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Forum - Schreiben - Schreibtisch

Detail or Not Detail, das ist hier die Frage!

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Tek Wolf

Autor.

08.04.2023 um 11:57 Uhr

Liebe Schreib-Community,

ich wende mich heute an euch mit einer Frage, über die ich in den letzten Tagen viel nachgedacht habe. Wie viele Einzelheiten braucht ihr, damit euch eine Geschichte gefällt und richtig mitnimmt.

 

Dazu gibt es ja zwei Ansichten. Die eine sagt, dass möglichst viele Beschreibungen ein rundes Bild ergeben und den Leser in das Geschehen hineinziehen. Der Nachteil ist dabei natürlich: wenn die Protagonisten und die Umgebung ausführlich geschildert werden, kommt die Handlung zu kurz. Man fragt sich: Ich möchte nicht wissen, wie die Vorhänge aussehen, sondern was nun passiert!

 

Dem gegenüber steht ein Schreibstil, der so viel wie möglich der Fantasie des Lesers überlässt und schnell auf die Geschehnisse kommt. Aber leidet darunter nicht die Atmosphäre?

 

Was meint ihr, was ist der bessere Stil? Gibt es eine Mischung aus beidem? Und wenn ja, wann ist was am Besten eingesetzt? Ich bin gespannt, was ihr dazu meint, liebes Publikum, liebe Schreibende.

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08.04.2023 um 12:19 Uhr

Lieber Tek Wolf,

 

da sind wir wieder bei der Frage, was ist ein spannender guter Text. Es gibt Bücher - in denen passiert etwas im ersten Satz - andere brauchen 50 Seiten, damit man in der Handlung drin ist. Das erste ist etwa eine Pferdegeschichte für zehnjährige, das andere "Die Brüder Karamasow" von Dostojewski. 

Es gibt also - wie immer - keine leichte Antwort auf eine schwere Frage. 

 

Der Verzicht auf Beschreibung - und Ausbauen des Erzählens und Erlebens finde ich den besseren Weg. Streichung unnötiger Füllwörter, Reduzierung aussageloser belangloser Details, Verstärkung der Gefühle und Verlagerung der Gefühle in Handlung sind glaube ich, der richtige Weg. 

Ich steige bei zu viel Beschreibung aus. Wenn eine düstere Gegend geschildert wird, ist das langweilig. Wenn der Protagonist nur ein Stück vor seinen Füßen sieht, Unheimliches hört, Wind ihn frösteln lässt, der Herzschlag sich beschleunigt, wird das spannend. Diese Spannung entsteht durch eindeutige Verben ohne Adjektive, die zu oft Tempo aus einer Szene herausnehmen.

 

Deinem Nachdenken entnehme ich, dass Du am Arbeiten bist. Ich freue mich auf den nächsten Text von Dir.

Lanika

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08.04.2023 um 13:12 Uhr

geändert am 08.04.2023 um 13:24 Uhr

Lieber Tek Wolf,

 

ich denke, dass du dir an der falschen Stelle Gedanken machst. Es gibt „den Leser“ nicht und dementsprechend kannst du auch nicht so schreiben, dass du ihn befriedigst. Die beste Geschichte wird auf Ablehnung stoßen, wenn der Leser etwas anderes erwartet. Ich nenne hier als Beispiel einmal meinen „Druckpunkt“ der naturgemäß bei allen Lesern auf Ablehnung stieß, die hier Erotik und BDSM erwartet hatten.

Der Leser kann also nicht dein Maßstab sein. Andererseits wiederum doch, denn für den schreibst du ja.

Wie kommst du aus diesem Problem heraus? Indem du die Geschichte so schreibst, dass du sie lesen würdest. Stell dir vor, deine Geschichte würde hier erscheinen, wäre jedoch nicht von dir. Würdest du sie lesen? Ehrlich? Warum? Oder würdest du gähnen, nach den ersten Sätzen aussteigen und sagen: Langweilig, Selbstbefriedigung, schon tausendmal gelesen.

