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Vivians Virtuelle Vita - Ein Quartier für die Schreibwerkstatt

Ein Blogbeitrag von Schattenwölfin.

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03X5Y/21Y3X wähle ich. Seit knapp zwei Wochen sind wir vom Schattenzeilen-Team auf der Suche nach einer Unterkunft für die kommende Schreibwerkstatt, die dritte schon. Der Erfolg der beiden vorangegangen hat uns ermutigt, an dem Konzept festzuhalten. Aber so ein Wasserschloss wird mit der Zeit dann doch ein bisschen langweilig. Also soll es mal etwas anderes sein.

Das Haus, das ich nun auf meinem Bildschirm sehe, erfüllt alle Voraussetzungen, die wir als Minimum festgelegt haben - es liegt günstig und ist günstig. Fragt sich nur, ob es zum geplanten Termin noch frei ist. In den letzten Tagen haben wir bei den freien Häusern immer wieder Haken gefunden, an die wir uns nur sehr ungern binden wollten, so dass meine Zuversicht ein wenig gebremst ist. Aber nur ein bisschen, also auf ein Neues.

Freizeichen. Nach dem vierten Klingeln schon eine sanfte Männerstimme. „Heribert Huber, Ferienhaus im Hain, wer spricht?“

Weichei, murmelt mein zweites Ich. Klappe, antwortet das dritte streng.

„Vivian Wolf. Guten Tag Herr Huber. Ich bin über Ihre Homepage auf Ihr Ferienhaus aufmerksam geworden und wollte nachhören, ob Sie es uns für ein Schreibseminar in der Zeit vom zehnten bis zum zwölften Oktober vermieten können.“ Ich sprudele los und auch gleich weiter: „Wir werden voraussichtlich zu acht, vielleicht auch zu zehnt sein. Laut Online-Belegungsplan ist das Haus jedenfalls frei.“

„Wie war Ihr Name?“ Die Frage hätte ich in der Zeit dreimal gestellt, denke ich und mahne mich, geduldiger zu sein.

„Vivian Wolf“, auch wenn Herr Huber das nicht sehen kann, antworte ich mit einem süßen Lächeln und hoffe, dass sich etwas davon auf meine eher dominante Telefonstimme legt.

„Moment, Frau Wolf, ich sehe nach. Dazu muss ich eben in mein Büro gehen. Moment bitte.“

Ich schnappe mir mein Necessaire, weil ich ahne, dass die Zeit für eine Maniküre genügt.

Eine Hand ist fertig. „Frau Wolf? Hören Sie?“

„Ja, Herr Huber, ich höre“, antworte ich und füge in Gedanken hinzu: „Was hast Du mir denn zu sagen, Du schleichender Hainbewohner?“, hoffend, dass meine kleinen Frechheiten sich nicht rächen, indem er nun sagt, dass das Haus ab dem gewünschten Termin für die kommenden zwei Jahre ausgebucht ist, sich für Seminare ohnehin nicht eignet und er Schreiberlinge von eh her merkwürdig findet.

„Das Haus ist frei“, höre ich stattdessen, „Sie können es gerne an dem Wochenende mieten.“

Ich halte in der Maniküre inne und mache innerlich einen Freudensprung.

„Das ist ja toll“, ich erkenne meine Stimme nicht wieder. „Darf ich Sie bitten“, ich erkenne mich nicht wieder, „es für uns zu reservieren? Ich bespreche das noch heute mit meinen Mitorganisatoren und Sie bekommen dann umgehend eine schriftliche Buchungsanfrage von uns.“

„In Ordnung, Frau ... Frau ...?!“, höre ich Herrn Huber.

„Wolf.“

„Frau Wolf, ja. Schön, dass Ihnen unser Haus am Hain gefällt. Ich freue mich auf Sie und schicke Ihnen dann umgehend eine Reservierungsbestätigung mit allen Einzelheiten.“

„Prima, das kling gut, Herr Huber. Ich freue mich auch. Auf Wiederhören“, verabschiede ich mich.

„Auf Wiederhören, Frau ... Wolf.“ Herr Huber legt auf.

