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Forum - BDSM - Ledersofa

Die Bösewichtin

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Schattenwölfin

Autorin. Korrektorin. Förderer.

17.02.2021 um 17:26 Uhr

Ich bin heute auf einen Artikel in der NZZ gestoßen und mich würde Eure Meinung interessieren: Geht die deutsche Sprache mit Frau und Maus unter?

 

Gespannte Grüße 

Wölfin

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Hans Bergmann

Autor.

17.02.2021 um 19:36 Uhr

Wir sollten uns keine Sorgen machen, liebe Schattenwölfin, und das möchte ich mit einer Gedichtstrophe begründen, die vor gut 800 Jahren entstand und die sprachlichen Modernisierungen über die Jahre bis heute eindrucksvoll belegt, denn letztlich ist in den vergangenen hundert Jahren an sprachlichen Änderungen kaum etwas passiert und die Bösewichtinnen der Züricher Zeitung, hoho, die werden wir auf ihren Platz verweisen, wir Deutschfreunde wir, ich sag dir.

 

Walther von der Vogelweide (um 1200)

 

Ahî wie kristenlîche nû der bâbest lachet, swanne

 

er sînen Walhen seit: "ich hânz alsô gemachet".

 

daz er dâ seit, des solt er nie mêr hân gedâht!

 

er gihet: "ich hân zwêne Allamân under eine

 

krône brâht,daz si daz rîche sulen stœren unde

 

wasten, ie darunder wüelen in ir kasten. ich hân

 

si an mînen stok gemennet, ir guot ist allez mîn,

 

ir tiutschez silber vert in mînen welschen schrîn,

 

ir pfaffen ezzent hüener und trinkent wîn

 

unde lânt die tiutschen vasten!"

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Drachenlady

Autorin. Förderer.

18.02.2021 um 02:17 Uhr

Vorneweg mal eins dazu: man kann alles übertreiben, auch die Aufgeregtheit. Viel Lärm um Nichts.

 

Wen zum Henker interessiert denn heutzutage der Duden im täglichen Leben noch wirklich? Außer ein paar beruflich zwangsweise Interessierten. Kann sich vielleicht noch jemand an die unendliche und ebenfalls ziemlich ausufernde Debatte zur neuen deutschen Rechtschreibung erinnern? Welch wahnsinniger Aufruhr und Geschrei, Unterschriftensammlungen dagegen, Debatten pro und contra, der Niedergang der deutschen Sprache wurde heraufbeschworen. Und heute? Nichts mehr davon zu hören. Die einen schreiben weiter wie bisher, und die anderen nehmen halt die neuen Regeln. Experten und solche, die sich dafür hielten, schlugen sich alle möglichen Argumente für und wider um die Ohren. Kommt einen gerade irgendwie bekannt vor, oder?

 

Und damit zum Kernpunkt, wie ich meine:

 

Ich stelle jetzt die Gegenfrage: was ist denn „die deutsche Sprache“? Zuallererst müsste man sich auf die Schriftsprache beschränken, denn das gesprochene Wort mit all seinen Dialekten, ist, ja kann nicht das Maß der Dinge sein. Plattdeutsch, sächsisch, schwäbisch, hessisch, bayrisch, fränkisch natürlich, und die vielen anderen (ich kann sie jetzt wirklich nicht alle aufzählen) haben eher etwas von einer babylonischen Sprachverwirrung als echte Übereinstimmung.

 

Also, wenigstens schreiben tun sie aber alle gleich, oder? Alte wie Junge, Zugereiste wie Einheimische, Männlein wie Weiblein, Proleten wie Professoren. Lassen wir die professionellen Autoren, Journalisten und Germanistikbeflissenen jetzt mal weg und schauen dem einfachen Volk, nein, nicht auf’s Maul, sondern auf die Tastatur. Und auch da sind die wahrnehmbaren Gemeinsamkeiten doch wohl ziemlich übersichtlich. Während die Veränderung im Laufe der Zeit die einzige Konstante ist.