Wenn du das Gefühl hast, dass in deiner Geschichte etwas fehlt, etwas zu viel ist, etwas falsch ist – setz dich ran und änder es. Dein Gefühl hat Recht!

Lies dir deinen Text laut vor und immer an der Stelle, wo dein Mund etwas anderes sagt, als im Text steht, hast du Mist gebaut. Ändern! „Playlist“ habe ich zweimal komplett gelöscht und neu geschrieben und mindestens zwanzigmal überarbeitet. Es gibt da keinen, wirklich keinen Satz, der so ist, wie ich ihn das erste Mal geschrieben habe.

Personen sind das Salz in der Suppe. Wir fiebern mit ihnen, leiden mit ihnen, hoffen für sie. Ob eine lange Beschreibung oder eine kurze, ist völlig egal. Nicht egal ist es, ob sie passt. Du kannst ein Gemälde malen oder mit wenigen Strichen eine Bleistiftskizze – darauf kommt es nicht an, sondern darauf, dass man erkennt, was abgebildet ist.

Gleiches gilt für das „Setting“, also die räumliche und zeitliche Orientierung. Es gibt Geschichten wie zum Beispiel „Das Ventil“ von River, die kommen komplett ohne Setting aus, weil die Geschichte fast nur in der Innensicht spielt. Ein großes Setting würde hier nur vom Wesentlichen, dem Konflikt, ablenken. Im Gegensatz dazu trägt in „Selbsthass“ von Sklavin Sisa das Setting in den Dünen die ganze Geschichte, gibt ihr den entsprechenden Rahmen. Ohne die Dünen wäre die Geschichte nicht komplett.

Es ist deine Entscheidung als Autor, was die Geschichte trägt, was ihr die unverwechselbaren Merkmale aufdrückt und was du benötigst, damit sie stimmig ist. Lass dich nicht davon beeinflussen, dass Beschreibungen von Dingen und Orten, vor allem aber die von Menschen nicht einfach sind und man sich aus diesem Grund gerne davor drückt. Übung macht den Meister und irgendwann macht es sogar Spaß, sich so etwas auszudenken. Auch eine Beschreibung kann spannend sein, lustig, drohend oder eben auch ... langweilig. Es liegt an dir, was davon es wird.

Ich wünsche dir in jedem Fall viel Erfolg und trau dich!

 

Herzlich

TT

 

Ergänzung: Als ich vor ca. zehn Jahren (nachdem meine Geschichten überall zerfetzt wurden) Blut geleckt hatte, habe ich nach Hilfe gesucht und sie bei Andreas Eschbach gefunden. Eigentlich war es das genaue Gegenteil, denn was ich da las, wäre ein Grund gewesen, sofort damit aufzuhören. Heute bin ich froh, es nicht getan zu haben. Vielleicht hilft es dir:

Wie schreibt man eigentlich gut?

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Gregor

Autor.

08.04.2023 um 13:24 Uhr

Meiner Auffassung nach gibt es keine allgemein geltenden Rezepte. Es gibt aber Handwerk und dazu braucht man Handwerkszeug. Lanika hat ein paar Werkzeuge benannt und beschrieben, wie man damit umgeht.

Ich habe ein Werkzeug für dich und das bist du. Wenn du deine Geschichte geschrieben, sie mehrfach überarbeitet hast und dann, so nach der achten Überarbeitung denkst, jetzt ist es gut, dann leg sie zur Seite. Eine Woche genügt. Dann druckst du sie, liest sie erneut, aber nicht als Tek Wolf, sondern als Leser, der sie nicht kennt und schreibst dir an den Text, was dich langweilt, was stört.

Dann überarbeitest du als Tek Wolf und dann liest du sie noch einmal, aber jetzt nicht als Tek Wolf, auch nicht als Leser, sondern als Lektor.

