mit großen leuchtenden Augen betreten wir das Domizil, das für die nächsten Tage unser zu Hause sein soll. Kaum aber, dass wir die Wohnungstür hinter uns geschlossen haben, tritt anstelle des guten Gefühls der Vorfreude das unangenehme Gefühl der Überforderung, die Angst, an den eigenen Erwartungen zu scheitern. Wir haben uns die Kosten für diesen Trip vom Mund abgespart. Wir wollten doch unbedingt hierher und nun stehen wir in der Wohnung und können uns so gar nicht einlassen auf ihre spezielle Art und die außergewöhnliche Einrichtung. Wir entscheiden uns für frische Luft und einen Spaziergang entlang der Elbe von Altona in Richtung Blankenese. Dem Austausch von Belanglosigkeiten folgt Schweigen, dem Schweigen eine Bemerkung über das Wetter. Du denkst, was machen wir eigentlich hier. Ich denke, was machen wir hier eigentlich.
„Ich will nicht hier an der Elbe sein, ich will jetzt in die Wohnung zurück. Sch... auf Altona und Blankenese, die Elbe mündet in die Nordsee, das weiß ich“, sprudelt es aus mir heraus. „Was ich nicht weiß ist, wie es sich anfühlen mag, auf dieser Streckbank fixiert zu sein, die so klasse aussieht, und wie Du dort die ganzen Gerätschaften an mir ausprobierst, die in dem Schrank hinter der Glastür hängen und liegen. Das macht mich geil. Tu etwas. Ruf uns sofort ein Taxi oder ich reise ab. Ich...“ Deine Lippen auf meinen unterbrechen den Redeschwall mit einem leidenschaftlichen Kuss, an dessen Ende Du das Taxi rufst. Heftiges Knutschen auf dem Rücksitz, auch das eine Premiere. Wir kommen nach der kurzen Fahrt wie von Sinnen zurück in die Wohnung, ziehen uns noch im Flur die Kleider von den Leibern und fallen dort übereinander her, ohne Streckbank, ohne Fesseln und Peitschen, nur mit uns. Und das Nachspiel wird zum Vorspiel und zusammen bilden sie den Auftakt für drei supergeile Tage. Nachdem wir wieder zu Atem gekommen sind, hast Du mich angesehen und auf die Streckbank geschickt, mir das Licht genommen mit der ledernen Augenmaske, mich fixiert, gestreckt, geleckt, liebkost, gehauen, mich mit Hilfe der Dildos und Vibs in große Höhen der Lust katapultiert. Viel geschlafen haben wir nicht in unseren Hamburger Tagen und Nächten.
Am Morgen gönnen wir uns als einzigen weiteren Luxus außer uns selbst ein Frühstück im Hotel Atlantik und genießen noch ein wenig das Treiben an und auf der Binnenalster, bevor wir eingedeckt mit einfachen Lebensmitteln aus dem Supermarkt zurückkehren in die Wohnung. Der Rotwein aus dem Tetrapack bekommt, umgefüllt in die Karaffe, die zum Inventar der Wohnung gehört, einen glamourösen Auftritt. Dein glamourösester Auftritt ist die Lektüre der Tageszeitung, während Du auf dem gynäkologischen Stuhl Platz genommen hast, es sei doch schade, ihn gar nicht zu nutzen, meinst Du mit einem Zwinkern in den Augen, und ich bemühe mich, dabei nicht an den Thron zu denken, auf dem Du sonst die Zeitung zu lesen pflegst.
Sonst probieren wir alles aus, was Herz und Lenden begehren. Wir werden eins mit unseren Rollen. Lange schon hast Du den Wunsch gehabt, mich zu knebeln, aber stets Rücksicht genommen, dass ich mich meines wichtigsten Ausdrucksmittels nicht habe berauben lassen wollen. Im Rausch, in den wir uns hinein gespielt haben, fällt es Dir plötzlich leicht, Deinen Wunsch in eine Anweisung zu verwandeln. Alleine die bestimmte Art, mit der Du verlangst, was ich nicht will, das Inaussichtstellen einer solchen Grenzüberschreitung, erregt mich plötzlich bis an den Rand einer Ohnmacht und ich gebe allen Widerstand auf.
Unersättlich bin ich irgendwann, will keine Stunde der kostbaren und kostspieligen Zeit verschenken, Dir, uns keine Pause gönnen. Die Stimmung droht einen Moment zu kippen, ich bin den Tränen nah und zetere vor mich hin, und Du grinst mich einfach an, Dein Blick wandert hinter mich zu dem Käfig. Dein Grinsen wird noch breiter, als Dir bewusst ist, dass ich Deine Absicht erahne. „Alles nur das nicht“, denke ich. „Das kann doch nicht sein Ernst sein.“ Glücklicherweise beschränkst Du Dich darauf, mich mit Handschellen außen an den Käfig zu binden und dort zu lassen, um Dich eine halbe Stunde auszuruhen. “Keine Sorge, Kunkelchen, ich stelle mir den Wecker“, sagst Du und verschwindest im Schlafzimmer. Als Du wieder zurück kommst, bist Du sehr ausgeruht, ich jedoch der unbequemen Haltung zum Trotz fest eingeschlafen.
Ich werde wieder wach und höre die Schwester zu Dir sagen: „Sehen sie doch, wie gut das Schmerzmittel anschlägt. Ihre Frau macht ein ganz entspanntes Gesicht.“
Noch einmal tauche ich kurz zurück in meine Erinnerungen an diese drei Tage, habe wieder meinen Speck auf den Hüften, pralle Schenkel und Brüste, einen gestriemten runden Hintern. Ich kehre zurück ins Jetzt und weiß, dass meine nächste Reise unvergleichlich länger sein wird und ich Dich zurücklassen muss.
Und ich warte auf Deine letzte Anweisung, die mich gehen lässt.