 

Das heute übliche Geschreibsel auf diversen Messengern hat nichts gemein mit den mittlerweile schon fast altertümlich anmutenden Briefen, die früher geschrieben wurden. Das ist einfach nur Realität, keine Wertung. Und damit sind wir dann auch schon bei des Pudels Kern. Was ist denn dabei, was ist schlimm, wenn sich Sprache ändert? Was ist denn daran ein echtes Problem? Sprache ist der Spiegel der Gesellschaft, sie wird durch sie geprägt. Und umgekehrt hat Sprache selbstverständlich einen Einfluss darauf, wie wir etwas wahrnehmen. Und wie sich innerhalb der Gesellschaft ein bestimmter Sachverhalt verfestigt. Persönlich bin ich schon der Überzeugung, dass gerade hinsichtlich der Gleichstellung von Mann und Frau die Sprache mit all ihren Facetten einen nicht unerheblichen Teil dazu beiträgt, ob, wie und wie schnell in allen Bereichen diese gleichberechtigte Stellung sich durchsetzt. Ich bin zum Beispiel froh darüber, dass beispielsweise ein Hausmann kein Exot mehr ist, nicht nur sprachlich. Und dass es kein „Fräulein“ mehr gibt. Wobei ich den Männern diese Anrede mir gegenüber durch die konsequente Verwendung eines „Herrlein“ ihnen gegenüber relativ schnell abgewöhnt hatte.

 

Dass durch manche Überkorrekte dabei ab und zu auch über’s Ziel hinausgeschossen wird, ist nur allzu menschlich. Vor über zwanzig Jahren wollte die städtische Verwaltung Nürnbergs tatsächlich Kaufmänninnen ausbilden.

 

 

Zu beachten dabei ist aber, dass der Gebrauch von Sprache auch immer ausdrückt, ob ich mein Gegenüber wertschätze. Oder eben auch dessen Geringschätzung. Dennoch ist eine geschlechtergerechte Ausdrucksweise weder eine Garantie für Gleichberechtigung noch ist sie eine Zumutung oder gar Gefahr für die so viel zitierte angeblich reine deutsche Sprache.

 

 

Sprache ist beständig im Wandel, es kommen Wörter hinzu und es fallen welche weg. Entweder weil es die Personen, Gegenstände oder Verfahren schlicht nicht mehr gibt (Lehnsherr, Walkman, Glühbirne, Verteilerfinger, usw.). Oder weil neue Erfindungen, Gebräuche und Fremdwörter hinzukommen (Mobiltelefon, Halloween, Zoom-Meeting, googeln, etc.). Die viel geschmähten Anglizismen waren und sind schon immer Teil der deutschen Sprache, genauso wie französische Ausdrücke und alles was sich auf Latein und Griechisch begründet. Wie ich als Teenager das Wort cool verwendete, fielen meine Verwandten halb in Ohnmacht. Genauso wie ich beschloß einen Männerberuf zu lernen.

 

Dieses ganze meiner Meinung nach ziemlich hysterische Getue um die angebliche Sprachverschandelung, egal ob jetzt mit Fremdwörtern, durch Genderisierung oder auch politisch korrekte Bezeichnungen, ist doch völlig überzogen. In einem Artikel von 2014 konnte ich übrigens nachlesen, dass in den skandinavischen Ländern über Gendern überhaupt nicht mehr diskutiert wird, es ist völlig normal und gehört mittlerweile zum Alltag. Beispiel Schweden: vor sieben Jahren wurde das neu definierte geschlechtsneutrale Pronomen „hen“ einfach zusätzlich ins Wörterbuch übernommen. Es ist eine Mischung zwischen „hon“ (sie) und „han“ (er).

 

Also bitte alle wieder runter von den Bäumen. Sprache wandelt sich eben. Und nicht nur die deutsche. Was in der Vergangenheit üblich war, kennt heute oft niemand mehr. Was heute Standard ist, gilt morgen möglicherweise schon als veraltet. Sprache ist immer ein Ausdruck des Denkens und schafft dadurch aber nun mal auch Realität.

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Schattenwölfin

Autorin. Korrektorin. Förderer.

18.02.2021 um 10:31 Uhr

geändert am 18.02.2021 um 16:10 Uhr

Da hat der Bergmann die Bösewichtinnen mit einem sprachhistorischen Winkelzuge Willkommen geheißen. Bravo!

Das mit dem Hinkelsche und dem Woi habe ich auf Anhieb verstanden – was auch immer das über mich aussagt – für den Rest brauchte ich länger, für die Neige die Suchmaschine.