Dann kommt meist was Brauchbares raus (wobei deine Sachen gut sind, es ehrt dich, dass du fragst.)

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Gregor

Autor.

08.04.2023 um 13:31 Uhr

Jetzt haben wir fast zur gleichen Zeit Ähnliches geschrieben, Timothy Truckle. Da brauche ich zum "Großen Saal" nichts kommentieren.

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Tony Baigu

Gelöscht.

08.04.2023 um 14:01 Uhr

Imgrunde keine Frage, die aus Autorenherzen Mördergruben machen muss. Wie TT schon anmerkte, gibt es viele Leser und unzählige  Geschmäcker. Das schließt nicht aus, dass nach Zola und Stendahl Schmachtende "Starwars" nicht verachten oder gar blutrünstige Vampirgeschichten mögen.

 

Sich daran zu orientieren, was die tumbe Masse vielleicht lesen möchte, ist in meinen Augen der falsche Weg. Jeder sollte seinen eigenen gehen. Darin liegt die wahre Kunst.

 

Ob jemand erkennt, was der Künstler gemalt oder gezeichnet hat, wie TT als Anspruch formuliert, ist, auch wenn es mir persönlich nicht zusagt, nebensächlich. Aus dem Innersten muss es kommen. Das sollte ich als Leser spüren. Kein leeres Gerede, keine Selbstdarstellung um des eigenen Egos Willen.

 

Der Inhalt entscheidet. Wird dieser getragen und transportiert?! Leben die Personen, selbst wenn sie wandelnde Leichen oder Untote sind?! Zuvorderst für sich selbst zu schreiben, ist die wahre Kunst.

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Devana

Autorin. Korrektorin. Teammitglied.

08.04.2023 um 14:54 Uhr

Ich stelle immer wieder fest, dass ich eine recht intuitive Schreiberin bin, die sich vorab solche Fragen nie stellt.

Ich arbeite durchaus an meinem Schreibstil, was z.B. die Verwendung von Füllwörtern, schwachen Verben und dergleichen betrifft, aber ich mache mir selten Gedanken über Themen wie zum Beispiel das deine gerade eben.

Das hindert mich aber nicht daran, nachzudenken, wie ich denn diese Themen handhabe. Ich denke, ich habe da ganz intuitiv den goldenen Mittelweg gefunden, indem ich das Setting mit ein paar Stichpunkten schildere, die beim Leser hoffentlich Assoziationen wecken. Dadurch sieht in der Fantasie jeden Lesers das beschriebene Haus, das Zimmer oder die Landschaft ein wenig anders aus, ich gebe nur den Rahmen vor und schreibe im Detail nur Gegenstände, die für die Handlung wichtig sind.

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08.04.2023 um 16:15 Uhr

Lieber Tek Wolf,

Ich glaube, die meisten Ideen, die hier geäußert werden, setzt Du schon um - sonst wären Deine Text nicht so gut und erfolgreich. Das eigentliche Dilemma - wieviel Beschreibung muss sein - ist nicht gelöst. Irgendwo muss ja die Intuition herkommen, was nun passen könnte. Du hast Deinen Stil gefunden und ich finde es mutig den zu hinterfragen, und hier zu diskutieren, wieviel Detailinformation sein darf. Ich bin gespannt, was hier noch an Überlegungen kommt und ob Du etwas für Dich zum Weiterdenken findest. 

 

Für mich ist schon das Mitlesen hier Vergnügen. Danke für das Thema.

Lanika

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Tek Wolf

Autor.

08.04.2023 um 19:24 Uhr

Geschätzte Kommentatoren, ich freue mich, dass meine Frage so ein reges Echo findet und es zu (erstaunlich) langen Antworten führt. Vielen Dank für eure Gedanken und ausführlichen Ideen dazu. Vor allem aber finde ich es schön, dass so viel Aufmunterndes dabei ist. Ich habe, das hätte ich vielleicht erwähnen sollen, das nicht zur Diskussion gestellt, weil ich eine Schreibkriese habe, sondern weil mich andere Perspektiven dazu sehr interessieren.

