Bester Curiousity,
Wenn Du fragst, wie das funktioniert, ist das eine sogenannte rein akademische Frage; es sei denn, Du fühlst Dich damit unzufrieden oder bist einfach neugierig. Also letzteres.
Ich frage mich nicht, wie mein Körper seine Temperatur regelt, außer ich habe kalte Füße, oder wie meine Blutfettwerte zustande kommen. Das WIE ist eine echte Neugier-Frage. Das WARUM/WIESO fänd ich da schon spannender. Aber okay, es ist ja Deine Frage.
Von Masochisten scheint bekannt, dass sie eine Zahnwurzel-Behandlung ebenso unangenehm finden wie Nicht-Masochisten auch. Mit der Biologie allein kommt man also sowieso zu keiner fertigen Antwort. Da muss wohl mehr „Lernen“ im Spiel sein als die Hardware nahelegt. Zudem: Schmerz ist ein zu 100 Prozent seelisches Ereignis. Wie Farben auch. Es gibt keinen Schmerz außerhalb des Seelischen. Es gibt auch Schmerzen ohne einen physikalischen Reiz, der ihn auslöste. So wie es „Angst“ auch nicht außerhalb meiner selbst gibt. Es gibt Hunde, vor denen ich Angst haben kann, aber das ist kein Angsthund. (Nur für mich gegebenenfalls *g). Es gibt elektromagnetische Wellen bestimmter Wellenlängen, die sind aber nicht bunt. Farbe ist allein im Erleben. (Und ohne Organismen, die wahrnehmen, ist es draußen ´dunkel´, oder irgendwie halt *g; streng genommen auch mit diesen Organismen).
Schmerz ist so definiert, dass er vor wirklichen oder drohenden schädlichen Reizen warnt. Das ist sein biologischer Überlebens-Zweck. Wäre dem anders, würden wir nicht alt und es gäb uns schon nicht mehr. Das, finde ich, ist erst mal anzuerkennen. Und Schmerz schönzureden kann man nur, wenn man gerade gesund, unverletzt und schmerzfrei ist. Sein Zweck ist zu warnen und zwingen. Menschen, die ohne Schmerzfähigkeit auf die Welt kommen, was es gibt, sterben früh.
Dass es hierin auch „Ausnahmen“ bei der internen Verarbeitung gibt, find ich allzu selbstverständlich. Wenn Du fragst, „kann es sein, dass …“ wird man immer mit ja antworten müssen. Der sogenannte Kontext spielt beim Deuten eine entscheidende Rolle. Es kommt darauf an, wer mich zwickt; der Druck allein entscheidet nicht darüber, wie ich darauf reagiere. Wenn ich Bauchgrimmen habe und an das fette Eisbein von gestern Abend denke, ist es halb so wild, denke ich an mein Magengeschwür, das gerade durchbricht, renne ich zum Doc.
Viel verwunderlicher find ich, dass der Normal-Betrieb des Organismus so regelhaft verläuft, als dass er Kapriolen schlägt. Das ist gar nicht selbstverständlich und eine Riesenleistung, sich in jedem Moment als Eins zu fühlen im Bewusstsein, obwohl so viele Teilsysteme im Konzert dirigiert werden müssen. Das nennt man Assoziation. Das Gegenteil ist Dissoziation, wenn einzelne Teilsysteme ausscheren aus dem Konzert. Das erlebt jeder mehrfach am Tag, zum Beispiel wenn mir ein Wort auf der Zunge liegt, mir es aber nicht einfällt, obwohl ich weiß, dass ich es kenne. Oder wenn ich manchmal für Sekunden das Gefühl habe, in einem Film zu sein, also alles irreal. Bei Dauerzustand wird´s krankhaft. Ansonsten sind es nur kleine Stotterer im Motorgetriebe.
Auch der Schmerz kann völlig rausfallen aus dem inneren Konzert; ausgeblendet werden. Im Extremfall, bei schweren Verletzungen zum Beispiel. Manchmal müssen nach einem VKU Verletzte im Wald gesucht werden, weil sie nach Hause gehen wollen. Auch das dient dem Überleben, denn heil wegzukommen, kann sinnvoll sein.
