Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich gerade entdeckte, was meine Sehnsüchte und Fantasien wirklich bedeuteten. Ich kannte mich plötzlich selbst nicht mehr und musste eine Entscheidung treffen, ob ich mich mit dem Entdeckten und damit mit mir selbst auseinandersetzen wollte oder aber all das verdrängen und damit mein Leben in gewohnten Bahnen weiterlaufen lassen wollte. Gebunden an einen Mann, mit dem mich nichts mehr verband als Gewohnheit und die Verantwortung für die gemeinsamen Kinder, einem Mann, der sich über viele Jahre hinweg zunehmend nur noch um sich selbst kümmerte und damit beschäftigt war, seinen Nikotin- und Alkoholpegel konstant hoch zu halten, fiel es mir nicht schwer, mich für neue Wege zu entscheiden. So leicht, wie sich das jetzt hier niederschreibt, war es aber ganz bestimmt nicht. All die Jahre in dieser Ehe mit ihm hatte ich mich mehr und mehr selbst aus den Augen verloren und damit verlernt, meine Bedürfnisse zum einen zu benennen und zum anderen deren Erfüllung einzufordern. Nur in meinen Träumen, in den Fantasien meiner einsamen Nächte sah ich mich auf eine Art, über die ich einfach nie zu sprechen wagte. Die Faszination absoluter Hingabe, die Sehnsucht danach, beherrscht und doch geliebt zu werden, der Traum davon, gefesselt zu sein durch Ketten, Seile und viel mehr noch über die Psyche und den Intellekt– all das blieb viele, viele Jahre unausgesprochen. Mehr oder weniger unbewusst flüchtete ich mich in Arbeit und widmete mich meinen Kindern. Der Mann, mit dem ich unter einem Dach lebte und dessen Mich-Wollen als Frau ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr spürte, sah in mir wahrscheinlich nur noch eine gut funktionierende Haushaltsmaschine, als jemanden, der durch den Beruf auch noch für eine gewisse finanzielle Absicherung sorgte und als Mutter der Kinder, denen sie sich hingebungsvoll widmete. Als Frau, als Weibchen und als begehrenswert fühlte ich mich dadurch natürlich nicht. Ich flüchtete in Arbeit, sagte zu allem Ja, nur um keine Zeit zum Nachdenken zu haben oder nach Hause zu müssen. Ein gesundheitlicher Zusammenbruch erst war nötig, um mich auf meinen neuen Weg zu bringen. Plötzlich hatte ich Zeit zum Nachdenken und für die gezielte Selbstwahrnehmung. Ich sah in den Spiegel, sah ein aus den Fugen geratenes Wesen (oft linderte ich meinen Frust in den Jahren bis zu diesem Zeitpunkt durch Süßigkeiten und andere Leckereien). Ich sah mich mit einem anderen, sehr distanzierten Blick und stellte fest, das bin ganz bestimmt nicht Ich. Irgendwo hinter all den Speckfalten musste es die Frau mit ihren Träumen und Sehnsüchten geben. Ich musste sie nur wieder sichtbar machen. Über Monate hinweg speckte ich die angehäuften Frustkilos ab, wurde plötzlich auch von außen wieder als Frau wahrgenommen und sonnte mich anfangs verlegen, jedoch zunehmend selbstbewusster in den Komplimenten, die ich erhielt. Zugleich entschloss ich mich, mich von meinem Mann zu trennen. Und damit war der Weg frei, zu mir selbst zu finden. Über eine Datingcommunity wurde mir in einem sehr langen Chat gezeigt, was all die Jahre in mir schlummerte. Es bekam einen Namen, der mich zuerst ganz schlimm erschreckte: BDSM. Trotz meines Erschreckens jedoch trieb es mich weiter. Ich wollte wissen, wollte alles wissen, wollte mich endlich erkennen. Mit den zunehmenden Kenntnissen, durch lange Gespräche und auch reale Begegnungen mit Menschen, die so „ticken“ wie ich und auch durch erste Erfahrungen wurde ich mir meiner selbst immer sicherer. Auf dem Weg, den ich bis heute gegangen bin, sollte mir noch einiges begegnen, was für Verwirrung, für Angst, für Unsicherheit sorgte. Aber ich habe auch gelernt: nicht jeden Schuh muss ich mir anziehen, ich habe die Wahl, nur das zuzulassen, was mir guttut. Ich habe gelernt, dass nur durch Liebe die von mir ersehnte Erfüllung durch Hingabe möglich ist, dass Tiefe nur dann entsteht, wenn man auf allen Ebenen, sowohl den geistigen, den zwischenmenschlichen, den sexuellen und denen, die unser Sosein so besonders machen, aneinander wächst. Mit dieser zunehmenden Sicherheit konnte ich mich immer mehr selbst annehmen und akzeptieren, dass ich so bin, wie ich bin. Inzwischen bin ich stolz, diesen Weg gegangen zu sein. Von diesem stillen, verhuschten Etwas aus den Jahren meiner Ehe ist nichts mehr übrig. Durch meine Selbstakzeptanz fühle ich mich zugleich schön und begehrt und bin es auch. Angekommen in einer Beziehung, die erfüllend ist und in der ich mich trotz der oft alltäglich zu meisternden Kämpfe (noch sind nicht alle Altlasten aufgearbeitet) glücklich und geliebt fühle, bin ich heute eine selbstbewusste Frau, die erhobenen Kopfes ihren weiteren Weg geht.
In diesem Sinne war dieser Schritt, dieses Mich-Erkennen eine absolute Befreiung, die zwar einiges an inneren Kämpfen mit sich brachte, aber mich endlich hat so sein lassen, wie ich wirklich bin.