„Kannst Du noch?“
Da sie nicht antworten kann und auch den Kopf nicht schütteln, weitet sie ihre Augen.
Er zieht ein weiteres Buch vom Stapel unter ihren Füßen weg. Ihr Körper längt sich um weitere Zentimeter. Das Seil hält. Er lässt seinen Blick daran entlang bis zum Balken unter dem Dachfirst in die Höhe wandern. Ich bin der Zimmermann. Ich bin die Axt, denkt er.
„Kannst Du noch?“
Winzige Schweißtröpfchen pressen sich aus den Poren ihrer bloßen Haut hervor, verlieren den Halt, vereinigen sich zu Perlen der Schonungslosigkeit und rinnen im Zickzack getrieben über Hügel und Täler hinab. Erstarrt versucht er ein Muster darin zu erkennen. Der Nabel als Rückhaltebecken? Und wo wird sich ein See bilden? Doch hoffentlich nicht auf seinem guten Buch. Auch deswegen wischt er es unter den Fußsohlen hinweg und sie steht nun auf den Spitzen ihrer Zehen. Sehnen, Äderchen, winzige Muskeln, was für Kunstwerke! Noch einmal um Buchrückenbreite tiefer und das Seil staubt, als es alles Lebendgewicht dem Balken, um den es gewunden ist, überträgt. Jetzt pendelt sie langsam aus. So leicht. So unbeschwert. Schwebend.
Er prüft ihre Hände, die er warm und weich vorfindet. Ihr sanfter Gegendruck ist Signal genug. Und doch wirkt ihr Leib angespannt, als müsse er sich noch an etwas festhalten. Das ist das Ungewohnte.
Er lässt sie ohne Flügel schweben. Und auf dem Dachboden ist nur Atmen. Konzentriertes, wartendes Atmen. Das Ungewohnte macht Angst. Die braunen Augen schließen sich, und sie wird ganz sanft ohne Schwerkraft. Jetzt lässt sie los. Jetzt hab ich sie, denkt er. Und sie ist wie eines der in der Luft schwebenden Staubteilchen.
Ein Knarren des Balkens zerreißt das gerade gewachsene Vertrauen. Sie reißt die Augen auf, er erschrickt, und beide starren nach oben. Dort jedoch ist Halt.