Beschwingt durch den sich abzeichnenden Buchungserfolg widme ich mich - die Maniküre der zweiten Hand habe ich locker nebenbei geschafft - wieder meinem Broterwerb. Am frühen Abend finden sich die Organisatoren der Schreibwerkstatt kurz im Chat zusammen und einigen sich darauf, das Haus im Hain zu buchen. Schnell habe ich den entsprechenden Dreizeiler aufgesetzt und an Herrn Huber eine Email geschrieben.

Am anderen Morgen habe ich die Antwort in meinem Postfach. Das ging aber schnell. Also, an Herrn Hubers Verhältnissen gemessen, schnell.

 

Sehr geehrte Frau Wolf,

entgegen meiner telefonisch erteilten Zusage kann ich Ihnen das Haus am Hain zu dem angefragten Termin nicht vermieten. Ich habe mir die Schattenzeilen angesehen und muss sagen, dass das einfach nicht hierher passt, was Sie da treiben. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, das hat überhaupt nichts mit meiner persönlichen Meinung zu tun. Aber ich fühle mich verantwortlich für das, was in unserem Haus passiert - auch den unmittelbaren Nachbarn gegenüber. Also, wenn ich Ihnen noch einen Rat geben darf, Frau Wolf, Sie sollten sich für das von Ihnen geplante Seminar eine Unterkunft suchen, die abgelegener liegt als das Haus am Hain.

Mit freundlichen Grüßen

Heribert Hubert

 

Ich merke, wie es in mir zu brodeln beginnt. Ich halte nach meinem Necessaire Ausschau. Die Fingernägel sind noch in Ordnung, aber ich würde die Instrumente liebend gerne in eine Heribert-Hubert-Vodoopuppe versenken.

Tief durchatmen. Ganz tief. Cognac verbietet sich zu dieser frühen Stunde. Also tief durchatmen, bis Puls und Atmung wieder im Normalbereich liegen.

03X5Y/21Y3X

„Heribert Huber, Ferienhaus im Hain, wer spricht?“

„Vivian Wolf!“

„Frau Wolf, schön, Ihre Stimme zu hören? Was kann ich noch für Sie tun?“

„Gar nichts, Herr Huber“, antworte ich. „Sie können sicher gar nichts für mich tun. Ich tue gerade etwas für mich, vielleicht sogar für Sie, denn ich möchte schon, dass Sie wissen, was ich von Ihrer Absage nebst der fadenscheinigen Begründung halte.“

„Frau Wolf, ich bitte Sie, ich habe Ihnen doch dargelegt, dass das mit meiner persönlichen Auffassung überhaupt nichts zu tun hat.“ Die langsame Sprechweise von Herrn Huber lässt meinen Puls erneut ansteigen.

„Ich weiß. Ich kann lesen. Sie verstecken sich hinter der Nachbarschaft, Dorfgemeinschaft, was weiß ich. Tun Sie das eigentlich in allen Lebensbereichen? Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?“, nehme ich Betriebstemperatur an.

„Frau Wolf, was soll das denn bitte jetzt? Ich kann Ihre Enttäuschung verstehen, aber das Haus am Hain eignet sich wirklich nicht ...“ War ich schon mit Reden fertig?

„Beantworten Sie Fragen immer mit Gegenfragen, Herr Huber? Das gehört sich nicht. Entweder ich bekomme eine Antwort von Ihnen oder Sie unterbrechen mich jetzt nicht mehr. Haben Sie mich verstanden?“ Ich warte. „Herr Huber?!“

„Ja, Frau ... Wolf.“

„Herr Huber, was denken Sie, was wir in Ihrem Haus vorhatten? Nicht antworten! Ich erwarte darauf keine Antwort von Ihnen, denn ich kenne sie. Ich weiß, was Sie denken und woran. Aber ich verrate Ihnen etwas. Für das, was in Ihrem Kopf herumspukt, ist das Haus gänzlich ungeeignet. Es verfügt, wenn ich das auf der Homepage richtig sehe, weder über eine Streckbank noch über ein Andreaskreuz. Auch Käfige und einen gynäkologischen Stuhl konnte ich nicht entdecken. Aber vielleicht versteckt man den auf dem Dorf auch eher im Keller. Wir brauchen einen großen Tisch, an dem viele Leute sitzen und schreiben können. Gerne nehmen wir Prinzessinnen-Zimmer für die weiblichen Teilnehmer, aber ein Verlies steht nicht auf unserer Wunschliste.“

