@alle: Guten Morgen. Auch wenn das Tempo hier in der Schreibübung im Moment ganz schön rasant ist, die Reizworte von dienerin fand ich spannend. Mehr aber noch ihre Aussage, dass man doch bestimmt immer alle Worte einbauen könne. Zu diesen fünf jedenfalls, dies hier:
Erstens kommt es anders, zweitens...
Streng genommen hatte Charlotte nicht wirklich Lust auf eine zweitägige Fortbildung zum neuen Bildungsplan, ein Wochenendseminar. Wusste sie doch, dass sie sich eigentlich ausgerechnet an diesem Wochenende zum ersten Male mit dem Mann treffen wollte, von dem sie nicht wirklich viel wusste. Der es aber geschafft hatte, sie mit Worten, Formulierungen, Ansagen in eine völlig neue, in seine Welt zu holen. In eine Welt, in die sie sich mehr und mehr hinein sehnte, die begann, Platz in ihrem Herzen, ihrer Seele, ihrem Körper einzunehmen. Der aber auch eines ganz besonders konnte, zuhören. Begonnen hatte alles in einem der Internetforen, in denen sich Charlotte schon lange heimisch fühlte. Viele Annäherungsversuche dort hatte sie abgeblockt. Fand sie zu plump, zu einfach, zu stürmisch. Bei ihm war alles anders. Geduldig hatte er sich auf sie eingelassen, ihre Fragen beantwortet, ihr immer das Gefühl gegeben, für sie da zu sein. Anfangs nichts gefordert, die ersten Schritte ihr überlassen.
Lange hatte sie mit sich gehadert, mit sich gekämpft, bis sie sich tatsächlich durchgerungen hatte, sich auf ein Treffen einzulassen. Bisher kannten sie sich nur virtuell, hatte sie seine Worte gelesen, seine Stimme gehört, ihn nie gesehen.
Alles hatte sie perfekt organisiert. Eine Freundin eingeweiht, mit ihr vereinbart, sich in regelmäßigen Abständen bei ihr zu melden. Die Kinder würden das Wochenende bei ihrer Mutter verbringen und jetzt dies. Wie eine Kratzbürste hatte sie reagiert, als die den Termin kurzfristig per E-Mail von ihrem Chef verkündet bekam. Ihn angerufen, ihre Unlust kundgetan, angedeutet, dass es doch sicher wichtigere Dinge gebe.
Kühl und souverän wie immer hatte Dr. Köhler gekontert. Sie auf ihre Stellung hingewiesen, die Möglichkeiten der betrieblichen Kinderbetreuung erläutert. Charlotte gefragt, ob er sich vielleicht auf die Suche nach einer neuen Ausbildungsleiterin machen solle.
Am Abend flossen dann Tränen, als Charlotte völlig aufgelöst, traurig und gleichzeitig voller Wut ihr Wochenendtreffen absagte. Vor allem, da sie wusste, wie schwer es sein würde, einen neuen, gemeinsamen Termin zu finden. Da war die Arbeit, da waren die Kinder, Alltagsbefindlichkeiten, die immer wieder zu Zeitmangel führten. Er aber reagierte auf eine Weise, die Charlotte wieder ein Stück näher zu ihm brachte. War voller Verständnis, sprach mit ihr darüber, wie wichtig der Job für sie als alleinerziehende Mutter ist. Darüber, dass sie versuchen solle, die zwei Tage am Meer, so anstrengend sie auch sein mögen, zu genießen. Gab ihr mit auf den Weg, sich stark zu fühlen, daran zu denken, was er ihr beigebracht, vermittelt hatte. Versprach, bei ihr zu sein, an sie zu denken.
Am Samstagmittag kam Charlotte, nach zweistündiger Autofahrt im Tagungshotel an. Parkte ihr Auto auf dem Hotelparkplatz, machte sich mit ihrem Koffer auf dem Weg an die Rezeption. Nachdem sie eingecheckt hatte, sich auf den Weg zum Fahrstuhl machen wollte, sprach die Frau an der Rezeption sie nochmals an:
„Frau Scholz, das hier wurde für sie abgegeben“.
Ungläubig schauend nahm sie den schwarzen Briefumschlag entgegen.
„Der ist für mich?“
Die Frau an der Rezeption nickte.
„Charlotte Scholz, Seminar zum Bildungsplan, das sind doch sie, oder?“
Charlotte spürte ihr Herz klopfen, als sie den Umschlag öffnete, den Zettel aus Büttenpapier auseinanderfaltete.
21.00 Uhr, Zimmer 423 - wenn Du es wirklich willst.