Hallo Scherbenprinzessin,
so viel ist dir schon geschrieben worden, sicherlich hast du eine ganze Menge Input zum Nachdenken. Trotzdem möchte ich dir gerne auch ein paar Zeilen da lassen.
Ich selbst habe meine Neigungen schon in früher Jugend entdeckt. Damals hatte ich noch nicht mal ein Wort für die Bilder, die in meinem Kopf waren. Aber ich "wußte" damals - darüber darf man nicht reden. Und so habe ich meine Phantasien für mich behalten. Ich habe geheiratet, ich hatte Sex, ich bekam Kinder - ohne jemals über meine Gefühle gesprochen zu haben. Der Wunsch danach sie umzusetzen hat mich nie losgelassen.
Deshalb meine Antwort auf deine Frage: Ja, man kann leben ohne seinen Neigungen nachzugehen. Aber, es ist rückblickend für mich nur ein stupides Existieren. Der Moment, in dem ich endlich das erste Mal spüren durfte, wie sich mein Kopfkino in der Realität anfühlt war für mich wie heimkommen, ankommen und doch weitergehen. Ein Gefühl, das für den Alltag erdet, das ausgleicht, das gibt.
Auch meine Ehe hat angefangen Risse zu bekommen, ungefähr nach 9 Jahren, eine Zeit in der anscheinend viele Wandlungen in Beziehungen anfangen. Und in dieser Krise habe ich endlich meinem Mann gestanden, was mich beschäftigt, mittlerweile kannte ich ja dank Internet die richtigen Worte. Was hätte ich zu verlieren gehabt, stand meine Ehe doch sowieso schon an einem Punkt an dem das Ende zumindest denkbar war.
Ich genoß das Gefühl, endlich reinen Tisch gemacht zu haben. Ich genoß es, daß mein Mann wenigstens versuchen wollte, mir das zu geben, was ich wollte. Aber, auch ich konnte ihn nicht ernst nehmen.
Es war schließlich der Mann, den ich als sanften Begleiter kennengelernt habe. Sicherlich im Alltag konnte er immer stark sein, aber wenn es um uns beide ging, griffen doch die Mechanismen der Erziehung (das tut Mann nicht!).
Deshalb möchte ich dir auf den Weg geben, denke mal darüber nach, warum du deinen Mann nicht als Top ernst nehmen kannst? Das hast du hier nicht beschrieben (muß ja auch nicht sein), deshalb frage ich mich, ob du darauf für dich selbst schon eine Antwort gefunden hast. Was kann er dir nicht geben, das du brauchst?
Oft blockieren uns nur die guten alten, eingeschliffenen Verhaltensmuster. Ich persönlich glaube, daß der Weg vom "08/15"-Standard-Ehemann (um es mal böse auszudrücken) zum Dom/Top-Mann schwieriger ist, als sich in die Rolle des submissiven/devoten Parts fallen zu lassen.
Auch unsere Kompromisse haben anfangs schal geschmeckt. Ich selber war auch schon an dem Punkt, an dem ich meinen Mann nicht mehr zum Dom haben wollte. Ich habe lange Zeit gebraucht um zu erkennen, daß ich an seinem Weg zu meinem Dom zu werden, ohne Geduld und einem enormen Paket Verständnis und Toleranz nicht viel ändern kann. Er brauchte die Freiheit selbst auszuprobieren, auch wenn ich gerne innerhalb weniger Monate einen Superdom an meiner Seite gehabt hätte.
Top zu sein, Dominanz auszustrahlen, Macht zu genießen, zu verlangen und zu nehmen und gleichzeitig Vertrauen und Liebe zu geben, die körperlichen Spuren zu sehen, über die anerzogenen Grenzen hinauszugehen, die Möglichkeit des eigenen Versagens zu akzeptieren, das braucht Zeit - gerade für jemanden, der lange Zeit das alles nicht gelebt hat.
Ich habe meinen Mann oft verletzt, indem ich ihm durch meine Reaktionen und teilweise auch in harten Worten mitgeteilt habe, daß ich das Gefühl habe, er sei nicht wirklich dominant, er könnte mich nicht dominieren, weil X und Y und Z in unseren Spielen fehlt.
Und wenn wir ehrlich sind, ein ausgehungertes Subbie das endlich seine Neigungen ausleben kann, eilt mit Sieben-Meilen-Stiefeln und würde am liebsten gleich alles was möglich ist in Lichtgeschwindigkeit und jeden Tag erleben. Man erwartet einen plötzlichen festen Willen, man hat eine klare Vorstellung davon, wie Dominanz zu sein hat, wie sich Dominanz anfühlen muß.
