Lieber Tek Wolf, die Antwort auf deine Frage finde ich ganz einfach: Bleib bei dem, was sich für dich richtig anfühlt! An der Stelle würde ich mich von Seminarleitern und Schreibratgebern nicht irritieren lassen. Irgendjemand hat oben mal erwähnt, dass diejenigen, die Schreibratgeber verfassen, in den seltensten Fällen erfolgreiche Schriftsteller sind. Lediglich zwei Ausnahmen fallen mir spontan ein: Steven Kings "Über das Schreiben", das ich noch nicht gelesen habe, und Haruki Murakamis "Von Beruf Schriftsteller", das weniger ein Ratgeber für das richtige Schreiben als vielmehr für das Durchhalten ist. Murakami meint nämlich, es sei vergleichsweise leicht, einen Roman zu schreiben. Die eigentliche Herausforderung bestehe darin, einen Roman nach dem anderen zu schreiben. (Das aber nur am Rande.)
Ich sehe es wie viele meiner Vorschreiber: Solange du vom Schreiben nicht leben musst, darfst du ganz deiner Muse folgen. Lass die Worte aufs Papier fließen, wie sie wollen, gestalte die Worte, Sätze und Bilder so, wie es dir entspricht, schreibe in der Art und Weise, die dir am meisten zusagt. Einer der schönsten Schreibratgeber, die ich jemals las, stammt von Nathalie Goldberg ("Schreiben in Cafés") und beinhaltet den einfachen Rat, zu schreiben, ohne abzusetzen. Die Worte aufs Papier fließen zu lassen, wie sie kommen. Sie vergleicht das mit der Arbeit des Kompostierens: Indem wir immer und immer weiterschreiben, reichern wir den Kompost an, auf dem irgendwann eine wunderschöne Blume wachsen kann. So empfiehlt sie beispielsweise, alte Texte nach einiger Zeit noch mal durchzugehen, jene Sätze anzustreichen, die uns besonders ansprechen und diese dann wieder zum Ausgangspunkt für neue Texte zu machen.
Auch wenn ich meine Romane und Geschichten heute anders schreibe, so hat diese Methode mich doch sehr inspiriert und ich habe sie eine ganze Weile im handschriftlichen Schreiben, z.B. in meinem Tagebuch, praktiziert. Bei Eva Menasse las ich hingegen neulich in einem Essay, dass ihr Schreiben hauptsächlich darin bestehe, Texte immer wieder umzuschreiben. Jedes Mal, wenn sie an einem Roman sitze, komme der Zeitpunkt, an dem der Schreibfluss versiege. Der Handlungsbogen sei abgeschlossen, es gebe eine natürliche Pause, an der sie beim besten Willen nicht weiterkomme. Dann kehre sie immer zum bereits geschriebenen Text zurück und mache sich daran, ihn umzuschreiben. Das ist vielleicht am ehesten die Technik, mit der ich heute schreibe: Am Anfang fließt der Text relativ spontan und unzensiert aufs Papier, wie bei Nathalie Goldberg beschrieben, und später setze ich mich noch mal dran und überarbeite. Ich habe festgestellt, dass bei mir auch die Melodie eines Textes eine Rolle spielt. (Vielleicht besteht da eine gewisse Verwandtschaft zu Flaubert.) Manchmal tauche ich lange nach dem richtigen Wort - nach jenem, dessen Rhythmus und Klang am besten in den Satz passen, den ich geschrieben habe. Deshalb verwende ich durchaus auch bisweilen die vielfach verpönten Füllwörter, eben weil sie dem Satz den nötigen Takt verleihen.
Kurz und gut: Gerade wenn du das Gefühl hast, dass die Tipps aus Schreibseminaren und Ratgebern dich eher behindern als inspirieren, könnte es befreiend sein, einfach mal wieder deinem spontanen Fluss zu folgen und deinen inneren Kritiker beim Schreiben zum Eis essen zu schicken. Ich lese deine Geschichten jedenfalls immer sehr gerne.