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Sans,souci.

Eine BDSM-Geschichte von Schattenwölfin.

Vorlesen

Die Polizei bittet um Mithilfe: Unfall ohne Opfer

Am Abend des 17. August wurde ein 75-jähriger Mann auf der Amtsstube der Polizei Rheinsberg vorstellig und berichtete vollkommen aufgelöst, er habe mit seinem PKW, einem alten VW Jetta, auf Höhe von Gut Rettlow eine Radfahrerin von der Fahrbahn abgedrängt. Im Rückspiegel habe er beobachten können, wie sie in den Graben neben der Allee gestürzt sei. Seinen weiteren Angaben zufolge hat er sofort angehalten, den Graben mehrfach abgesucht. Von der Frau sei weit und breit nichts zu sehen gewesen, lediglich das Fahrrad habe dort gelegen.

Angaben zum Aussehen der verschwundenen Frau konnte der alte Mann nur vage machen. Sie sei groß gewesen und mit einer Jeanshose bekleidet. Bei dem Fahrrad handelt es sich um ein Modell aus der Manufaktur Drahtesel. Es ist schwarz und auf dem hinteren Schutzblech befindet sich ein auffälliger roter Aufkleber, eine Triskele. Das Fahrrad ist nicht codiert. In der Fahrradtasche befanden sich neben einer schwarzen Strickjacke eine Puderdose, ein Lippenstift und ein gutes halbes Dutzend Kondome, jedoch nichts, was auf die Identität der Frau hindeutet. Deswegen tappt man weiter im Dunkeln. Hinweise zum möglichen Verbleib der Radfahrerin bitte an die Polizei in Rheinsberg oder jede andere Polizeidienststelle.

 

*

Am Ende des langen dunklen Tunnels blitzen ein paar Sterne auf, ganz langsam wird es hell um mich herum. Mein Kopf brummt, wie er noch nie gebrummt hat. KO-Tropfen, denke ich, jemand muss mir KO-Tropfen in den Cocktail gemischt haben. Ich weiß nicht, wo ich bin. Ich weiß nur, ich erinnere mich an nichts. Ich wollte zu der Party. Bin ich dort angekommen? Habe ich so viel getrunken?

Langsam öffne ich die Augen. Es waren keine KO-Tropfen, schießt es mir durch meinen Brummschädel. Es waren Drogen! So schräg, wie der Typ aussieht, der groß und hoch vor mir steht, müssen Drogen im Spiel gewesen sein. Perücke, ein gepudertes Gesicht, ein langer, schillernder Gehrock. Mein Blick wandert weiter nach unten seine Beine hinab, die bis unters Knie in samtenen Hosen stecken. Darunter weiße Strümpfe und an den Füßen schwarze Schuhe mit glänzenden Metallschnallen.

Ich habe schon einiges gesehen auf den unterschiedlichsten Veranstaltungen. Lack, Leder, Latex, Harnisse, Zwangsjacken und dergleichen, aber so eine Kostümierung noch nie. Wirkt tuntenhaft, denke ich und maßregele mich sogleich, die Toleranz von mir fordernd, von der ich mir wünsche, dass sie mir und meinen Neigungen entgegengebracht wird. 

Außerdem macht der Typ zwar einen komischen Eindruck, ist aber offensichtlich sehr besorgt, denn wie ein aufgescheuchter Hühnervogel hüpft er um mich herum und sagt immer wieder: „Mademoiselle, hören Sie mich? Geht es Ihnen wohl?“

„Nicht so laut“, jammere ich zur Antwort „Mein Kopf tut so weh!“

Jetzt erst bemerke ich, dass ich in einem Graben liege, und in meinem schmerzenden Kopf beginnen die Gedanken zu rotieren. Wo bin ich? Kann ich mich vielleicht deswegen nicht an die Feier in der VerschmerzBar erinnern, weil ich dort nie angekommen bin? Mir wird blumig, Sterne blitzen um mich herum, dann wird es wieder dunkel. Wie durch Watte höre ich noch einmal: „Mademoiselle, hören Sie mich? So sagen Sie doch etwas!“

Es wird wieder heller und ich werde gerüttelt und geschüttelt. Dazu ein Geräusch, das ich kenne, das rhythmische Hufgeklapper trabender Pferde. Bin ich in einer Kutsche? Es riecht. Es riecht komisch. Nicht nach Pferden. Muffig und schwülstig riecht es. Ich blinzele und sehe Samt. Ich näsele und weiß, dass ich auf einem Männerschoß liege. Ich zähle eins und eins zusammen - das schafft der Kopf immerhin - und weiß, auf wessen Schoß, und wer fürsorglich seine Hand auf meiner Schulter ruhen lässt.

Bei allen Göttern, ich habe nicht geträumt. Und ich bin in einer Kutsche. Rasch setze ich mich auf. Zu rasch, denn mir wird gleich wieder schwindelig.

„Mademoiselle, wie schön, so schöne blaue Augen haben Sie, comme le ciel ... wie der Himmel an einem sonnigen Tag. Sehen Sie mich? Hören Sie mich? Wie geht es Ihnen, Mademoiselle? Was macht der Kopfschmerz?“

„Wo bin ich? Und wer sind Sie? Gehen Sie auch zu der Party?“

„Party, Mademoiselle? Je ne comprends pas. Ich verstehe nicht.“

„Sie verstehen Party nicht? Fete?“

Kopfschütteln.