„Frau Wolf ...“

„Herr Huber, ich bin noch nicht fertig! Wir wollten Schreibtechniken üben in Ihrem Haus, keine Schlagtechniken“, fahre ich fort. „Das hätte bei den Nachbarn zu überhaupt keinem Gerede geführt, da wir nicht in Latexkleidung und Korsett zu schreiben pflegen. Und auch nicht gefesselt und geknebelt. Wir hätten den Dorffrieden in Waldhain nicht gestört, Herr Huber. Aber Sie wissen das ja besser und erteilen uns auch noch Ratschläge. Nicht ohne zu betonen, dass das mit Ihrer persönlichen Meinung überhaupt nichts zu tun hat.“ Das darf sich bei Herrn Huber erst einmal setzen, bevor ich zur nächsten verbalen Attacke aushole.

„Wieso betonen Sie das überhaupt, dass das mit Ihnen selbst nichts zu tun hat? Eine versteckte Botschaft, Herr Huber? Dass Sie zwar offiziell nicht an uns vermieten wegen der Nachbarn, aber Heribert einer privaten Session nicht abgeneigt wäre?“ Zu gerne würde ich seinen Gesichtsausdruck nun sehen. „Lassen Sie mich raten ... “, meine Stimme wird fester. „Sie stellen sich vor, dass ich Sie besuchen komme in einem eng anliegenden schwarzen Lederkleid, meine 112-cm-Beine in langen schwarzen Lederstiefeln und eine Peitsche in der Hand?“ Ich lausche gebannt in den Hörer. Schnauft es am anderen Ende der Leitung vielleicht schon?

„Herr Huber?“

„Ja ..., nein ..., also ich ..., Frau Wolf, ich weiß wirklich nicht ...“ Immerhin stammelt er.

„Was wissen Sie überhaupt, Herr Huber?“, ich nehme die Vorlage dankend an. „Wissen Sie, was bei Ihren Nachbarn vor sich geht? Ob Ihr Bürgermeister nicht einen Folterkeller in seinem Haus hat und sich dort von seiner Frau tüchtig verhauen lässt? Heribert“, wechsele ich zur vertrauten Anrede, „weißt Du, ob sich Deine Frau nicht vielleicht heimlich danach sehnt, von einem echten Kerl geschlagen zu werden? Nur so zum Vergnügen?! Echte Kerle verstecken sich aber nicht hinter der Nachbarschaft, Heribert. Du verstehst, was ich Dir sagen will?“

„Frau Wolf, ich ... nein ... ich verstehe nicht ...“

„Lassen wir den Heribert, Herr Huber. Ich werde mich gerne nach einem anderen Haus umsehen. Und Sie?! Sie passen weiter gut auf Ihr Dorf auf und den Frieden dort. Bleiben Sie wachsam. Vor allem, wenn in Ihrer Nachbarschaft ein Mann seine Frau schlägt, ohne dass es ihr Lust bereitet. Dann sollten Sie wirklich einschreiten. Auch wenn ich befürchte, dass Sie darüber großzügiger hinwegsehen als über in Ihren Augen anrüchige Inhalte von Schreibseminaren.“

Herr Huber räuspert sich. Will er noch etwas sagen? Interessiert mich nicht. Ich lege auf. Grußlos. „Auf Wiederhören“ hätte nicht gepasst.

 

Epilog

Weniger Tage später haben wir eine Unterkunft gefunden und freuen uns, dass wir auch 2014 eine Schreibwerkstatt anbieten können. Dort: Link.

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Kommentare von Leserinnen und Lesern

Sizilia Luber

Autorin.