Vielleicht kann ich hier mit Beispielen besser verdeutlichen, was ich meine. Nehmen wir zunächst den Herr der Ringe, den ich sehr mag. Tolkin steigt in die Hobbitkunde ein, schildert lang und breit Bilbos Geburtstag und bleibt lange bei Frodo im Auenland, bis dieser nun endlich zu seiner Reise aufbricht. Trotzdem wird es nie langweilig. Obwohl wenig Spektakuläres passiert, trägt einen die Erzählung wie ein langsam dahinfließender Fluss weiter und weiter, bis das Abenteuer beginnt.

Anders Pratchett, den ich ebenfalls sehr verehre. Ein Zauberer wandert durch das Gebirge, Wind heult, Blitze zucken, bumm! ein Absatz, Bühne fertig. Los geht es!

Ich weiß, dass es mich begeistert und (ein bisschen) warum. Aber wie steht es mit euch anderen? Wie ist es in BDSM Kurzgeschichten? Ich habe langsam erzählt (in manchen Blackwater & Toy-Geschichten); Bin aber auch schon mal in das Thema reingesprungen (Wenn du etwas liebst ...). Was fandet ihr besser? Und wieso? Persönlicher Geschmack oder könnt ihr den Finger drauflegen?

 

Danke für eure Gedanken und Antworten dazu

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08.04.2023 um 19:34 Uhr

Du hast die Labertasche in mir geweckt. Das, was wir hier machen, kannst du nicht mit "Werken" vergleichen. Romane haben einen ganz anderen Aufbau. Wir schreiben hier Kurzgeschichten und da drücke ich dir einfach mal meine Meinung aufs Auge, ja?

 

Die Kunst des Weglassens

Das Genre der Kurzgeschichte unterliegt nicht wirklich festen Regeln und wer sich genauer darüber informieren will, findet eine sehr gute Beschreibung dazu im Bücher-Wiki. Zuerst ist da die Idee, verschwommen vielleicht noch. Mit jedem Tastenanschlag wird sie präziser, fülliger und in nur kurzer Zeit wird aus dieser Idee ein hübscher Text. Fertig, könnte man meinen und diese Meinung findet ihre Bestärkung in so einigen Traktaten, die im Web herumgeistern.

 

Doch ist das wirklich alles? Schnell etwas hingeschrieben, das einen Anfang, ein Ende, dazwischen einen Spannungsbogen hat und dann ist der Nobelpreis für Literatur nicht mehr fern wie für Alice Munro im Jahr 2013? Ich denke, dass es nicht ganz so einfach ist. Eine wirklich gute Kurzgeschichte hat etwas von einem Eisberg. Das, was der Leser vor sich hat, ist nur die Spitze, doch unter der Oberfläche aus Buchstaben und Satzzeichen lauert ein ganzer Roman, der entdeckt werden will und den nur der Leser sich selbst erzählen kann. Die Kurgeschichte ist nicht mehr als das Fenster zum Hof, in dem die wirkliche Handlung spielt.

 

Was für jeden Roman gelten sollte, wird in einer guten Kurzgeschichte auf die Spitze getrieben – jedes Zeichen, jedes Wort und jeder Satz haben ihre Bedeutung. Nichts ist einfach so hingeschrieben, um nur da zu sein und gelesen zu werden. Weniger ist mehr. So bedeutet das Schreiben einer Kurzgeschichte vor allem eines: Arbeiten. Es ist das Ringen um die maximale Aussage mit so wenig wie möglich Worten. Sie ist ein Katalysator, der die Phantasie des Lesers zündet; ihn dazu bringt, hinabzutauchen unter die Oberfläche seines bewussten Denkens und dort zu erkunden, was sich unter der Spitze des Eisberges verbirgt. Wenn die Geschichte wirklich gut ist, wird er dort jemanden finden, den er kennt: sich selbst.

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