Möglicherweise bin ich nicht die einzige, die ein wenig zaudert, zu erklären, ob ich "Neigung" mag - ich bin dennoch geneigt, mich damit zu beschäftigen.
Das liegt zu einem großen Teil an meiner Liebe zu Worten, vor allem zusammengesetzten. Zuneigung beispielsweise ist einfach wunderbar: Vor meinem inneren Auge sehe ich zwei Menschen auf einer Bank im Park, die ihre Oberkörper aneinanderlehnen. Zwei wispernde Mädchen in der Hocke, die die Köpfe zusammenstecken. Ein Liebespaar beim Fotografen, wo beide in Richtung Kamera sehen, aber die Neigung ihrer Köpfe alles verrät.
Eine Neigung ist eine Hinwendung, eine Zuwendung. Die Geneigte behält immer ihren eigenen Schwerpunkt, ihren Standpunkt, ihre Mitte und orientiert sich dennoch am anderen beim Tango. Will man einer Neigung folgen, muß man sich neigen, man beugt sich, läßt sich ein.
Eine Verneigung symbolisiert Respekt, Ehrerbietung, Akzeptanz einer Ordnung. Den Kopf zu neigen rührt aus Gefühlen (es sei denn man konzentriert sich einfach gerade auf den Käfer in der Hand, dann ist es eher Zuwendung) und es kann auch Gefühle verursachen, sich zu neigen.
Eine Neigung ist eine Tendenz, keine festgezurrte Eigenschaft. Ich neige zu viel zu knappen Zeitplänen und zu schnellem Autofahren, Neigungen, denen ich entgegenwirke. Es entspricht meiner Neigung, in der Natur zu sein und ich habe eine Schwäche für Füllfederhalter, die ich glücklicherweise ausleben kann. Eine Neigung ist eine Bereicherung, eine Eigenschaft und Fähigkeit, die einen Menschen sich entfalten läßt, wenn sie ihren angemessenen Raum bekommt. So wie für einen Menschen, der eine Neigung zu Musik hat, Musizieren eine ganze Welt eröffnet.
Eine Neigung ist keine Neigung mehr, wenn die eigene Mitte verlorengeht, wenn man das Maß und den Schwerpunkt verliert. Der Verlust des Gleichgewichtes führt zum Sturz.
Ich mag meine Neigungen, manche mehr und manche weniger.
Neues Wort: Respekt