Vormittagsspaziergang
Der Himmel war wieder wolkenlos, sodass die Strahlen der Sonne alles in ihren goldenen Glanz hüllten. Wirkliche Wärme war aber fern, nahte doch inzwischen der Winter. Raureif überzog bereits allmorgendlich Wiesen und Felder, während die Schreiben der geparkten Autos von einer dünnen Frostschicht bedeckt waren. Trotz der niedrigen Temperaturen ließen sich die Leute immer wieder zu einem Spaziergang verführen. Sei es, um die bunte Farbenpracht der herbstlichen Blätter zu bewundern oder einfach die letzte Gelegenheit zwischen sommerlicher Hitze und winterlichem Frost auszunutzen.
Auch Nina und Sebastian waren unterwegs und besuchten einen der vielen Schlossparks. Der Besucherandrang schien hier zwar merklich nachgelassen zu haben, dennoch sah man immer wieder Leute mit erhobenem Regenschirm, die eine willige Gruppe zum nächsten Ort dirigierten. Allerdings waren sie nicht die Einzigen, die an diesem schönen Tag Folgsamkeit einforderten.
"Trödel nicht so lange", wandte er sich an seine Stiefschwester, die leicht zurückgefallen war. "Wir sind ja bald da."
"Es geht nicht darum und das weißt du auch", beschuldigte sie ihn und in ihren meergrünen Augen funkelte es wütend.
Die Wangen der Rothaarigen glühten in einem feinen Rosa, das perfekt zu dem Schal passte, den sie sich um den Hals geschlungen hatte. Natürlich wusste Sebastian, dass dieser nicht nur die Kälte, sondern auch die Blicke der Leute fernhalten sollte. Denn darunter verbarg sich etwas, zu dem nur er den Schlüssel besaß, wortwörtlich.
"Du wolltest wissen, wie es sich anfühlt, es in der Öffentlichkeit zu tragen", fuhr er fort. "Sei froh, dass ich dir die Leine erlassen habe."
"Wie großzügig von dir", grummelte Nina, bei seinem Blick fügte sie jedoch kleinlaut hinzu. "Sir."
"Braves Mädchen", lobte Sebastian sie schmunzelnd.
Als sie daraufhin an ihm vorbei schritt, brachte sie ihn mit ihren zuckersüß vorgebrachten Worten zum Lachen: "Fahr zur Hölle, Sir."