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Forum - Schreiben - Schreibtisch

Entwicklung der Protagonisten in Kurzgeschichten, ja oder nein?

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29.03.2014 um 01:34 Uhr

Hallo miteinander,

 

als Schreibneuling beschäftige ich mich gerade frisch mit der Theorie. Dabei bin ich auf einen Widerspruch gestoßen, der mir seither keine Ruhe lässt. Es geht um den Bereich Kurzgeschichten.

 

Einmal habe ich die Aussage die Protagonisten erfahren eine Entwicklung, dem entgegen jedoch steht die Aussage, dass es nur eine Momentaufnahme ist und somit keine Entwicklung stattfindet. Tendiere auch eher zu Letzterem, bin aber etwas verunsichert.

Eventuelle Befürworter, wie begründet Ihr dies?

 

Bin gespannt was so für Meinungen zusammenkommen.

 

LG 11chen

 

 

 

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Jona Mondlicht

Autor. Korrektor. Teammitglied.

29.03.2014 um 02:07 Uhr

Hallo 11chen,

 

ich würde - bezogen auf Kurzgeschichten! - beide Varianten gelten lassen. Und denke, dass es auf die Handlung ankommt.

 

Beispiel:

 

»Happy Birthday« von poet

Der Protagonist bildet sich eine bestimmte Situation ein, wartet auf sie und dann, als es (seiner Meinung nach) soweit ist, werden er und die Leser überrascht. Eine Entwicklung erfährt der Protagonist nicht, denn die Geschichte endet, bevor er Lehren ziehen oder in irgendeiner Weise die Geschehnisse reflektieren könnte. Das müssen (können) die Leser im Anschluss selbst.

 

Dagegen:

 

»Wildgulasch« von Jona Mondlicht

(Man verzeihe mir, dass ich nun meinen eigenen Text nehme, aber er fiel mir verständlicherweise als erstes ein.)

Der Protagonist gerät in eine Situation, die er meistern muss, durch die sein Verhalten auf den Prüfstand gerät und durch die er am Ende eine Lehre zieht. Er erfährt eine Entwicklung.

 

Beide Texte sind zweifelsohne Kurzgeschichten. In beiden Texten stehen auch Protagonisten aktiv im Mittelpunkt. Der eine entwickelt sich nicht (oder besser: erst nach dem Ende der Geschichte), der andere erfährt im Laufe der Handlung eine Entwicklung.

 

Ich würde mich da auch nicht so in Theorien versteigen. Wichtiger ist mir, dass die Handlung einer Geschichte funktioniert, etwas erzählt, Spannung aufbaut und löst. Wenn die Protagonisten den ihnen zugedachten Part dabei erfüllen, hinterfrage ich nicht, ob sie sich nun in irgendeiner Weise entwickelt haben oder nicht.

 

Klassisch wäre zum Beispiel auch der alte Mann, der am Bahnhof auf einer Bank sitzt und Passanten beobachtet. Während die Geschichte von einem bunten Geflecht aus Gesehenem und Gedachten lebt, erfahren weder der alte Mann noch die Passanten irgendwelche tiefgreifenden Entwicklungen.

 

Bin auf weitere Meinungen gespannt.

 

Viele Grüße

Jona  

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Söldner

Autor. Korrektor.

29.03.2014 um 08:33 Uhr

Eine Momentaufnahme schließt die Entwicklung nicht aus, ich kann aber auch in der Entwicklung einen Stillstand zeigen.

Hier kann man debattieren, streiten, theoretisieren und wird kein Ende finden.

Die Frage ist nicht, ob und wie sich die Handelnden entwickeln, sondern, was ich mit meiner Geschichte zeigen oder erreichen möchte.

Und letztlich machen die Figuren in den Geschichten sowieso was sie wollen.

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Jona Mondlicht

Autor. Korrektor. Teammitglied.

29.03.2014 um 11:12 Uhr

Und letztlich machen die Figuren in den Geschichten sowieso was sie wollen.

 

Seufz... Das Gefühl habe ich manchmal auch.

 

Viele Grüße

Jona

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29.03.2014 um 12:35 Uhr

Ich danke Euch beiden für die Ansichten.

Damit kann ich mich gut anfreunden, es einfach laufen lassen und schauen was kommt ob mit oder ohne Entwicklung.

Hach manchmal sieht man die Dinge wohl doch zu eng und steif, da hilft genau so ein Austausch wie hier mit verschiedenen Blickwinkeln.

Nochmals Danke und ein schönes Wochende weiterhin.

 

LG 11chen

 

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laisvonkorinth

Profil unsichtbar.

29.03.2014 um 14:51 Uhr

Ich denke, es kommt darauf an, was man erzählen oder eventuell auch nur zeigen will.