 

Ich habe übrigens kein Problem damit, dass Sprache sich wandelt und entwickelt. Sprache ist lebendig und Leben kein Stillstand. Drachenlady hat das sehr detailliert ausgeführt hat.

Dazu noch ein paar Gedanken:

 

Ich gehe davon aus, dass der Duden eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt; er ist nun einmal das gängige Nachschlagwerk in Sachen Rechtschreibung. In den Schulen wird mit ihm gearbeitet. In Fragen der Rechtschreibung nicht versierte und/oder unsichere Menschen werden ihn über die (Schul-)Ausbildungszeit hinaus nutzen. Ich zum Beispiel verwende ihn hin und wieder, nicht nur in unklaren Rechtschreibfragen.

Der Vergleich mit der Aufregung um die Rechtschreibreform hinkt, wenngleich die Aufregungen selbst Parallelen zeigen. Seinerzeit ging es um die Schreibweise an sich und nicht darum, inwiefern Sprache das Leben beeinflusst, vom Leben beeinflusst wird und dies entsprechend angepasst festzuschreiben ist.

In einem Punkt bekenne ich mich gerne als hysterisch, weil ich in der ein oder anderen „gegenderten“ Wortkreation einen Totschlaghammer für eine schöne – Gefallen macht schön, subjektiv, es geht aber an dieser Stelle schließlich um Meinungsaustauch – Sprache sehe. Im Behördenstil mag das angehen, staatliche Stellen sollten in ihren Schreiben schon die den Gleichbehandlungsgrundsatzes einfließen lassen, und Behördendeutsch ist ja ohnehin nun nicht wirklich ein Highlight der Wortfindung und Satzbildung.

Inwiefern diese Gleichbehandlung dann den Weg über das Papier hinaus ins wirkliche Leben schafft, ist eine andere Frage. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auf diesem Wege etwas in das Bewusstsein drängt. Ich sehe hierin eine in bester Absicht verwendete wertschätzende Formulierung, die vom unterzeichnenden Sachbearbeiter unter Umständen gar nicht mitgetragen wird. Ich befürchte, dass wird im außerbehördlichen Bereich nicht anders sein. Hier versagt das Argument von Sprache als Ausdruck des wahrhaftigen Respekts.

 

Morgengrüße

Wölfin

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Onmymind

Autorin.

18.02.2021 um 23:37 Uhr

Ich gebe es zu, mir rollen sich bei den vielen GenderInnen teilweise die Zehennägel hoch. Ich habe nichts gegen Gendergleichstellung beim Gehalt, doch das geht leider unter. Dafür gibt's die Bösewichtin im Duden. Hurra! Im BDSM Kontext brauche ich auch keine Gleichstellung, da soll Herr bitte bestimmen, ich muss es im Alltag all zu oft. Bleibenden, schadhaften Eindruck haben bei mir zig-seitige Gutachten, die ich "nachgendern" musste, hinterlassen. Das war ermüdend und hat sich dämlich gelesen. Arbeitsbeschaffung vom Feinsten. Technisch war es zusätzlich. Gähn.

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Devana

Autorin. Korrektorin. Teammitglied.

19.02.2021 um 13:53 Uhr

Wenn wir das Gendern betrachten, habe ich meine Meinung mittlerweile ein wenig geändert. Ausschlaggebend war bei mir das Argument, dass man (und auch frau) automatisch meist Männer vor dem geistigen Auge hat, wenn man beispielsweise von Richtern, Anwälten, Ärzten, Geschäftsführern, Professoren und so weiter spricht (oder auch liest). Die Frauen in diesen Berufen korrigiert mein Gehirn verschämt erst im Nachhinein dazu. Testet es einfach mal ganz ehrlich mit euch selbst.

 

Gendert man hingegen, sieht es anders aus und ich kann hier der Argumentation folgen, dass dies langfristig in den Köpfen der Menschen eine Änderung bewirkt. Vielleicht gerade in den Köpfen, die es eben nicht als selbstverständlich ansehen, dass es auch Richterinnen, Anwältinnen, Ärztinnen, Geschäftsführerinnen und Professorinnen gibt. Das an alle als Denkanstoß für diejenigen, die Gendern bisher für Blödsinn halten. Ich habe hier auch erst kürzlich umgedacht. Sprache ist mächtig. Sie kann viel bewirken. Vielleicht auch irgendwann etwas, wenn es um Chancengleichheit und Gehaltszettel geht.