„Feier? Fest?“

Ein Strahlen erhellt das gepuderte Gesicht. „Oui, Mademoiselle, je comprends maintenant! Jetzt verstehe ich! Das Laternenfest. Aujourd’hui. Das Laternenfest der Lustbarkeiten heute Abend. Sie sind eingeweiht? Meine Herrschaft hat mir überhaupt nichts davon erzählt, dass wir eine so“, er mustert mein Lackkorsett und meine Jeans, „außergewöhnliche Besucherin erwarten. Bienvenue! Nur noch wenige Minuten bis wir werden angekommen sein im Schloss.“

Wieso bin ich nicht wirklich überrascht, dass dieser Typ eine Herrschaft hat? Schwuler Sub, denke ich, und maßregele mich sogleich ein zweites Mal.

 „Mademoiselle, erlauben Sie mir, Sie nach Ihrem Namen zu fragen?“

„Ich heiße Konstanze. Und Du?“ Wenn ich mit dem Typen auf eine Fetischparty gehe, wozu dann das alberne Sie?

Er zuckt merklich zusammen ob der vertrauten Anrede, vielleicht ist diese seinem Herrn vorbehalten? Also wechsle ich das Thema „Laternenfest? Ich dachte, heute sei Lack-Leder-Latex-Party ... obwohl“, kurz bin ich versucht dem Namenlosen auf die Schenkel zu klopfen, „dann halt eine Lack-Leder-Latex-Laternen-Lustbarkeiten-Party.“ Unbeholfen lache ich über meinen blöden Scherz und murmele eine Entschuldigung, etwas von wegen der Kopfschmerzen. Laternenfest klingt doch gar nicht übel, wenn ich mich nur vorher etwas ausruhen und frisch machen könnte.

„Mademoiselle, nous sommes arrivé ... hier sind wir schon. Ich lasse sie sofort bringen auf eines der Gästezimmer, dort können Sie sich bis zum Abend ausruhen und Toilette machen vor dem Fest.“ Egal, wie schräg der Typ sein mag, ich liebe ihn dafür, dass der mein dringendstes Bedürfnis zu kennen scheint. Aber Toilette machen? Mein Kopfkino springt in eine Richtung an, die mir nicht wirklich gefällt. Die Kutsche hält, das Kopfkino stoppt.

„Moment, eine Frage noch, Herr ...“

„Jules! Nennen Sie mich Jules, Mademoiselle.“

„Jules, wo ist denn mein Fahrrad?

„Ihr was?“

„Mein Fahrrad!Vélo!! Ein Auto habe ich nämlich nicht.“

„Auto?“, er sieht mich mit großen Augen an.

Gerade beschließe ich, dass nicht ich diejenige bin, die hier unter Drogeneinfluss steht, als jemand die Tür der Kutsche öffnet. Jules steigt aus, reicht mir umständlich galant seine Hand und ich folge ihm. Im Inneren der Kutsche war es recht dunkel, sodass das Licht der hochstehenden Sonne mich nun blendet. Ich muss blinzeln und erblicke vor uns ein prachtvolles Gebäude, klein für ein Schloss, und im typischen Gelb der Mark.

„Wow! Coole Location!!“

„Pardon?“

Der Typ schafft mich, ich bin lieber still und ich schaue mich weiter um. Beim Laternenfest scheint es sich um eine Mottoparty zu handeln. Wie Jules sind die Menschen, die ich erblicke, im Stil des 18. Jahrhunderts gekleidet. Ich sehe flanierende Frauen in weiten Röcken und eng geschnürten Oberteilen. Die Männer sind ähnlich wie Jules angezogen, wobei die Farben der Gehröcke und Hosen variieren. Vielleicht ist das auch gar keine Party, sondern Teil eines Reenactments? Mit meiner Lieblingsjeans falle ich jedenfalls aus der Rolle.

Jules reicht mir nun seinen Arm. „Mademoiselle, erlauben Sie mir, Sie ins Schloss zu geleiten?“

Ich erlaube.

Über eine breite Treppe gelangen wir zu einer hohen zweiflügeligen Tür, die offen steht, und betreten eine beeindruckende Halle. Hier drinnen wuseln allerlei Menschen umeinander und sind beschäftigt. Sie sind gleichfalls gekleidet, als kämen sie aus einer anderen Zeit, aber deutlich weniger elegant als die Frauen und Männer, die ich draußen gesehen habe.

Ein Mann mit Schürze stürmt aufgeregt und mit hochrot glänzendem Kopf auf uns zu und ist sichtlich verzweifelt. „Monsieur Jules, eine Katastrophe droht, eine große, große Katastrophe. Salvatori & Co. haben die Austern und die Hummer noch nicht geliefert! Das Fehlen von diesen deliziösen Spezialitäten ist unverzeihlich“, er senkt die Stimme mit einem kurzen Blick auf mich. „Sie wissen doch selbst, Monsieur Jules, Austern und Hummer“, nun kichert er, „das sind ganz besondere Delikatessen, von denen sich die männlichen Festbesucher eine gewisse Standhaftigkeit versprechen. Ein Laternenfest der Lustbarkeiten ohne Austern und Hummer ist eine Katastrophe, eine große, große Katastrophe. Ich ...“

Jules unterbricht den Mann barsch: „Was langweilt Er mich hier mit solch überflüssigem Getue? Salvatori & Co werden uns beliefern. Ruhig bleiben sollte Er und, statt hier zu lamentieren, sich der Zubereitung anderer Speisen zuwenden. Zurück in die Cuisine mit Ihm. Kümmere Er sich zuerst um die Desserts, wenn das Meeresgetier noch nicht eingetroffen ist.“

Das klingt nun gar nicht devot. Der Küchenmensch zieht ab und Jules sieht sich suchend um. Er findet offensichtlich, was - oder besser wen - er sucht, winkt hektisch und ruft: „Mathilde! Viens! Zu mir, zu mir. Vite, vite, Mathilde, so beeile Sie sich doch!“

