Beste Mai,
danke für Deinen externen Beitrag. Dein Stück ist Literatur. Ich erkenne nicht nur Handwerk, sondern auch Deinen Sinn für Themen. Mich hast Du mit diesem Text gepackt.
Es ist ein kurzer Text. Und Du wolltest damit etwas illustrieren. Deinem Posting stimme ich in weiten Teilen zu. Ein gutes Beispiel. Aber auch ein gutes Beispiel für verschenkte Ressourcen. Du behauptest, dass Geschichten, die sich über Handlungen ausdrücken, lebendiger wirken. Das sei tatsächlich schwieriger als z.B. der ´erklärende innere Monolog´. Die inneren Monologe, die in Deinem Text ausgeführt sind, hast Du jedoch nicht ausgearbeitet. Und mir fehlen sie. Die Erzählperspektive hätte das locker zugelassen. Aber Du entscheidest Dich für den neutralen Beobachter (im allzu wörtlichen Sinn).
Ich will mal begründen, was mir fehlt.
Von Ehrenmorden weiß ich. Zum Verstehen fehlt mir der kulturelle Hintergrund. Das ist ein seelisch spannendes Thema. Überaus spannend. Die Geschichte forciert sogar die inneren Konflikte. Halils sexuelle Ausrichtung und die Zwillingsgeschwisterschaft mit Aygül spitzen das zu. Was für ein Brennglas! Und dann noch die religiös-konservative Großfamilie, der äußere Druck.
Der Schnellkochtopf enthält alle Zugaben für eine leckere Suppe.
Ich bin am Ende genauso dumm wie vorher. Nein, mir ist nicht nach Pädagogik und Erklärbären. Aber WARUM, verdammt noch mal, lässt sich ein Individuum hinreißen oder nicht hinreißen, seine Schwester umzubringen. WAS IST das mit der Ehre.
Du arbeitest in Deinem Text auf eine "Pointe" hin. Halil löst seinen KIonflikt. Zumindest an diesem Abend. Aber WAS geht in seinem Kopf herum. Ich möchte ihn fragen, so lebendig hast Du ihn gestaltet. Er denkt aber nichts im Text. Aus den Handlungen kann ich nachvollziehen, DASS er kneift, aber ich bin kein Stückchen weiter in meiner Ahnungslosigkeit, was in diesem arabischen oder türkischen jungen Mann hin- und hergewälzt wird. Ein Individuum entscheidet so oder anders, das erfahre ich. Ehre ist doch mehr als sozialer Druck von außen. Was fühlt er? Er kotzt. Aus dieser Handlung kann ich schließen, dass er innere Qualen hat, aber welche. In welchen Worten denkt er Ehre?
Die Geschichte ist rund, in der Kürze ist sie rund, Mai. Als (kurzer) Roman wäre sie für mich absolut empfehlenswert und ich würde sie verschlingen vor Neugier. Die Figuren bekämen mit inneren Monologen oder Erklärungen (Beschreibungen des inneren Geschehens, denn Denken ist auch Handeln) viel mehr Individualität. Dann würde aus einem jungen Türken, der Halil heißt, eine Einmaligkeit und bliebe nicht eine kulturelle Unbekannte. Und dann könntest Du als Autorin, wenn Du wolltest, mir sogar für einen Ehrenmord Verständnis abringen. Oder das Gegenteil. Wie du willst.
Kurz: Alles, was nicht zu filmen ist, wird verbannt. Auch Innere Monologe oder deren Beschreibungen. Diese inneren Handlungen stiften Verstehen. Und sind alles andere als leicht zu bewerkstelligen.