Wo liegen die Ursachen für sexuelle Neigungen?
*Lächel* Ja, die Frage die sich bei jedem stellt, der (bzw die) sich intensiver mit dem Thema befasst. Fast so elementar wie die Frage nach dem "Wo kommen wir her?"
Die Frage habe ich in den letzten 20 Jahren in der Berliner Szene (anderswo mag es etwas anders aussehen) mehrfach diskutiert und dabei festgestellt das man vielleicht auch die Motivation zum BDSM dabei in Betracht ziehen sollte.
In den 90ern und frühen 2000ern gab es noch relativ wenige Informationen, Treffen bzw Stammtische (die meisten BDSM-Vereine/Organisationen in Deutschland wurden Ende der 90er gegründet.) Dadurch muße man sich doch schon deutlich mehr anstrengen und größere Hürden überwinden um Gleichgesinnte zu finden. Zur Folge hatte das, daß der "intrinsische Leidensdruck" sich mit dem Thema zu beschäftigen bei den Menschen in der Szene bzw Subkultur deutlich höher war.
Inzwischen sind die Informationen (IMHO oft ziemlich verwässert) fast frei und jedermann zugänglich und eine vielzahl von Leuten sind "von außen" also eher extrinsich auf das Thema aufmerksam geworden. Diese , ich will sie mal hedonistische BDSMler nennen, haben eine deutlich andere Motivation. Hier würde ich es eher mit der Vorliebe für eine gewisse Speise, Modestil oder ähnlichem vergleichen. Die Gründe für diese Vorlieben sind sehr vielfältig, zudem können sie sich auch mit der Zeit wieder ändern. - Vielleicht noch als Hinweis aus früheren Diskussionen: Dies ist eine Beschreibung, wie ich es sehe und beinhaltet keine Wertung!
Die Menschen die ich um die Jahrtausendwende im Bereich BDSM und insbesondere im D/s Bereich kennen lernen durfte (überwiegend intrinsische BDSMler)hatten meisten eine ... euphemistisch gesagt: charakterliche Konfiguration, die sie zu solchen Beziehungsformen trieb. - Im SM Bereich habe ich in Gesprächen oft mit bekommen, daß ein gewisse Selbstbestrafung/Selbstverletzung auf den Top übertragen wurde um dadurch "geerdet" zu werden und dadurch ein Ventil für die entsprechenden negativen bzw unerwünschten Gefühle zu bekommen.
Im D/s Bereich habe ich dann eher gesehen, daß sehr viele (und ich nehme mich da nicht aus) D/s-ler Probleme mit Nähe/Distanz haben. Im allgemeinen waren die Doms eher distanziert und hatten Probleme mit (emotionaler) nähe. Während submissive Menschen eher Probleme mit Distanz hatten. Eine durchaus explosive Mischung . Die sich allerdings durch das Gerüst des D/s und die damit erzeugte Formalisierung der Beziehung handhaben ließ. Etlichen Paaren ist es daraufhin durchaus gelungen deutlich langlebige erfüllende Beziehungen zu führen und über die Jahre in ihren persönlichen Themenbereichen deutlich mehr Sicherheit zu gewinnen und diese Schwächen deutlich zu mildern.
Neben den Beobachtungen von außen haben zahlreiche D/s ler beiderlei Geschlechts in meinem Umfeld irgendwann zu den verschiedensten Anlässen professionelle Hilfe aufgesucht. Sei es um Probleme in einer Partnerschaft zu lösen, sich übers ich selber und seine Verhaltensweisen Klarheit zu verschaffen, oder um irgendwelche vorhandenen Traumata zu bearbeiten. Daraus hat sich ebenfalls gezeigt, daß zahlreiche BDSMler durchaus gewisse Tendenzen zu emotionalen Störungen haben.
Mein eigener Therapeut hat das dann recht gut auf den Punkt gebracht: Fast alle Menschen haben an der einen oder anderen Stelle unverdaute (Kindheits-)Traumata, Störungen in der emotionalen Steuerung oder bei der Wahrnehmung der eigenen Emotionen. Das führt im Allgemeinen dazu, daß man sich entsprechende Hilfsmittel, Berufe oder Umfelder schafft, in denen man ohne größeren Aufwand lebensfähig ist. - Mit etwas Einfühlung z.T. sehr gut an verschiedenen Politikern, Sportlern, etc zu sehen, die durch ihre Defizite getrieben hier eben besondere Leistungen zu bringen imstande sind. Entsprechend haben sich eben viele der (frühen) BDSMler dieses Feld als "Ausgleich" gesucht.
Zu den Fragen ob BDSM genetisch bedingt ist kann ich ein klares Nein geben. Das ist Sozialisation auf den verschiedensten Ebenen. Was sich z.B. schon an der Häufigeit des Auftreten erkennen läßt: Wäre es genetisch bedingt, müßte man sich wirklich fragen, warum sich die Zahl der BDSM-Treibenden innerhalb von etwa 15 Jahren von 0,3%-2% der Bevölkerung (Studien in den 90ern) auf 25%-40% (Spitzenwert >80%, bei Studien ab 2010) erhöht hat.
Und ob BDSM therapierbar ist? Es kommt darauf an, welche "Sorte" BDSMler man ist. Bei hedonistischer Motivation ist das sicherlich ein vergeblicher Versuch. Wenn der Hintergrund eine tatsächle "Narbe auf der Seele" ist, kann sich da sicherlich etwas im BDSM evrändern, wenn ein guter(!) Therapeut an die Hintergründe geht. Bei mir selber hat es definiiv Verhaltensschemata aufgebrochen und Unsicherheiten herausgenommen, was mich - man erlaube mir die Selbsteinschätzung- zu einem deutlich besseren, aber auch gemeineren Dom gemacht hat.