 

Jedoch führt das Gendern zu teilweise wirklich sehr unglücklichen Sprachkonstruktionen. Die deutsche Sprache macht das Gendern nicht einfach, da haben es andere Sprachen einfacher. Aber ich bin gespannt, was sich durchsetzen wird.

 

Letztens habe ich ein Interview im Fernsehen gesehen, in dem die Interviewte ganz selbstverständlich gegendert hat. Sie sprach beispielsweise von Lehrer:innen - also mit einer winzigen, jedoch wahrnehmbaren Sprechpause. Als ich das hörte, konnte ich mir zum ersten Mal vorstellen, dass sich das auf lange Sicht durchsetzen wird. Es stört auch in der geschriebenen Sprache kaum den Lesefluss und nach einer Weile hat man sich daran gewöhnt.

 

Und in Fällen, in denen das nicht geht, muss man eben auf die lange Form zurückgreifen.  Beispielsweise bei "Kunden und Kundinnen". Ich gebe aber zu, dass ich hier auch nicht immer konsequent bin, versuche aber in letzter Zeit, mich hier zu ändern.

 

Schrecklich finde ich hingegen, wenn in Zeitungsartikeln aus Gerechtigkeitsgründen mal die weibliche und mal die männliche Form verwendet wird. Ein paar Zeitungen (ich weiß gerade nicht welche), praktizieren das zum Teil so. Das empfinde ich als sinnentstellend, wenn beispielsweise plötzlich von Verbrecherinnen gesprochen wird und man sich fragt, warum nur von weiblichen Verbrechern gesprochen wird, wo doch alle gemeint sind. Das generische Maskulinum kann man nicht einfach so tilgen.

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dienerin

Autorin. Förderer.

19.02.2021 um 18:16 Uhr

Wie wäre es denn mit:

Die Einkaufenden 

Die Lesenden

Die Lehrenden

...

Mir hilft es manchmal 

 

Dienerin

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Schattenwölfin

Autorin. Korrektorin. Förderer.

20.02.2021 um 08:51 Uhr

Devana

Letztens habe ich ein Interview im Fernsehen gesehen, in dem die Interviewte ganz selbstverständlich gegendert hat. Sie sprach beispielsweise von Lehrer:innen - also mit einer winzigen, jedoch wahrnehmbaren Sprechpause. Als ich das hörte, konnte ich mir zum ersten Mal vorstellen, dass sich das auf lange Sicht durchsetzen wird. Es stört auch in der geschriebenen Sprache kaum den Lesefluss und nach einer Weile hat man sich daran gewöhnt.

 

Mir ist genau das gestern in einer Talkshow aufgefallen. Da hat Dunja Hayali so gesprochen, das fand ich lediglich gewöhnungsbedürftig, diesen „Hänger“ mitten im Wort. Gestört hat es mich nicht. Ich habe mir vorgenommen, darauf zukünftig mehr zu achten. Hier ist die Frage spannend, wie hoch der Anteil an Männern ist, die sich so ausdrücken.

Persönlich ziehe ich die Formel mit den Polizistinnen und Polizisten vor , erst recht bei den geschriebenen Worten, die Verwendung des Doppelpunktes gefällt mir gar nicht.

 

Wölfin

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hanne lotte

Autorin. Korrektorin. Förderer.

20.02.2021 um 21:21 Uhr

Ich finde diese Sprechpause ganz und gar fürchterlich. Und vor allem albern. Ich bin halt lieber außen als innen.

 

Ausschlaggebend war bei mir das Argument, dass man (und auch frau) automatisch meist Männer vor dem geistigen Auge hat, wenn man beispielsweise von Richtern, Anwälten, Ärzten, Geschäftsführern, Professoren und so weiter spricht (oder auch liest). Die Frauen in diesen Berufen korrigiert mein Gehirn verschämt erst im Nachhinein dazu. Testet es einfach mal ganz ehrlich mit euch selbst.

Hab ich gemacht. Kann die Beobachtung so nicht bestätigen.

