Lieber Tek Wolf,
Du fragst, ob im Mittelpunkt einer BDSM-Geschichte primär BDSM stehen muss. Und Du fragst, ob Sex und Fetische, Schmerzen, Allmacht und Ohnmacht schon ausreichen, auch ohne Handlung und ausgearbeitete Protagonisten.
Ich war gespannt auf Antworten, weil es auch bei der Auswahl von Geschichten von Belang ist, wie Lesende und Schreibende darüber denken. Dass aber kaum jemand Interesse daran hatte, Deine Fragen zu beantworten, zu diskutieren, das hat mich enttäuscht. Welche Themen sind denn überhaupt noch relevant, wenn selbst solche Anstöße wie Deiner eine Woche lang Gleichgültigkeit hinterlassen? Abgesehen von denen, die ausschließlich hier sind zum Durchforsten von Neuanmeldungen, zum Nachrichtenschreiben, zum Aufenthalt im Chat oder zur Kontrolle, wer online war, sind wir hier doch alle Schreibende und Lesende. Schade.
Ich will Dir aus meiner persönlichen Sicht antworten - dieser Hinweis ist wichtig, weil es bestimmt unterschiedliche Auffassungen gibt, auf beide Fragen, und weil ich folgend nicht überall "meiner Meinung nach" anfügen will, obwohl es die ist.
Grundsätzlich sollte eine BDSM-Geschichte in ihrer Handlung BDSM-Inhalte transportieren. Sonst wäre es genauso keine BDSM-Geschichte wie ein Thriller ohne Spannung kein Thriller wäre und ein Kochbuch ohne Rezepte kein Kochbuch. Ich glaube, diese Voraussetzung haben die Schattenzeilen auch in den Kriterien zum Einsenden von Texten erwähnt. Ob BDSM den Dreh- und Angelpunkt der Geschichte bildet, das zentrale Element ist oder nicht, ist nicht wesentlich. Wichtig ist, dass es auf eine bestimmte Weise die Handlung der Geschichte oder die der Protagonisten prägt.
Das können Fetische sein, Allmacht und Ohnmacht, freilich ebenso Sex, sicher auch "Lifestyle". Aber es darf keine Randerscheinung sein, auf die eine erzählte Geschichte genausogut hätte verzichten können, ohne dass es Handlung oder Protagonisten irgendwie gestört hätte.
Ich kenne nicht den Text, den Du gerade schreibst. Ist es eine Geschichte über zwei Liebende in Japan, in der beiläufig erwähnt wird, dass es japanische Fesselungskünstler gibt, ist sie noch keine BDSM-Geschichte. Ist einer der beiden Protagonisten mit dem Thema vertraut oder wird die Handlung dadurch beeinflusst, dann schon. Selbst wenn die Protagonisten kein Seil in die Hand nehmen.
Es gibt auf den Schattenzeilen einige richtig gute Texte, in denen es um Innenansichten geht, um Beziehungen, Rückblicke oder Dachbodenfunde. In deren Handlung wird niemand gefesselt und gehauen. Und trotzdem sind es BDSM-Geschichten, weil irgendetwas mit Bezug zu BDSM die Protagonisten dorthin gebracht hat, wo sie jetzt sind, und weil sie das reflektieren.
Was sich alles in der weiten Landschaft zum Thema BDSM finden lässt, brauchen wir an dieser Stelle nicht diskutieren. Wenn, dann wäre es ein eigenständiges Thema wert. Allmacht und Ohnmacht beispielsweise sind eine Form BDSM, wenn sie bewusst so gelebt werden. Da sind wir uns sicherlich einig.
In Deinen Fragen lauert allerdings auch noch ein "ohne Handlung und ausgearbeitete Protagonisten". Das sei getrennt von der Frage, wie viel BDSM es für eine BDSM-Geschichte braucht, denn es fragt eher nach: Wann ist es überhaupt eine Geschichte? Es gibt sie, die Texte ohne Gesichter und ohne Farben, nur reduziert darauf, dass Zwei miteinander etwas tun, handlungsbeschränkt auf ebendieses. Ich hadere mit solchen Pornos Dokumentationen, frage mich oft, zu wessen Erregung der Text eigentlich dienen sollte, möglicherweise zu der des Schreibenden selbst. Denn erzählt wird nicht Neues, Interessantes, Spannendes. Wie es Zwei miteinander treiben, das kann ich in platter Form an tausend anderen Ecken im Netz lesen und sehen, wenn ich denn mag.
Geschichten fangen für mich dort an, wo tatsächlich etwas erzählt wird. Über das Vorher und Nachher, über das, was Handlung und Handelnde antrieb oder über eine ganz bemerkenswerte Situation. Das muss nicht zwingend eine "komplexe Geschichte" sein, wie Du es erwähnst, das braucht auch keine vielschichtige und komplizierte Handlung. Es gibt kurze, gute Geschichten, bei denen es genügt, dass sie ein Lächeln, Staunen oder schlicht ein gutes Gefühl hinterlassen.
Ob die Geschichte, an der Du gerade arbeitest, hierher passt oder nicht, kann ich nicht einschätzen. Ich kenne nicht ihre Handlung. Aber ich kenne Deinen Schreibstil und mutmaße, dass es keine kurze Geschichte sein wird, keine platte und keine, in denen Lesende nichts über die Protagonisten erfahren. Das lässt auch Dein Beitrag vermuten. Frage Dich also, ob die Spielart oder der Gastauftritt einen Einfluss auf Handlung oder Protagonisten haben, oder ob sie ein Farbtupfer am Rand eines großen Bildes ist, der nichts zu Charakter und Aussage des Gesamtwerks beiträgt.
In der Überschrift Deines Beitrages fragst Du, wieviel Sex eine Geschichte auf den Schattenzeilen verträgt. Das hat mich ein wenig irritiert, weil es mit den Fragen im Beitrag (muss BDSM im Mittelpunkt stehen, funktionieren auch Geschichten ohne Handlung, passt Deine längere Erzählung hierher) wenig zu tun hat. Eine klare Antwort vermag ich nicht zu geben, denn natürlich kann eine Geschichte Sex enthalten, viel, wenig, hart, leicht, je nachdem, was die Handlung erzählen will. Ich greife da mal eine schöne Formulierung von poet auf, der eben vor mir schrieb: wichtig ist nur, dass Sex nicht nur selbst die Geschichte ist, sondern der Geschichte dient. Das kann man, denke ich, gut so stehen lassen, und das umrahmt auch alles, was ich zuvor schrieb.
Viele Grüße
Jona