Die so Angesprochene kommt mit energischen Schritten auf uns zu, lässt ihren Blick langsam an mir herunterwandern und noch langsamer wieder hoch, sieht mir kurz in die Augen und wendet sich dann Jules zu: „Was, Monsieur Jules, kann ich für Sie tun? Und was“, ihr Kopf deutet zu mir, ohne dass sie mich ansieht, „ist das?“

„Mathilde, ich erbitte mir Höflichkeit. Das ist Mademoiselle Konstanze, ein Gast, ganz exceptionelle ... so besonders. Mais, ... aber quelle malheur, es ist ihr nicht wohl. Und ihre bagages ... das Gepäck von Mademoiselle, es ist verschwunden. Nehmen Sie sich ihrer mit all Ihren Fertigkeiten an. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber sie braucht unbedingt Ruhe und Toilette, damit sie kann teilnehmen am Laternenfest çe soir! Geben Sie ihr ein Gästezimmer, nehmen Sie sich eine der Zofen und gehen Mademoiselle Konstanze zur Hand, wenn sie sich für den Abend zurechtmacht. Und schicken Sie einen der Lakaien nach einer Stärkung aus der Küche für sie. “

 „Monsieur Jules! Sie glauben, ich wüsste nicht, was hier zu tun sei?“, Mathilde hebt eine Augenbraue, woraufhin Jules kurz verlegen zu Boden blickt. Was läuft hier? Von Mathilde werde ich nun förmlich geschnappt. Sie hakt mich unter und zieht mich mehr oder weniger zur Treppe, hinauf in das Obergeschoss und bis zum Ende eines langen Ganges. Dort öffnet Mathilde eine Tür und schiebt mich in ein großes Zimmer.

Die prachtvolle Ausstattung mit aufwendig bemalten Wänden und Gobelins, zahlreichen Lüstern und Leuchtern passt in ein Schloss, da muss sie meinen persönlichen Geschmack nicht treffen. Und offensichtlich hat der Bauherr sein ganzes Geld in eben diese Ausstattung gesteckt und es war nicht mehr genug Kohle für die Einrichtung übrig. Ein Tisch mit vier Stühlen in der Mitte des Raumes, ein weiterer Tisch mit üppigem Blumenschmuck zwischen den beiden großen Fenstern, keine Spur von einem Bett. Ob es sich hinter der spanischen Wand befindet?

„Vielleicht zieht sich Mademoiselle schon einmal aus?“, unterbricht Mathilde meine Überlegungen. „Sie ist fürchterlich schmutzig! Statt einer Frisur hat Sie Gras im Haar hängen. Am besten soll Marie kommen und mir helfen.“ Sie ruft mit glockenheller Stimme und einiger Lautstärke in den Gang zurück: „Mariiiiiiie!!“ Dann wendet sie sich wieder mir zu. „Gemeinsam mit ihr werde ich Sie wohl für die Feierlichkeiten herrichten können.“

Der Ton von Mathilde duldet kein Widerwort und provoziert mich genau zu einem solchen. „Liebe Mathilde“, setze ich an und werde sogleich unterbrochen.

„Comtesse!“

„Meinetwegen, dann eben Comtesse“, ich schnaufe ungeduldig, „Liebe Comtesse, seit meinem vierzehnten Lebensjahr pflege ich mich selbst für die Feten zurechtzumachen, die ich besuche. Ich kenne fließendes Wasser, Seife, Bodylotion, Concealer und Wimperntusche. Ich brauche keine Hilfe, schon gar nicht zwei Hilfen.“ Ich blicke zu der jungen zierlichen Frau, die das Zimmer inzwischen betreten hat. „Ich komme alleine klar und möchte mich erst einmal einfach nur ausruhen, kapiert?!“

Und wo ich mich schon so schön in Rage geredet habe, kann ich nun ebenso gut noch einen draufsetzen: „Und den Imbiss hätte ich gerne schnellstmöglich, mein Magen knurrt nämlich. Und“, nun sehe ich die Comtesse streng an und bohre ihr meinen Zeigefinger ins Brustbein, „Jules wird bestimmt mächtig angefressen sein, wenn er hört, dass ich hungern musste“.

Mathilde sieht mich mit festem Blick an, greift nach meiner Hand und schiebt sie energisch weg von sich. „Wo hat man so etwas schon gehört. Mäßige Sie sich, was glaubt Sie, wer Sie ist? Die Gäste auf dem Laternenfest haben zu gehorchen. So ist das Reglement. Das muss Mademoiselle doch wissen. Sie wird erst sauber sein, bevor es einen Imbiss gibt.“ Ich werde in Richtung der Zofe geschoben.

„Marie, befreie Konstanze von dem Mieder aus diesem absonderlichen Stoff und vor allem von diesem Beinkleid“, ihr Blick schweift noch einmal über meine Jeans, „Wo hat man das denn schon gesehen? Eine Frau in Hosen!“

Behände lockert Marie die Schnüre des Korsetts. Ein Problem stellt für sie jedoch offensichtlich das Beinkleid dar. Hilflos blickt sie zur Comtesse und flüstert errötend: „Pardon, ich habe das noch nie gesehen, ich weiß nicht, wie es funktioniert.“ Ratlos schweigen die beiden sich an, während ich die Schnüre meiner Stiefel öffne, die sich knallrot vom schwarzen Leder und den derben Profilsohlen abheben. Ich kicke das Schuhwerk in eine Ecke des Zimmers, meine Lieblingssocken - rot mit weißen Tupfen - fliegen hinterher.

„Mädels, was soll das, hört doch mal auf mit den Spielchen“, sage ich, öffne den Reißverschluss meiner Jeans und ziehe die Hose aus. Dabei durchsuche ich die Taschen.