 

Bei Notar zum Beispiel sehe ich die beiden Frauen vor meinen geistigen Auge, mit denen ich schon mal zu tun hatte, es gibt in meinem Erfahrungsschatz keinen männlichen Notar.

Auch 70% der mit bekannte Ärzte sind weiblich und werden in der Vorstellung so besetzt. Ein gleiches gilt für Professoren. Der einzige Richter, mit dem ich persönlich Kontakt hatte, ist tatsächlich männlich. Mein Quotenmann ...

 

Es hängt also mMn von den persönlichen Erfahrungen ab, inwieweit man in Bezug auf Berufsgruppen ein bestimmtes Geschlecht vor Augen hat.

 

Abgesehen davon ist das auch nicht das Problem, und das liegt nicht mal nur bei der Bezahlung, sondern darin, dass Wertschätzung vor allen den Berufen entgegengebracht wird, die traditionell von Männern besetzt werden. Frauentypische Berufe hingegen stehen auf der Anerkennungsskala deutlich weiter unten. Es hat sich keiner darüber beschwert, dass Erzieher in unserer Vorstellung weiblich sind, auch wenn wir das generische Maskulinum verwenden.

Das ändert sich auch nicht, wenn es mehr Geschäftsführer:innen gibt.

Das Problem ist, dass wir in einem System leben, dass per se Verlierer braucht, um wirkungsvoll zu funktionieren, weil es im weitesten Sinne auf Erpressung beruht. Man muss erfolgreich sein, damit man mitspielen darf.

 

Was mich an dem Genderunwesen am meisten stört, ist, dass diese unbeholfenen Versuche von Aktionismus vor allem eines zeigen: Hilflosigkeit und Kapitulation. Sprache ist ein Spiegel, kein Werkzeug.

 

hanne

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Drachenlady

Autorin. Förderer.

21.02.2021 um 02:58 Uhr

geändert am 21.02.2021 um 03:01 Uhr

Hi Hanne Lotte,

 

 

An einigen Stellen möchte ich Dir, aus meiner Erfahrung heraus, jetzt doch widersprechen.

 

Sprache ist nicht nur Spiegel, sie ist auch Werkzeug und Machtinstrument.

 

 

Sprache ist Macht, bestehende gesellschaftliche Verhältnisse werden damit in den Köpfen der Menschen, häufig unterbewusst, zementiert. Ich bin bei Devana, wenn diese schreibt, dass viel Gesagtes mehr oder weniger „automatisch“ ein männliches Bild erzeugt. Wenn zum Beispiel mein Schwiegervater vom Heizungsmonteur redet, meint er auch den Heizungsmonteur. Eine Frau als Monteurin würde er überhaupt nicht akzeptieren geschweige denn ins Haus lassen. Mein Bruder ist, da sowieso fixiert auf Titel und Hierarchien, wahnsinnig stolz darauf, mit meinem Mann einen Ingenieur in der Familie zu haben. Meine - vergleichbare - Ausbildung interessiert überhaupt nicht. In den vielen Jahrzehnten in der Firma musste ich ständig erleben, dass man mich (und zwar Männer und Frauen) immer wieder ganz automatisch als Sekretärin wahrgenommen hat, weil Frau. Dass ich gefragt wurde, wo denn der „richtige“ Projektleiter sei. Laborelektroniker, Techniker, Ingenieure, Projektleiter, Team- und Abteilungsleiter, Gruppen- und Bereichsleiter gibt es, Frauen oder gar Leiterinnen sind nicht vorgesehen, obwohl vorhanden. Wenn Frau, dann Sekretariat. Oder vielleicht noch Controlling. Eine Firma mit Tausenden von Beschäftigten, und hunderten von technischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Völlig absurd wird es dann zusätzlich, wenn ein und derselbe Begriff unterschiedlich gehandhabt wird, in Ansehen und Bezahlung. Unter einem "Assistent der Geschäftsleitung" stellt sich doch jeder etwas anderes vor als die Assistentin im selben Kontext, bei der man ganz selbstverstänlich nur an die "Vorzimmerdame" vom Chef denkt.

 

So hat jede/r eben eigene Erfahrungen.

