Mein Interesse an japanischer Literatur hat seinerzeit Yukio Mishima geweckt (aktuell wird sein Theaterstück "Madame de Sade" in London aufgeführt). In all den Jahrzehnten gab es da Low- und Highlights (absolut empfehlenswert gerade für BDSM-interessierte ist Yoko Ogawas "Hotel Iris" .
Zu den Lowlights zählt Ryu Murakamis im Februar bei Liebeskind erschienener Roman "Piercing" . Die Geschichte ist schnell erzählt: Kawashima Masayuki funktioniert zwar in Beruf und Ehe gut, aber in ihm sieht es ganz anders aus. Er ist schizophren, hat u.a. Gewaltphantasien, die ihn zu einem Mord drängen. Also plant er ihn. Sein Opfer soll Chiaki Sanada sein, Mitarbeiterin einer SM-Agentur. Auch sie funktioniert im Beruf sehr gut, aber wie Kawashima ist auch sie sehr krank. Und so verläuft der von Kawashima geplante Abend ganz, ganz anders als von ihm (und Chiaki) erwartet.
Der Roman springt auf seinen gerade mal 170 Seiten auf überaus anstrengende Weise zwischen der Handlung und inneren Monologen bzw. Betrachtungen von Kawashima und Chiaki hin und her. Die Beschreibungen der Wahnwelten haben durchaus ihren Reiz, auch die daraus im Wechselspiel mit der Wirklichkeit entstehenden Missverständnisse. Aber wenn sich Kawashima und Chiaki ihre Schizophrenie erklären, dann wird es platt. Und platt sind auch die Gewaltdarstellungen. Daran kann auch der durch seine Sachlichkeit die Gewalt konterkarierende Stil Murakamis nicht ändern. Wirklich gelungen ist an "Piercing" nur der Schluss (ein ganz starkes Ende!)
Der Roman ist wirr, ihm fehlt die klare Linie. Und er ist überfrachtet mit Bedeutung bzw. Erklärungen und verliert dadurch an Tiefe. Schade, da ist ein interessantes Thema verschenkt worden. Vielleicht hat es deshalb 15 Jahre gedauert, bis "Piercing" auf Deutsch erschienen ist.
Wer einen wirklich guten Roman über eine in Gewalt eskalierende Beziehung lesen möchte, der ist mit Ogawas "Hotel Iris" besser bedient.
Viele Grüße
Tobias
"Nur wer riskiert, zu weit zu gehen, kann jemals herausfinden, wie weit er überhaupt gehen kann."(T.S. Eliot)