„Wo ist mein Handy?“

„Was erzählt Mademoiselle denn nun wieder für einen Unsinn. Redet Sie denn nur dummes Zeug? Was immer ein Henn-Di sein mag“, der Gesichtsausdruck der Comtesse drückt abermals Verachtung aus, „offenkundig ist es nicht da. Wozu braucht Mademoiselle es überhaupt. Die Gäste unseres Hauses bekommen von uns alles, was sie benötigen. Das ist hier schließlich nicht irgendeine Festivität.“

„Marie, erledigen sie die Toilette bei Mademoiselle Konstanze!“, vernehme ich als nächstes, die Stimme von Mathilde ist wieder hell und klar.

„Wie bitte? Ich glaube, es hackt! Niemand wäscht mich. Das mache ich selbst“, zetere ich los.

„Jetzt schweigt Mademoiselle aber still! Oder müssen wir erst handgemein mit ihr werden?!“, funkelt die Comtesse mich an.

Handgemein klingt in meinen Ohren durchaus verheißungsvoll, aber ich stehe nicht wirklich auf Frauen, schon gar nicht auf Spanking mit ihnen. Eine zärtliche Körperpflege, sozusagen als Warm-up für die Party später, die mich in eine erotische Stimmung versetzt, darüber ließe sich schon eher reden. Also folge ich, lediglich noch mit einem schwarzen Stringtanga am Leib, Marie hinter die spanische Wand, und die Comtesse folgt uns.

Hatte ich eine Dusche erwartet? Eine Wanne oder wenigstens einen Bottich? Ich weiß es nicht. Einen Tisch erblicke ich, darauf eine Waschschüssel und einen Krug, ein geschlossenes Weidenkörbchen und einige reich verzierte Dosen. Daneben befinden sich ein Gestell mit weißen Tüchern und ein Stuhl, auf den sich Mathilde setzt.

Ich ziehe auch den Stringtanga noch aus, und Marie gießt Wasser aus dem Krug in die Schüssel, greift zu einem kleinen Lappen und taucht ihn hinein, wringt ihn aus und betupft damit mein Gesicht, meinen Hals und meine Hände bis knapp über die Gelenke. Mit einem trockenen Tuch tupft sie diese Stellen noch einmal ab. Der kalte Lappen und der raue Stoff verschaffen mir eine Gänsehaut, meine Nippel richten sich etwas weiter auf. Beide Lappen verschwinden in einer weiteren Schüssel, die unter dem Tisch steht. Dann öffnet Marie das Weidenkörbchen, nimmt eine Handvoll Rosenblätter heraus und beginnt mich damit einzureiben. Anschließend bürstet sie meine Haare.

Als sie fertig ist, reicht sie mir eine Art Leibchen aus dünnem, weißen Stoff, in das ich hineinschlüpfe. Ich fühle mich tatsächlich frisch. Marie tritt mit einem Flakon auf mich zu und tupft daraus eine Flüssigkeit hinter meine Ohren. Der Geruch erinnert mich an den Wäscheschrank meiner Großmutter. Er passt zu der nostalgischen Atmosphäre hier.

Ich höre Marie wispern: „Comtesse, haben Sie gesehen?“

„Was?“ Die Comtesse spricht laut, über mich hinweg, als sei ich nicht da, was ihren Wünschen wohl recht nahekommt.

„Sie hat keine Haare, Comtesse!“

„Und was hast Du dann gerade gebürstet?“

„Nein, nicht auf dem Kopf, meine ich, Comtesse. Im Schoß hat sie keine Haare, sie ist dort wie ... wie ein Säugling.“

Ein Kopfschütteln bleibt die einzige Reaktion.

Blöde Puten, denke ich, als es an der Tür klopft. Die Comtesse deutet Marie dorthin. Offensichtlich der Lakai mit dem Essen für mich. Brot und Schinken, Käse und Trauben. Marie stellt das Tablett auf den Tisch, gießt Wasser aus einer Karaffe in ein Glas. Die Comtesse zeigt mir mit einer Armbewegung an, dass ich mich setzen soll. Ich esse gierig und ignoriere die beiden auf mir ruhenden Augenpaare. Ruhend? Ich muss gähnen. Mathilde und Marie verstehen offensichtlich, und ich wundere mich nicht mehr über ein fehlendes Bett, als Marie zwei Klappen in der Wand öffnet und mich mit einer einladenden Geste in den Alkoven weist. Ich krabbele hinein. Hier wurde offensichtlich doch gespart, die Nische ist so klein, dass ich mich nicht einmal ausstrecken kann. Also rolle ich mich zusammen, sinniere noch ein bisschen über diesen seltsamen Ort und seine seltsamen Menschen, bevor ich einschlafe.

 

Marie weckt mich und macht erneut Toilette mit mir. Als sie mich wieder mit den Rosenblättern abreibt, stöhne ich lustvoll. Nicht, dass es mich übermäßig antörnt, es geht mir um Maries Reaktion. Sie funkelt mich an, als wolle sie sagen, dass ich sie nicht noch einmal dermaßen provozieren soll. Nun bin ich baff, hätte eher erwartet, dass sie zusammenzuckt und verschämt den Blick senkt. Eins zu null für sie.

