Vielen Dank für diesen Text!
Das Attentat auf Charlie Hebdo zielt auf den Kern europäischer Werte, auf die Freiheit, und sollte genau das auch. Darum bin auch ich Charlie. Meinungs- und Pressefreiheit will ich niemals angetastet sehen.
Dennoch zögere ich, die Bedrohung durch Terror in Verbindung zu sehen mit meiner alltäglichen Sorge, mich mit meiner Neigung zu outen.
Selbst wenn ich den Fall des Richters aufgreife, der die Öffentlichkeit nicht suchte und doch verfolgt wurde. Wie soll ich eine Gesellschaft beurteilen, in der ich mich über (m)eine Neigung frei äußern kann, vom Gesetz aber für solche Handlungen (nicht für die Meinungsäußerung, oder?) bestraft werde? Wenn ich in einer Demokratie lebe, in der das Volk die Gesetze macht – kann ich anklagen?
Auch wenn ich den sicher häufigeren Fall nehme, dass das Bekanntwerden einer Neigung zu gesellschaftlicher Ächtung, nicht zu Strafe von Gesetz wegen führt – ist dies zu ändern nicht ebenso eine Aufgabe für die Gesellschaft? Eine Aufgabe, die noch nicht bewältigt wurde. Eine Frage der Fortentwicklung und Gestaltung, der Aufklärung, Bewußtwerdung und Diskussion, die eine demokratische Gesellschaft immer wieder und immer weiter durchschreiten muß? Dass ich nun gerade in einer Zeit lebe, in der dieser Prozeß bei der Betrachtung von BDSM noch nicht abgeschlossen ist, ist natürlich Pech. Andererseits hätte ich auch im Mittelalter geboren werden können und wäre womöglich als Hexe verbrannt worden , dann doch lieber jetzt, wo so vieles schon durchschritten ist. Noch dazu bin ich froh in einer Gesellschaft zu leben, die kritisch auch auf sexuelle Neigungen schaut. Z.B. Kindesmißbrauch war in anderen Zeiten eine harmlose und gängige Praxis – das ist heute undenkbar, eben weil wir hinschauen und verändern.
Für mich sind die Schattenzeilen, die in einem Klima der Meinungsfreiheit möglich sind, ein weiterer Schritt hin zu einer Gesellschaft, in der man, ich, meine Neigung öffentlich äußern könnte – wenn ich es dann für nötig hielte – ohne die Folgen fürchten zu müssen. Hier kann auch der Nichtgeneigte Einblicke gewinnen, die Toleranz und Gespräch ermöglichen. Eine Gesellschaft, in der dies möglich ist, will auch ich unbedingt verteidigen gegen Terror und Dummheit.
Deine Gedanken, Jona, haben mir das sehr deutlich ins Bewußtsein gerufen. Ich habe sie sehr gelesen!