Umgekehrt ist es auch meistens so, daß der Dom, der endlich in seiner Partnerschaft seinen Platz einnehmen kann sein Subbie versucht mitzureißen. Auch der dominante Partner hat Vorstellungen davon, wie die Reaktionen des Submissiven sein sollen, wie sich gegebene Devotheit anfühlt. Vor lauter Abgleichen und in sich hineinspüren bleibt kein Platz mehr, sich wirklich frei zu machen.
Klar, es reizt in diesem Moment, wenn man die Möglichkeit hat, mit einem anderen Partner das alles auszuleben, der diese Phase schon hinter sich hat. Der selbstsicher spielt und dazu noch sympatisch, vielleicht auf seine eigene Art auch noch sehr anziehend ist.
Sicherlich versucht man diesen Weg als Kompromiss um die eigenen Bedürfnisse mit dem in Einklang zu bringen, was man in seiner Partnerschaft erlebt. Und daß es sich unpassend anfühlen kann, hast du ja selbst festgestellt.
Du schreibst, du bist der Meinung, daß er seine sexuellen Wünsche nur alibihalber verwirklichte und gar nicht "echt" dominant sei. Wie definierst du für dich Dominanz? Jeder hat seine eigene Definition, woran er festmacht, ob er einen anderen Menschen als dominant empfindet oder nicht. Vielleicht ist sein Alibihandeln ja sein Weg, überhaupt erstmal in die Anforderung dein Dom zu werden reinzuschnuppern. Auszuprobieren, was er geben kann und geben will? Weiß er denn genau, wie du seine Dominanz erwartest? Vielleicht sucht er ja noch Wege, das rüberzubringen, von dem er weiß/glaubt zu wissen, was du brauchst? Ich glaube, man wird vielleicht dominant geboren, aber so, wie unsere Generation erzogen wurde, und gerade die Männer, wurde vieles der Dominanz aberzogen.
Mag sein, daß meine Gedanken nicht ganz auf euch passen, aber wenn ich mir deine Zeilen so durchlese, habe ich schon das Gefühl, daß dir noch etwas an Mann als Person liegt. Vielleicht habt ihr einfach beide noch nicht die richtige Möglichkeit gefunden euch ausreichend Freiraum zu geben um euch zu entwickeln. Vielleicht habt ihr beide, so wie wir es hatten, zu starre Vorstellungen.
Rückblickend kann ich nur raten sehr offene Gespräche zu führen, herauszufinden, wo der einzelne geduldig kleine Kompromisse eingehen kann und sich selbst nie unter Druck zu setzen. Ich selber hatte öfter den Gedanken: "Wenn er mir nicht endlich das so gibt, wie ich es brauche, muß ich es mir an anderer Stelle holen. Er hat es einfach nicht drauf. Es liegt ihm doch nicht. Er hat doch nicht diese Neigungen. Ich habe mich getäuscht und er wird nie stark genug sein um mein Dom zu sein." Ich selbst habe mir geistige Schranken gezimmert und damit meinem Mann die Möglichkeit genommen mein Dom zu werden.
In dem Moment, in dem ich angefangen habe, nicht mehr auf ein fest definiertes Ziel (die konkrete Umsetzung meiner Fantasie) hinzuarbeiten, sondern habe mich mittreiben lassen in den kleinen Schritten, mit denen unsere BDSM-Beziehung dann sehr langsam wachsen konnte, konnte ich lernen meinen Mann anzunehmen. Damit habe ich ihm die Chance gegeben auf seine Weise mein Dom zu werden, den ich heute sehr ernst nehme, dem ich völlig vertraue, den ich respektiere. Meine Submissivität bedeutete ihn machen zu lassen, meinem Mann die Möglichkeit zu geben seinen eigenen Weg zu gehen. Seinen Weg und nicht meinen Wunschweg.
Es war eine wunderbare Zeit uns selbst und uns als Paar neu zu entdecken, neu zu überdenken und uns weiter zu entwickeln. Auch wenn wir nächtelang miteinander geredet haben anstatt zu schlafen, auch wenn ich oft zurückstecken mußte, auch wenn es manchmal aussichtslos erschien und ich nur noch weinen mußte. Wir wurden nicht Dom und Sub innerhalb weniger Wochen, wir haben Jahre gebraucht um da zu stehen, wo wir heute stehen und es liegt immernoch ein Weg mit Lernen vor uns - BDSM hört nie auf seine Spieler herauszufordern, auf die eine oder die andere Weise.
Auch wenn du dir diesen Weg nicht für dich vorstellen kannst, eigentlich ist mein Beitrag hier gedacht um allen Mut zu machen, die ähnliches erleben. Es besteht die Chance, daß man enttäuscht wird und Konsequenzen tragen muß für seine Neigungen, es kann verletzen, traurig machen und uns verzweifeln lassen. Aber - es kann auch sehr gut ausgehen, wie bei uns. Sicher ist aber, daß unsere Wege uns prägen, uns herausfordern, uns formen und uns wachsen lassen.
Ich wünsche dir viele glückliche Gedanken,
Fea