 

Eine Kurzgeschichte kann von der Handlung leben, diese wird dann gedanklich vom Leser miterlebt. Hier ist es die Handlung, die eine Entwicklung der Protagonisten beinhaltet und als solche auch beschrieben wird, selbst wenn das nur angedeutet geschieht.

 

Möglich ist aber auch eine andere Variante. Ich halte die Kamera auf einen Moment. Das Bild, welches entsteht, ist ein Abbild des Inneren. Wenn Handlung und damit auch Entwicklung beschrieben wird, dann dient dies nur dem Verständlichmachen der Situation, in der die "Kamera klickt macht" - sozusagen. Hier gewinnt der Leser einen Einblick ins Innere des Protagonisten, bekommt eher etwas gezeigt als erzählt. Das erzeugt eher ein Miterleben von Stimmung als von Handlung. Wenn nur das vom Autor gewollt ist, wird aus meiner Sicht keine Entwicklung des Protagonisten benötigt. Das Bild ist fertig, wenn das Gefühl, die Stimmung transportiert worden ist.

 

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Gryphon

Autor.

31.03.2014 um 19:27 Uhr

Literatur darf alles. In der "klassischen" Kurzgeschichte allerdings gibt es keine Entwicklung des Protagonisten im eigentlichen Sinne, um das überzeugend darzustellen, wäre der Umfang wohl auch zu gering. Was es allerdings häufig - oder sogar fast immer - gibt, ist ein Wendepunkt, der den Protagonisten / die Protagonistin seine / ihre Position überdenken oder gar ändern lässt. Was eine Kurzgeschichte, die ihren Namen verdient, allerdings niemals haben darf, ist ein Happy End, sondern grundsätzlich ein offenes Ende.

 

In diesem Sinne sind die meisten hier erschienenen Storys keine Kurzgeschichten.

 

Liebe Grüße von Gryphon, dem Erbsenzähler

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Schattenwölfin

Autorin. Korrektorin. Förderer.

31.03.2014 um 20:07 Uhr

Literatur darf alles. Kurzgeschichten dürfen kein Happy End haben. Sind Kurzgeschichten also keine Literatur, weil sie nicht alles (haben) dürfen?

 

Im Ernst: Wer hat das festgelegt? Wie bindend ist dieser Grundsatz? Wer überwacht das? Gibt es eine Shortstory-Censura? Und dann hänge ich gleich noch eine Frage dran: Wenn Du, lieber Gryphon, schreibst, dass der Umfang einer Kurzgeschichte zu gering sei für eine Entwicklung des Protagonisten, gibt es dann eine Art Höchstgrenze, wie lang so eine Geschichte (etwa) sein darf? Und was ist eine kurze Geschichte, die schon zu lang ist, um eine Kurzgeschichte zu sein?

 

Die Fragen sind ernster gemeint, als sie klingen.

 

Wölfin

 

 

 

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Gryphon

Autor.

31.03.2014 um 23:57 Uhr

Hallo Wölfin,

 

was ich aufgezählt habe, sind die klassischen Erkennungsmerkmale der Literaturgattung "Kurzgeschichte". Es gibt noch einige andere zusätzlich, doch nach denen war nicht gefragt, sondern nur nach nach dem Entwicklungspotential des Protagonisten. Aber wie ich - nicht ohne Absicht - vorangestellt hatte: Literatur darf alles.

Ach so, noch die Frage nach der Länge: durchschnittlich zwischen 500 und 800 Wörtern, Ausnahmen bestätigen aber die Regel, z.B. Bölls "Wanderer, kommst du nach Spa..."

Weitere Erkennungsmerkmale: Einheit von Zeit und Ort wie im klassischen Drama, die Beschränkung auf eine Situation, Alltagssprache der jeweiligen Zeit, in der sie geschrieben wurde, parataktischer, also einfacher Satzbau ohne Verzierungen.

 

Die Geschichten, die hier im Schattenzeilenserver stehen, fallen zum größten Teil unter den Begriff "Erzählung", der sehr viel weiter gefasst ist. Aber auch hier bestätigen die Ausnahmen die Regel: ein großer Teil der Geschichten von Ophion oder auch T.Lagemann sowie einige von Jona Mondlicht - z.B. der Klassiker "Who can say?" - sind Kurzgeschichten im klassischen Sinne.

 

Liebe Grüße von Gryphon

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Schattenwölfin

Autorin. Korrektorin. Förderer.

01.04.2014 um 06:25 Uhr

Vielen lieben Dank für die ausführliche Antwort. Zusammen mit den anderen Merkmalen kann ich die Abgrenzung schon deutlicher nachvollziehen. Und ich glaube, ich stelle mir gerade eine spannende Aufgabe ...

 

Wölfin

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