Die Schmerzverarbeitung folgt zudem nicht einem Klingeldrahtmodell, wo mir der Hammer auf den Fuß fällt und oben im Kopf die Glocke schrillt. Dazwischen liegen etliche Verarbeitungsschritte und Pfade im Gehirn. Schon im Rückenmark finden weitreichende Signalverarbeitungen statt: Und zwar in Abhängigkeit des Betriebszustands oben. Auf jeder dieser Etagen können Abweichungen vom Bauplan, Gewöhnungen, Sensibilisierungen, … „Lernen“ also eintreten und sich auch verfestigen. Das Nervensystem ist halt kein Computer, sondern ständig im Umbau. Ohne Fachkräfte, sondern im Do-It-Yourself-Verfahren.
Das mit den Endorphinen ist m.W. die aktuell gängige Erklärung in Deiner Funktionieren-Frage. So what. So funktioniert´s. Oder auch etwas anderes. Irgendwie funktioniert´s, sonst gäbe es Masochisten nicht. Was am Masochismus so rätselhaft ist, ist allein die Tatsache, dass er auf den ersten Blick gegen das hedonistische Modell zu verstoßen scheint, wonach ein Organismus das Angenehme aufsucht und das Unangnehme meidet. Das machen schon Amöben so. Aber bereits Motten schwirren um einen Laternenpfahl, weil sie das Mondlicht mit der Xenon-Lampe verwechseln. Und selbst wenn sie es wüssten, würden sie darum weiterschwirren, weil, gemeinsam macht´s halt mehr Spaß und Partner findet man so auch leichter, vorausgesetzt die Lampe ist nicht zu heiß.
Es gibt auch Menschen, bei denen beim Wahrnehmen von Schall Farbeneindrücke entstehen. Diese kreuzweise Verarbeitung im Hirn ist nachvollziehbar. Viel schwerer ist es, find ich, dass es regelhaft anders ist, nämlich stimmig zugeordnet.
Beim Masochismus sind, nach meinem Dafürhalten, über Lernen (oder auch schon vorher angelegt) zwei Teilsysteme (Lust und Schmerz) enger miteinander im Gleichschritt als üblich. Aber das ist noch keine Fehlfunktion. Denn der Kontext spielt massiv hinein, und es scheint ja auf Sexualität beschränkt (zu der der Zahnarzt meistens schon nicht mehr gehört).
Wirklich verwunderlicher ist das, was man sozialen Masochismus nennen kann. Also, dass Menschen sich immer wieder selbst sabotieren. Wenn eine Frau zum Beispiel das Dritte Mal einen Trinker heiratet, oder einen Schläger, und jedes Mal Schaden nimmt. Aber daran sieht man, wie weit weg das von der Biologie führt: Denn vielleicht folgt sie dem Prinzip Hoffnung, dass es ´diesmal´ anders wird. Oder es ist ein zwingendes Bedürfnis nach Wiederholung, dass ein einmal schädigendes Erlebnis wiederholt aufgesucht wird, um es endlich schadlos abzuschließen und das Leiden damit zu annullieren. Das wäre eine nicht-biologische Erklärung für das Funktionieren von Masochismus dieser Art. Und darin wäre nicht allein Fehlfunktion oder Krankheit zu sehen, sondern das immense Bestreben der Natur, Chancen für Veränderung und Lernen und Heilmachen zu schaffen. Auch wenn das manchmal bizarre Formen annehmen mag.
Ich find Masochismus nur dann dysfunktional, wenn er vom sozialen Schlage ist, oder wenn er in die Vereinsamung führt. Das Wissen über das „Wie“ ist nur dann sinnvoll, wenn man etwas daran ändern möchte (oder halt forschen). Muss man ja nicht. Das Leben ist so kurz, auch für Masochisten. Hauptsache es funktioniert; irgendwie. Und hoffentlich ohne Schaden für sich und andere.