Mein Gesicht wird gepudert, die Haare werden gebürstet, weigern sich jedoch hartnäckig, sich von einer der Spangen bändigen zu lassen, die Marie ausprobiert. Schulterzuckend gibt sie auf, um dann ein zusammengeklapptes Gestell zu entfalten. Ich staune nicht schlecht, als ich darin einen Unterrock erkenne, in den ich gespannt hineinschlüpfe. Darüber kommt ein leichter, zweiter Rock und schließlich einer aus einem weinroten, samtartigen Stoff, der mit schwarz glänzenden Fäden in einem floralen Muster durchwebt ist. Ich bin beeindruckt. Mit meinem Lackkorsett kombiniert, wird das bestimmt toll aussehen. Das Korsett, mit dem Marie nun ankommt, lehne ich daher ab. Als sie mir widersprechen will, genügt es, meine Augenbraue zu heben und streng „Marie!“ zu sagen. Es steht eins zu eins. Zumindest bis Marie mir das Korsett anlegt und mit offensichtlich geübten Griffen beginnt, die Schnüre festzuziehen. Sehr fest. Mehrfach habe ich das Gefühl, gleich keine Luft mehr holen zu können. Aber wenn diese Ziege glaubt, dass ich klein beigebe, hat sie sich geschnitten. Ich beiße die Zähne zusammen, atme flach und halte das Unentschieden.

Inzwischen hat Mathilde das Zimmer betreten und weidet sich offenkundig an unserem kleinen Machtspielchen. Sie hat außerdem Schuhe für mich mitgebracht, alberne Schnallenschuhe und vor allem viel zu klein. Es genügt, dass mein Leib den Abend über fest umschlossen ist. Meinen Füßen, die mich durch die Nacht tragen sollen, will ich dergleichen ersparen und bestehe auf meinen Stiefeln. Dem ungläubigen Kopfschütteln der Comtesse zum Trotz bleibe ich hartnäckig und lasse mir von Marie die gepunkteten Strümpfe und meine Stiefel anziehen.

Wenige Minuten später klopft es an der Tür und Jules holt mich ab. Er reicht mir seinen Arm und begleitet mich hinunter. In der Halle ist nichts mehr zu spüren von der Geschäftigkeit am Mittag. Festlich gekleidet streifen Frauen und Männer durch die Räumlichkeiten. Aus dem angrenzenden Saal klingt dazu passende Musik von einem Cembalo.

Eifrige Helfer sind damit beschäftigt, die Kerzen in den zahlreichen Leuchtern anzuzünden. Jules durchquert mit mir die Halle und wir gelangen in einen prachtvollen Saal auf der rückwärtigen Seite des Schlosses, wo Paare und Grüppchen zusammenstehen und sich unterhalten. Durch die geöffneten Flügelfenster kommt laue Sommerluft herein und der würzige Duft eines gut gepflegten, frischen Rasens. Die Fläche scheint sich hinter Hecken und Bäumen in der unvergleichlich schönen märkischen Landschaft zu verlieren, über der langsam der Abend hereinbricht. Bis hin zum Waldrand sind zahlreiche Lampions verteilt. Auf dem Boden, an Sträuchern und Büschen. Es sieht einfach überwältigend aus. Am liebsten würde ich hier stehen bleiben, bis es ganz dunkel draußen geworden ist.

Ein bunt gewandeter Mann kommt auf uns zu und begrüßt meinen Begleiter überschwänglich, plappert von der Stimmung, den lauen Temperaturen, den zu erwartenden Gästen und macht nach beinahe jedem Satz eine kleine Verbeugung in Richtung Jules. Mich betrachtet er gleichermaßen abschätzig wie argwöhnisch. Ist er eifersüchtig?

Schnell beendet Jules die sehr einseitige Unterhaltung, man spürt förmlich sein Unbehagen in der Gegenwart dieses Paradiesvogels. „Ich möchte Mademoiselle Konstanze noch zeigen die anderen Räumlichkeiten und sie bekannt machen mit den Gästen.“ Er rollt mit den Augen und schimpft mehr oder weniger flüsternd in meine Richtung: „Welch ein katzbuckeliger Höfling, ein sehr unangenehmer Mensch!“

„Alltagsdevot, schon klar, ich kann solche Typen auch nicht leiden!“

„Pardon?“

Wir gehen weiter. Daran, dass die anderen Besucher mich teils abfällig, teils belustigt ansehen, gewöhne ich mich schnell. Öffentlich vorgeführt zu werden, ist mir schließlich nicht fremd.

 „Jules, ich habe eine Frage.“

„Mademoiselle?“

„Ich vermisse Schalen oder Körbchen mit den Parisern, wie sie sonst immer auf solchen Feten zu finden sind. Ich hatte welche dabei, in meiner Fahrradtasche, aber die ist ja nun mitsamt dem Fahrrad verschwunden. Ich würde heute Abend gerne auf meine Kosten kommen, Jules, aber Safer Sex nehme ich sehr ernst. Ohne Gummi geht nichts. Oder gibt es einen Automaten? Dann brauche ich ein paar Euromäuse.“

Fragend sehe ich Jules an. Und er mich auch. Mal wieder.

„Ich habe Familie in Paris, aber in Schale? Mademoiselle, Sie kommen mir noch immer vor ein wenig konfus. Ist Ihnen wirklich wohl? Votre tête? Ihr Kopf?!“, fragt er in besorgtem Ton und mehr an sich selbst gerichtet: „Automat? Euromäuse?“ Vielleicht sollte er sich Gedanken um seinen Kopf machen?

„Ich bin okay.“

„O-keh?

„Lass stecken Jules, es geht mir gut.“

Jules scheint zu resignieren, während ich mich frage, wie es um safe, sane und consensual bestellt sein mag, wenn sie hier nicht einmal Kondome gegen die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten bereithalten.

„Nun, Mademoiselle Konstanze, es ist Zeit, dass ich Sie bekannt mache, kommen Sie. Mais ... aber ... en premier verraten Sie mir schnell, auf wessen Empfehlung Sie sind hier, Mademoiselle?“

„Den Tipp habe ich von Katsche bekommen“, antworte ich wahrheitsgemäß. Auf dessen guten Riecher für SM-Events konnte ich mich immer verlassen. Bisher jedenfalls.

