Ich hatte den Text vor einigen Tagen gelesen, inclusive aller Kommentare und war zunächst der Meinung, es ist alles gesagt und die Welt kann locker auf meinen Senf verzichten. Ich hatte wahrscheinlich auch keine Lust, alles Für und Wider noch mal aufzudröseln. Ach ja, ich gebe zu, bei der Profil-Frage nach dem Typ den Phlegmatiker weggelassen zu haben, aber das liegt in der Natur der Sache.
Doch just heute morgen habe ich in einem anderen Forum von einer "E" gelesen, deren erste Erfahrungen in der Welt des BDSM gründlich schief gegangen waren, die immerhin die Kraft gefunden hatte, sich zu lösen und um Rat zu fragen. Dabei habe ich festgestellt, dass ich mit der Geschichte doch noch nicht durch bin. Immerhin hatte die Lektüre von Text und Kommentaren bei mir ein Gefühl der Unzufriedenheit hinterlassen.
Aber wo fange ich am besten an? Vielleicht zäume ich den Gaul von hinten auf, bei den Kommentaren. Und ich verweise kurz darauf, dass mir eher die französische Herangehensweise der Problembetrachtung liegt, wo man nicht jeder Meinung die Erklärung voranstellen muss, dass es sich hier eben, solange nicht ausdrücklich relativiert, bei allen Darstellungen um eine persönliche Meinung und keine allgemeine Feststellung handelt. Das spart Zeit.
Ich habe gelesen "Subs sind keine Kinder", und damit einhergehend an verschiedenen Stellen die Meinung, jeder ist für sich selber verantwortlich, verbunden mit der sicher richtigen Feststellung, dass außerhalb von BDSM auch schlimme Dinge passieren.
Das ist grundsätzlich richtig, aber im Kontext von BDSM wahlweise blauäugig oder sarkastisch.
Wieso blauäugig? Naja, das Gesetz hat als nahezu einziges Kriterium beim Erwachsen werden das Erreichen eines bestimmten Alters, der Rest ist dem Gesetz egal. Hat sicher auch Vorteile. Aber heißt erwachsen sein nicht, dass man sein Leben selbstbestimmt führen kann, in der Lage ist, vernünftige Entscheidungen zu treffen? Und bedarf es dafür nicht eines gewissen Maßes an Respekt und Verantwortungsgefühls. Wie hoch ist der Anteil an wirklich Erwachsenen in unserer Gesellschaft?
Respekt und Verantwortung ist zum Beispiel unvereinbar mit dem, was gerade in den sozialen Medien passiert. Wirklich Erwachsene veranstalten keinen Shitstorm, um nur ein Beispiel zu nennen. Ich habe beruflich oft mit Menschen zu tun, die schon lange 18 sind, aber noch lange nicht erwachsen.
Jetzt könnte man sagen, selber schuld, das Mädel ist für sich selber verantwortlich, da muss man nicht reinreden. Wenn ich ganz böse wäre, würde ich sagen, das ist natürliche Auslese ...
Aber dass sie überhaupt in diese Situation gekommen ist, ist nicht nur ihr zuzuschreiben. Vor vielleicht zwanzig oder dreißig Jahren hätte sie dazu wahrscheinlich gar keine Gelegenheit gehabt. Sie wäre vielleicht ihr Leben lang unzufrieden gewesen, aber sie wäre sicher nicht in die Lage gekommen, in einem Café über einen Sklavenvertrag nachdenken und sich danach noch anspucken lassen zu müssen. Sie hätte auch all die Flausen über Subs und Doms nicht gehabt. Es gab weder das Internet mit Foren, Geschichten, Videos und diversen Schmuddelecken noch die entsprechende Literatur, von wenigen Ausnahmen abgesehen.
Wenn wir ganz ehrlich sind, müssen wir doch zugeben, dass solche Mädels für die Freiheit, die wir uns in einer Grauzone geschaffen haben, zahlen.
Damit bin ich bei Jona's Text und ich stimme ihm zu, dass es sehr wichtig ist zu warnen, in eindringlichen Worten.
Aber auch mir ist der erhobene Zeigefinger aufgestoßen, viel mehr aber eine Erwartungshaltung, die ich für überzogen halte. Ich weiß nun nicht, in welcher Stimmung dieser Text geschrieben wurde. Aber ich hatte ein bisschen den Eindruck, dass du, Jona, verärgert bist, weil sie sich nicht artig und mit Knicks bedankt hat, mit der Versicherung, jetzt alles richtig zu machen.
Ihr haltet dem Mädel vor, dass sie die falschen Fragen stellt und klischeehafte Vorstellungen hat. (Das bezieht sich freilich nicht nur auf den Text, sonder auch auf Kommentare) Das mit den Vorstellungen stimmt, das mit den Fragen nicht.
Sicher ist es wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, was man möchte und was nicht, wo Grenzen sind.
Aber wie kann ich das herausfinden, ohne zu probieren, woher weiß man, ob die Beziehung zu Rohrstock und Gerte wirklich so erfüllend ist wie beschrieben?
Entsprechende Darstellungen gibt es zu Hauf. Ich hab letzten Sommer im der ersten Begeisterung alle Romane von L. Mignani gelesen. Ich als alte Hexe hab den Realismusgehalt dieser ideal schönen BDSM Gemeinschaft bei etwa 20% angesetzt, bin inzwischen bereit, auch ein bisschen mehr zu akzeptieren. Aber unabhängig davon, ob man das für bare Münze nimmt oder nicht, werden da Erwartungen, Sehnsüchte und Möglichkeiten geweckt. Die guten Geschichten mit dem bösen Ende finden sich nur unter der Ladentheke.
Ich gebe auch gerne zu, dass die alte Hexe so existenzielle Fragen nach angemessener Kleidung und dem richtigen Verhalten viel stärker bewegt haben, bevor wir das erste Mal in einem Club waren. Für ein Mädel, das alleine unterwegs ist, sind solche Informationen noch viel interessanter, denn der Weg zu Erfüllung und meinetwegen auch Liebe führt über jene, die sich schon vor längerer Zeit auf die Reise begeben haben. Es wäre gelogen, würden wir behaupten, dass jeder Neuling vorurteilsfrei empfangen würde. Keiner riskiert freiwillig, aus dem Rahmen zu fallen und sich zu blamieren.
Bliebe die Frage, wie man potentielle Opfer so warnt, dass sie sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlen, und wie man sie erreicht. Der Bedarf ist da und gleichzeitig die Notwendigkeit. Es ist ja eine Tatsache, dass auf der anderen Seite der Peitsche oft genug strafrechtlich relevante Handlungen praktiziert werden, die uns am Ende allen schaden. Keine Ahnung, das ist eine Gradwanderung zwischen zuviel und zu wenig Öffentlichkeit.
Das ist mir also durch den Kopf gegangen heute morgen und nun ist es einigermaßen sortiert und aufgeschrieben.
Gruß
hanne