Danke für die Leseempfehlung. Wenn ihr vier Stunden Vortrag ausgehalten habt, dann muss es tatsächlich interessant gewesen sein.
Und doch regt sich in mir Widerspruch.
Das ist ja alles sehr schön und vielleicht auch tröstlich.
Aber egal, wohin ich mich bei der Betrachtung dieser Frage auch wende, ich sehe nirgends Erfreuliches. Klar wäre es schick, wenn ich mir beim Spielen nicht überlegen müsste, was ich morgen anziehe, damit etwaige Male nicht zu sehen sind. Oder wenn die Nachbarn sich unter dem Eindruck meiner Lust- und Schmerzschreie entspannt zurücklehnen würden und wüssten - kein Problem, die spielen nur. Wenn ich bei medizinischen Folgen der Spielerei ohne rote Ohren meinen Hausarzt kontaktieren könnte. Und der sich freuen würde, weil es mir damit so gut geht.
Aber das ist ein reines was-wäre-wenn und „wäre“ ist nicht umsonst gewählt - Konjunktiv II - Ausdruck irrealistischer Sachverhalte. Ein Blick in die Zeitung, einmal an der Tankstelle einen Blick auf die Titelseite einschlägiger Verblödungsjournale geworfen, einmal bei der Sendereinstellung im Radio vertippt und bei irgendeinem Dödelsender (viel reden und nichts sagen) gelandet und du weißt es wieder: Wir leben nicht in einer toleranten Gesellschaft und solange es zum Beispiel die Bildzeitung gibt, wird sich auch daran nichts ändern.
Und wenn dir jemand an Knie ... will, vielleicht weil du dich an der falschen Stelle aus dem Fenster gelehnt hast, und ein bisschen recherchiert, und dich dann hier findet, dann brauchst du vielleicht eine neue Arbeit und mit noch mehr Pech einen neuen Wohnort.
Andererseits - genau genommen ist das auch verständlich. In der Praxis ist es ganz schwer zu unterscheiden, ob im jeweiligen Fall Einvernehmen herrscht oder einer der Partner übergriffig ist.
Wie soll das auch funktionieren? Auch der übergriffige Vergewaltiger wird sagen, dass seine Frau das so will - ja, meinetwegen auch die Vergewaltigerin und ihr Mann. Der gedemütigte Partner wird in vielen Fällen nichts sagen, weil die Abhängigkeit schon zu groß ist. Sind die dann selbst Schuld, wenn sie nicht rechtzeitig NEIN gesagt haben?
Ich weiß, dass ich solche Konstellationen nicht verhindern kann, aber ich will wenigstens ausschließen, dass es in meinem Namen geschieht. Mehr geht ohnehin nur selten und nur im ganz Kleinen.
Ja, ich stimme zu, dass es für Menschen, die mit ihrer Neigung hadern, hilfreich ist zu wissen, dass es diese tolerante Sicht auf die Dinge gibt und das auch fundiert begründet wird.
Trotzdem gehört für mich alles, was mit BDSM zu tun hat, nicht in die Öffentlichkeit. Wir leben nicht in einer toleranten Gesellschaft. Noch lange nicht. Und die Chancen stehen insgesamt eher schlecht.
Gruß
hanne
13.12.2019 um 00:05 Uhr
Kein Roman, ein reines Sachbuch. Wir waren auf einem fast vierstündigen Vortrag der Autorin ("Sadisten: tödliche Liebe"), bei dem sie den Inhalt des Buches und dessen Zielrichtung vorstellte. Auch anhand von konkreten Fallbeispielen. Aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit (u.a. Straftäterpsychologin und Therapeutin) ist sie natürlich fokussiert auf die Darstellung aus psychologischer Sichtweise. Wichtigster Punkt dabei ist, einvernehmliche BDSM-Praktiken klar von kriminellen Handlungen abzugrenzen. Eines ihrer Ziele ist auch, BDSM zu entkriminalisieren und aus der medizinischen Diagnostik zu entfernen. Außerdem der Sensationsgier/-presse sachliche Informationen und Artikel entgegenzusetzen und BDSM als eine ganz normale, selbstverständliche Spielart der Sexualität zu zeigen. Das Buch selbst mit über 500 Seiten haben wir nicht nicht bzw. noch nicht in Gänze gelesen, halten es aber trotzdem für lesenswert. Vor allem die Abgrenzung von einvernehmlichen Sadismus/sadistischen Praktiken innerhalb von BDSM (wie bspw. auch von Matthias Grimme beschrieben und auf Seite 222ff zitiert) zu pathologischen gefährlichem Sadismus könnte möglicherweise für den/die eine(n) oder andere(n) zur Beurteilung der eigenen Situation oder evtl. bei neuen Bekanntschaften hilfreich sein. Auch dass es nichts "Schlimmes" ist, ein Sadist zu sein, sich selber als solcher zu sehen oder zu bezeichnen.
Antworten, Zitieren, Kontaktieren, nach oben