„Tipp? Katsche?“

„Mensch, Jules, Du bist aber auch ...! “Mir fällt nicht ein, was Jules ist. „Ich bin hier auf Empfehlung von Master Katsche. Besser?“

„Master?? Katsche?“

Inzwischen sind wir bei drei Männern angekommen, die in der Mitte des Saales stehen. Sie tragen deutlich bescheidenere Kostüme als die Gäste, die bislang unseren Weg gekreuzt haben. Jeweils einen einfachen blauen Gehrock, mit roten Kragen und Armaufschlägen, dazu weiße Hosen, die in schwarzen Stiefeln stecken. Sie sehen recht uniformiert aus, denke ich, und mit etwas Wehmut an die letzte Fetischparty, bei der es ganz andere Uniformen zu sehen gab.

„Ich werde uns zu retten wissen aus dieser Affaire, Mademoiselle“, flüstert Jules mir zu, wohl mehr zu seiner als zu meiner Beruhigung und wendet sich dann an die drei Typen.

„Meine Herren, ich habe die Ehre, Sie bekannt zu machen mit Mademoiselle Konstanze. Leider es ist etwas nicht in Ordnung mit Mademoiselles entzückendem Kopf. Er schmerzt und sie hat keine Mémoire daran, auf wessen Empfehlung sie hier ist. Un accedent ... wahrscheinlich ... ein Unfall.“

Die drei Männer sehen mich aufmerksam an und - wer hätte das gedacht - mit Blicken, die belustigt wirken.

„Mademoiselle Konstanze, unser Invité d’honneur ... wie sagt man? ... Ehrengast ... Alexandre Frederic d‘Inédit und zwei Offiziere seines Regiments, Gebhard und Wichard.“ Jules deutet dezent zunächst auf den mittleren Kerl, dann auf die beiden zu dessen Linken und Rechten. Das Gesicht in der Mitte kommt mir bekannt vor. Aber wo habe ich den Typen schon gesehen? Ich glaube nicht, ihn wirklich zu kennen. Möglicherweise war es in einem dieser Promimagazine, wie ich sie im Wartezimmer der Ärzte oder beim Friseur so leidenschaftlich gerne lese. Monsieur Inédit, das sagt mir nichts, klingt aber jedenfalls geheimnisvoll und spannend. Inédit, das Unausgesprochene, Verborgene. Ob ich es ergründen kann?

„Hey, Alex, freut mich!“, begrüße ich ihn, „Gebhard, Wichard ...“, den beiden anderen Männern nicke ich zu.

Jules schüttelt entsetzt den Kopf. „Mademoiselle, Sie müssen machen einen Knicks!“, ermahnt er mich leise, aber eindringlich.

Ja, ja, denke ich, mit einem Knicks fängt es an und am Ende soll ich mich vor den Typen hinknien.

„Nee, nee“, sage ich, „wann und vor wem ich einen Knicks mache, das entscheide ich schon selbst, lieber Jules.“

Monsieur Inédit - Alex - macht einen kleinen Schritt auf mich zu, mustert mich von oben bis unten und lächelt verschmitzt und solidarisch: „Wie interessant. Ich pflege selbst zu bestimmen, vor wem ich den Hut ziehe. Es scheint, dass Sie mir da ähnlich ist.“

Wie nett von dem Typ. Ich sehe ihn mir genauer an. Seine strahlend blauen Augen sind mir sofort aufgefallen. Er ist kleiner als ich, kommt mir aber vor wie ein Großer, ohne dass ich sagen könnte, warum. Wer ein ganzes Regiment besitzt, der sollte jedenfalls Fall Führungsqualitäten haben. Vielleicht liegt es daran? Egal, es weckt meine Lust, heute Abend von unten zu spielen.

Unterdessen mustert Alex mich ungeniert weiter. Mein gutes Gefühl, was den Typen betrifft, manifestiert sich in einem kleinen, über den Rücken laufenden Schauer.

„Sie liegt wohl im Zwist mit ihrem Schneider?“ Seine Stimme klingt streng und entschlossen und gleichzeitig belustigt, was mein Herz sogleich höher schlagen lässt. Humor hat er offensichtlich auch. Einen Schneider? Ich? Als könnte ich mir einen Schneider leisten.

„Ne, Du, ich habe nicht genug Asche für einen Schneider. Ich kaufe von der Stange!“, antworte ich. Keiner der Typen verzieht eine Mine, Wichard greift sich jedoch dezent in den Schritt.

 „Ob es nun die tumultuösen Vorgänge in Ihrem entzückenden Köpfchen sind oder der Teufelskerl von einem Schneider die Verantwortung hat, können wir getrost vernachlässigen. Und Sie erweist mir nun die Ehre, heute meine Tischnachbarin zu sein?!“

Es ist keine Frage, es ist eine Aufforderung, und mein Herz öffnet sich ein gutes Stück, während mein Kopf sich gegen die Verniedlichung zum Köpfchen verwahrt, dies aber meine Lippen nicht verlässt, sondern stattdessen ein: „Klar, was gibt es denn zu essen?“ Wie es nach dem Essen weitergeht, interessiert mich zwar mehr, aber ich muss ja nicht mit der Tür ins Haus fallen.

„Sie neigt zu vorwitziger Neugierde. Lasse Sie sich doch überraschen, was der Maître du Cuisine zum Gelingen des Festes beizutragen hat.“

Mit einem Jules aus seiner Fürsorge für mich entlassenden Blick reicht Alex mir seinen Arm und begleitet mich an einen der festlich eingedeckten Tische. Wir setzen uns. Unauffällig lasse ich meine Augen über die Tafel gleiten. Schalen, aus denen üppig das Obst quillt, Karaffen mit Wein und Wasser. Vielleicht sind hier die Kondome unauffällig platziert? Mein Blick bleibt an einer kleinen Schatulle hängen, die Alexander zwischen uns gelegt hat.