Damit Du nicht denkst, ich erzähle etwas vom Pferd, eine kleine Anekdote, denn ich neige zum Selbst-Ausprobieren. Ich habe mich von einer Frau, der so etwas Genuss verschafft, mal stechen lassen vor langer-langer Zeit, an einer diskreten Stelle, und fand das irre-irre-irre-verbindend in dem Moment, sie zu erleben, und mich in meinem (klein-)Mut, … aber: Es tat einfach nur sau-weh, und: Kein Zweites Mal! Das war aber ihr Vergnügen daran, was mich kickte, und nicht mein Schmerz.
Aber wenn jemand Blut bei so etwas leckt, würd ich es ihm nicht verdenken, denn Stino ist hormonell dagegen nur ein Lüftchen.
28.09.2019 um 21:48 Uhr
Hallo miteinander.
Ich habe mich schon gelegentlich gefragt ob jeder Mensch masochistische Reaktionen erleben kann.
Das hängt natürlich eng mit der Frage zusammen wie so ein masochistisches Erlebnis funktioniert.
Da ich so etwas selbst (jedenfalls bewusst) noch nicht erlebt habe, muss ich mich auf Beschreibungen stützen die ich gelesen habe.
*Mir wurde eine psychische Seite beschrieben, bei der aus dem Eindruck etwas für einen anderen Menschen zu ertragen Befriedigung und / oder Glücksgefühle folgen.
Ich kann es recht gut nachvollziehen, dass es eine Person glücklich machen kann, für einen geliebten Menschen etwas zu tun / aus zu halten. Ich denke diesen Teil können die meisten Menschen nachvollziehen.
*Es gibt auch eine physische Seite, bei der unter geeigneten Umständen der Schmerz, zum Teil mit einem begleitenden Rausch, aus der Wahrnehmung zurück gedrängt wird.
Der physische Teil scheint so ab zu laufen dass der Schmerz langsam ansteigt und irgendwann hinter einer Art Rausch zurück tritt.
Da Medikamente gegen starke Schmerzen (wie Opiate) auch berauschen können, traue ich mich diesen Vorgang auf die körpereigenen Opiate, die Endorphine, zurück zu führen.
Physische masochistische Erlebnisse sind aber wohl nicht immer gleich, jedenfalls habe ich gelesen dass auch bei masochistische Menschen nicht in allen Situationen Schmerzen gleich stark (oder überhaupt merklich) gedämpft werden.
Das ist nicht so einfach nachvollziehbar.
Im Gegensatz zu vielen Medizinern habe ich den Eindruck dass der menschliche Körper vom Gehirn und dadurch von der Psyche (wenn auch unbewusst) ziemlich umfassend beeinflusst, ja gesteuert wird / werden kann.
Die viel zitierten Hormone sind aus meiner Sicht nur der Mechanismus, nicht aber die Ursache,
wenn der betrachtete Effekt denn über Hormone gesteuert wird.
Sonst sind Nerven der Mechanismus um den Effekt zu steuern.
Trifft mein Eindruck zu, kann man auf geeignete Weise (z.B. (Selbst-) Hypnose oder Placebo-Effekt) viele Aspekte des menschlichen Körpers beeinflussen.
Ich habe Grund zu der Annahme das dieser Eindruck (jedenfalls im Bezug auf mich) stimmt
Entsprechend könnte durch die Situation (und deren psychische Interpretation) erheblich beeinflusst werden bei wie viel Schmerz die Dämpfung durch die Endorphine einsetzt und / oder wie stark die Schmerzen (entsprechend der Menge der Endorphine) gedämpft werden.
Wenn diese Überlegungen zutreffen, könnte also jeder Mensch unter geeigneten Umständen masochistische Erlebnisse haben.
Würde man dies weiter untersuchen, könnte man vielleicht / vermutlich (wie eben umrissen) wenigstens die physische Seite gezielt günstig einrichten bzw auf masochistisches Erleben in der vorgesehenen Situation vorbereiten.
So weit meine Vorstellung, wie Masochismus funktioniert.
Passt diese Beschreibung zu Euren Kenntnissen / Erfahrungen?
Ich bin gespannt auf Eure Beiträge.
Lieben Gruß
Curiousity
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