 

Ich denke, daß es eine Wechselwirkung zwischen Sprache und Realität ist, das eine bedingt das andere. Wenn ich daran etwas ändern will, muss ich an allen Stellschrauben drehen.

 

 

Nicht zu vergessen ist Sprache als Machtwerkzeug. Ganze Ethnien werden sprachlich ausgelöscht, wenn christliche Eiferer, die, ähnlich China, indigenen Völkern wie den Inuit den Gebrauch ihrer eigenen Sprache nicht nur verbieten, sondern auch bei Missachtung des Verbots zu drakonischen Strafen greifen.

 

 

 

 

Benachteiligung von Frauen durch Sprache kann sich auch in Gesetzen manifestieren. Beispiel Schweiz:

 

 

Vor 1988 gab es im Schweizer Zivilrecht keine Gleichberechtigung. So durfte eine verheiratete Frau ohne Genehmigung durch ihren Ehemann weder arbeiten, noch größere Anschaffungen tätigen oder selber über ihren Wohnort bestimmen. Und bis 1990 durften im Kanton Appenzell Innerrhoden Frauen bei kantonalen Angelegenheiten nicht mitwählen. Die Begründung war simpel: Nach Art. 16 der Kantonsverfassung sind wahlberechtigt „ … Landsleute und Schweizer …“ Dabei sind Frauen nicht mitgemeint. Eine Änderung in „Schweizerbürgerinnen und Schweizerbürger“ (ACHTUNG: Gendern!) wurde von der - ausschließlich männlichen - Landsgemeinde mehrheitlich abgelehnt. Und damit auch das Frauenwahlrecht. Erst nach einer Klage von Frauen wurde dieser Passus vom Schweizer Bundesgericht im Nov. 1990 als verfassungswidrig eingestuft. Und jetzt mokiert sich eine Schweizer Zeitung über’s Gendern in Deutschland? Das entbehrt nicht einer gewissen Geschichtsvergessenheit. (Sarkasmus aus)

 

 

Zurück zum Duden: Auch die "Arztfrau" wurde getilgt (im Osten 1967, im Westen erst 1980) – also die Frau Doktor, die die akademischen Weihen des Herrn Gemahls tragen darf. Allerdings schon sehr zum Leidwesen der Frauen, die es ganz angenehm fanden, ohne eigenes Studium auf dem Standesamt promoviert zu haben.

 

 

Am 16. Februar 1971, also vor 50 Jahren, wurde der Begriff "Fräulein" offiziell aus dem Amtsdeutsch entfernt. Seither ist es nicht mehr notwendig, dass eine weibliche Erwachsene einen Mann heiraten muss, um nachprüfbar als vollwertig zu gelten und nicht mehr als "kleine Frau" abgewertet zu werden. Jetzt regt man sich fürchterlich auf, wenn es ums Gendern geht – aber auch damals wurden diejenigen beschimpft, verspottet und verachtet, die die Abschaffung dieses Begriffs befürworteten.

 

 

Denn: uns ist Sprache ja sooo wichtig! Nicht nur, aber hauptsächlich Leute, die sonst „Schland!“ brüllend umhertaumeln, machen jetzt beim Gendern einen auf Hölderlin (frei nach einem Beitrag in der Heute-Show).

 

 

Unabhängig von dem, was im Duden steht, darf man(n) weiter reden, wie man möchte. Sprache wird an anderen Stellen entwickelt, Änderungen verfestigen sich im Sprachgebrauch (oder auch nicht), nicht, weil es der Duden so will. Nur Behörden und Schulen sind daran gebunden. Und das Ganze bezieht sich nur auf Berufs- und Funktionsbezeichnungen.

 

Übrigens: der Duden beinhaltet aktuell (Auflage 2020) 148.000 Stichwörter. BDSM und submissiv, Dom oder Femdom kommen dabei aber nicht vor. Gibt es das deswegen also auch nicht?

 

Und jetzt noch was ganz flaches zum Schluß: was ist die männliche Form von „Brat“? Bräter!

 

So, genug geschrieben (ich weiß, wieder mal viel zu lang), für's Lesen und die Geduld!

 

Liebe Grüße und genießt die ersten warmen Sonnenstrahlen,

einen schönen Sonntag wünscht

DL (ich könnte mal einen "Drachensmiley" gebrauchen)

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