„Eine Spielzeugkiste im praktischen Format für unterwegs?“, äußere ich meine Vermutung, um dem weiteren Verlauf des Abends einen Impuls in die von mir gewünschte Richtung zu geben.

„Sie möchte, dass wir miteinander spielen?“, kommt prompt die Antwort. Alex hat mich offensichtlich richtig verstanden.

„Möchte Sie vielleicht sogar beginnen?“, fragt er weiter und öffnet die Schatulle, nimmt ein paar Teile heraus und steckt sie zu einer Art Griff zusammen. Mehr kann ich zunächst nicht sehen. Ich frage mich, ob am nächsten Stück die neun Schwänze einer Peitsche befestigt sein werden, und wie er sich hier nun ein Spanking vorstellt. Einfach drauflos? Und wer überhaupt wen verhauen soll? Und geht das nun nicht doch ein bisschen schnell?

Da erkenne ich, dass es sich um eine Querflöte handelt. Alex reicht mir das Instrument. „Nun bin ich wohl gespannt, was Sie darauf hervorbringen möchte.“

Gibt es Zufälle? Seit meinem elften Lebensjahr spiele ich Querflöte. In den letzten Jahren zwar nicht mehr regelmäßig, aber ich werde es schon nicht verlernt haben. Sicher könnte ich etwas spielen, was zu den Klängen von dem Cembalo passt, aber der Schalk geht mit mir durch. Ich stehe auf und hole tief Luft. So tief, wie das in meinem eng geschnürten Korsett möglich ist. Ich flöte das Solo aus Lokomotive Breath von Jethro Tull. Dabei lege ich mich dermaßen ins Zeug, dass Ian Andersen stolz auf mich wäre.

War ja nicht anders zu erwarten, dass die Leute um mich herum nicht vor Begeisterung platzen würden. Ich ärgere mich ein bisschen. Die nehmen das wirklich sehr ernst mit der Zeitreise hier. Erst als mein Tischnachbar, der Ehrengast, der meinem Flötenspiel sichtlich konzentriert gelauscht hatte, aufsteht und zu applaudieren beginnt, fallen die anderen nach und nach in das Klatschen ein. Wie war das noch gleich? Katzbuckelige Höflinge?

Als versöhnlich gemeinte Geste verbeuge ich mich, woraufhin der Applaus sofort eingestellt wird. Was habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Ich komme nicht dazu, der Frage nachzugehen oder sie zu stellen. Alex ist aufgestanden, sieht mich an und sagt: „Ich bin beeindruckt von Ihrem Können, vielleicht erzählt Sie mir etwas mehr von diesen extraordinären Klängen. An welchen Höfen wird dergleichen gespielt?“

Höfen? Hallen vielleicht, Bühnen, aber egal. Ich plaudere munter drauflos und erzähle von Rock am Ring, den Rolling Stones im Frankfurter Stadion, Rosenstolz auf der Waldbühne und meinen heißen Wochenenden in Wacken. Ein kleiner Wegweiser durch die Livemusik meines Lebens.

Interessiert sieht er mich an aus diesen unglaublich blauen Augen, hört mir zu, fragt nach. Langsam gewöhne ich mich an seine merkwürdig anmutenden Formulierungen. Neben dem speziellen Dresscode ist dies vielleicht ein Sprachcode, Teil des Spiels? Alex‘ Interesse gilt bald offenkundig nicht mehr nur unseren Themen. Über die Musik und Literatur - die aktuellen Bestseller scheint er nicht zu kennen -,  sind wir bei der Philosophie angelangt. Percht kennt er auch nicht und ich beschließe, ihm „Wer bin ich - und wenn ja wie viele“ zu schenken, wenn wir uns wiedersehen sollten, Philosophie von der Bestsellerliste, zwei Fliegen mit einer Klappe. Im Verlauf unserer Unterhaltung richtet Alex seine Blicke immer häufiger und vollkommen ungeniert auf mein Dekolleté, wobei seine Augen noch mehr zu strahlen scheinen. Marie hat aber auch ganze Arbeit geleistet, um es aufreizend präsentieren zu können.

Nachdem wir unseren Geist gegenseitig gefüttert haben, wird es Zeit, etwas für das körperliche Wohlbefinden zu tun. Ich habe einen Mordshunger und endlich wird das Essen serviert. Mit knurrendem Magen zu spielen, wäre aber auch zu blöd gewesen.

Terrinen mit verschiedenen Suppen werden gebracht. Braten und Geflügel, aufwendig dekoriert auf schweren silbernen Platten. Sehr fleischlastig das Ganze. Gemüse fristet daneben ein eher fades und verkochtes Dasein. Immerhin, Salvatori & Co haben noch geliefert, denn es gibt Austern und Hummer in Massen.

Die Männer schlagen bei den Austern zu. Ich gönne ihnen das Meerwasser in Glibberform, nicht zuletzt wegen der aphrodisierenden Wirkung und beobachte wohlwollend, dass Alex locker ein Dutzend davon schlürft. Dafür schlage ich beim Hummer tüchtig zu, es ist ja genug da. Eifriges Personal schenkt Wein nach, sobald er in einem Glas zur Neige geht.