03.02.2023 um 11:32 Uhr

Ja, manchmal möchte man gerne eine Retourkutsche geben. Wie oft tippe ich was, das ich dann sorgfältig lösche, um eine Nacht drüber zu schlafen und eine ruhige Antwort zu geben...

Vielen Dank für den amüsanten Beitrag.

 

Könnte man noch mal eine Schreibwerkstatt veranstalten?

 

Viele Grüße

Sizilia

Gelöscht.

15.03.2021 um 13:36 Uhr

Punktgenaue Landung! Respekt!

Gelöscht.

07.03.2021 um 06:43 Uhr

Das hat mir den Tag versüßt

Knurrwolf

Profil unsichtbar.

03.02.2019 um 09:08 Uhr

Eine wundervolle Retourkutsche der besonderen Art. So viel zu Vorurteilen und dem, was so manchem im Kopf herumspukt, sobald er ein Triggerwort hört.

Gelöscht.

29.01.2019 um 12:09 Uhr

Sehr unterhaltsam!

29.01.2019 um 10:54 Uhr

Gelöscht.

25.01.2019 um 14:39 Uhr

Ja, so verhalten sich Menschen... tolerant sind sie nur wenn es sie nicht persönlich betrifft.

Die Welt ist voller Vorurteile, Verallgemeinerungen... und voller Vorbehalte gegenüber dem Fremden, Unbekannten.

Hinzu kommen Erwägungen wie... was denkt der Nachbar, könnte es mir geschäftlich schaden usw.

Die Menschheit hat sich nicht wirklich verändert...

Schattenwölfin

Autorin. Korrektorin. Förderer.

07.09.2016 um 06:48 Uhr

Vothan

Meine Bewunderung gilt dir für die Ruhe die in dem erneuten Anruf ihn gegenüber bewahrt hattest, obwohl du doch innerlich gekocht haben must.

 

Hallo Vothan,

 

da ist schon ein gutes Stückweit Gestaltungsfreiheit im Spiel. Die Absage gab es, mit fast wörtlich der Begründung, wie ich sie hier verarbeitet habe. Lange Beine habe ich auch, der Rest ... Zwar erkenne ich mich in Frau Wolf durchaus wieder, aber ich habe nie mit Herrn Huber telefoniert. Ich habe ihm nicht einmal geschrieben, sondern stattdessen diesen Beitrag.

 

Viele Grüße

Wölfin

25.08.2016 um 00:54 Uhr

Ich habe den Text gelesen und solche Situationen mit Leuten die einen nicht richtig zuhören was man ihnen Mitteilen will schon öfter erlebt. Meistens sind es Personen die eine vor gefaste Meinung über einen haben, nur weist dieses auf die verschrobenen Ansicht hin. Um selbst aus solch ein Schubladendenken zu kommen benötigt der Mensch eine gewisse Lebenserfahrung.

Bei Herrn Huber ist das Verständnis eines "Schreibseminars" nicht angekommen, darum ist er wohl auf "schattenzeilen" gewesen und aus Angst es dann abgelehnt hat.

Da ich nicht in Herrn Hubers Kopf schauen kann und seine Gedanken auch nicht lesen sind es nur Spekulationen.

Deine Ausführungen die Herrn Huber um die Ohren geflogen sind sollten doch einen Denkanstoß bewirken. Meine Bewunderung gilt dir für die Ruhe die in dem erneuten Anruf ihn gegenüber bewahrt hattest, obwohl du doch innerlich gekocht haben must.

Gelöscht.

01.12.2015 um 09:15 Uhr

Moin

 

Gut geschrieben - derartige Dinge gehen mir öfters durch den Kopf.

Lohnt es sich aber, wirklich mit derartigen Menschen zu diskutieren?

Kommt das, was man sagen möchte überhaupt an oder bleiben die Worte nicht auf halber Strecke liegen, weil sie nicht in das Weltbild dieser Art Mensch passt?

 

Gruß Bernd

Berücksichtigt wurden nur die letzten Kommentare.

Zu allen Beiträgen im Forum zu dieser Veröffentlichung.

 

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