Nach dem Essen wird zum Gesellschaftstanz aufgespielt. Wie die Frauen und Männer sich miteinander und umeinander zu den Klängen bewegen, kommt mir einerseits verhalten vor, was wohl an dem sittsamen Abstand zwischen den Tanzenden liegt. Andererseits ist es gleichermaßen verspielt und verwegen, wie Blicke ausgetauscht werden und sich immer wieder neue Paarungen bilden. Für einen Augenblick beschleicht mich das Gefühl, ich sei tatsächlich in eine andere Zeit katapultiert worden. Was im Zeitalter von höher, schneller und weiter allenfalls belächelt wird, hat hier den Hauch von etwas Andersartigem, Verruchten. Ich kenne Strafböcke, das Andreaskreuz, die öffentliche Vorführung und Benutzung. Hier auf der Party wirkt bereits ein beherzter Kniff in den Arsch der Mittanzenden geheimnisvoll erregend. Immer wieder werde ich Zeuge solcher eindeutigen, erotischen Gesten.

Alex fordert mich auf. Ich komme mir wie ein Tanzbär vor, zwischen den anmutigen Schritten der Menschen um mich herum, aber er zerstreut dieses Gefühl mit seinen Blicken und der witzigen Unterhaltung, bis er - recht unvermittelt - sagt: „Genug nun des Vorgeplänkels. Sie erlaubt mir gewiss, dass ich sie für diese Nacht zu meiner Gespielin mache?“ Es ist keine Frage, so wie er mich dabei ansieht, ist es eine Anweisung. Nicht zuletzt, weil ich möchte, dass es eine ist. Alex braucht nicht einmal seine Stimme zu erheben oder zu verdunkeln. Er braucht auch keine Augenbraue hochzuziehen.

Und ich? Ich brauche nur mit dem Kopf zu nicken. Also nicke ich mit dem Kopf.

„Als meine Gespielin erlaubt Sie mir gewiss, Ihren Rock hochzuziehen und Ihr“, er hält kurz inne, „den blanken Hintern zu versohlen?“

Wieder nicke ich. Besser, man hat im Vorfeld alles geklärt.

Mir wird ganz heiß.

Nachdem der Tanz beendet ist, gehen wir zurück an den Tisch. Alex nimmt die Schatulle an sich, in der die Flöte nach meiner musikalischen Reise ins Zeitalter der Rockmusik wieder verwahrt ist, verabschiedet sich mit einem Kopfnicken von der Tafelrunde und von seinen beiden Offizieren mit den Worten: „Nun seid mal ordentliche Flegels!“

Wir gehen die Treppe nach oben, biegen dort angekommen in den meinem Zimmer gegenüberliegenden Schlossflügel. Etwa in der Mitte des breiten, hier mit dicken Teppichen ausgelegten Ganges hält Alex an und öffnet eine Tür. Ehre, wem Ehre gebührt und dem Ehrengast gebührt ein Zimmer, das sich von meinem in einem nicht unwesentlichen Punkt unterscheidet. Es hat ein Bett. Und auf einer Art Sidebord ohne Schubladen steht eine Karaffe Wein, nicht lediglich Wasser. Und größer ist es, drei breite doppelflügelige Fenster gehen in Richtung Schlosspark und bieten einen sagenhaften Blick. Die Laternen und Lampions durchbrechen das Dunkel der Nacht, die inzwischen hereingebrochen ist. Einige Lampions schwimmen auf dem Gartenteich und spiegeln sich darin. Es ist beinahe unfassbar ruhig. Kein Fluglärm ist zu hören, keine S-Bahn, keine laut schwatzenden Nachtschwärmer, keine aufheulenden Motoren, nichts von den Alltagsgeräuschen, die mein Stadtleben begleiten. Stattdessen klingt gedämpft das Gemurmel der Gäste aus dem Garten nach oben, mal ein lustvoller Seufzer, dann ein dezentes Klatschen.

Auf verschiedenen, steinernen Bänken sehe ich Paare, die sich miteinander vergnügen, vollkommen in sich selbst versunken, ungeniert.

Hinter einer Hecke entdecke ich zwei spielende Frauen und traue meinen Augen nicht: Marie führt an einer Leine die Comtesse über den Rasen, dirigiert sie nach links und nach rechts.

Alex hat sich neben mich gestellt und deutet auf eine der Bänke. „Schau Sie sich den Gebhard an, diesen tüchtigen Schlingel, hat er sich gleich zwei Damen geschnappt.“ Der Offizier reibt seinen Hinterkopf zwischen den aus dem Mieder gerutschten Brüsten einer Frau. Sie sind üppig und leuchten in der Dunkelheit wie die Lampions. Eine andere Frau kniet vor ihm und verwöhnt ihn mit dem Mund.

„Ist Sie mir gefolgt, um nur zu schauen oder ist Sie nun auch parat, selbst zu tun?“ Alex hat von dem Wein eingeschenkt, reicht mir eines der beiden Gläser und prostet mir zu. Aus seinen blauen Augen spricht eine sehr gezielte Erwartung. „Wenn Du mich so anschaust, wird mir alles andre egal.“ Blaue Augen. Das Lied von Ideal kommt mir in den Sinn. “Deine blauen Augen sind phänomenal, kaum zu glauben, was ich dann so fühle, ist nicht mehr normal.“ Das ist es sicher nicht, jedenfalls nicht in den Augen der meisten Leute, nehme ich an. Interessiert mich nicht, mich interessieren nur seine Augen, das, was aus ihnen spricht: Gier. Das, was sie in mir wecken: Gier.

Ich möchte nicht nur schauen, ich möchte tun. Ich möchte die Spuren, die seine Hiebe auf meinen Körper zeichnen, dort noch wenigstens drei Tage sehen können und fühlen. Ich lechze dem Schmerz förmlich entgegen, um in den Hieben mich zu spüren und meine Geilheit. Ich lasse meinen Blick über seine Schultern hinweg durch den Raum schweifen auf der Suche nach den geeigneten Instrumenten, kann aber nichts entdecken.

Wenn er nicht bald anfängt, drehe ich durch und dränge mich ihm deshalb vorsichtig entgegen. Ich brauche heute kein Vorspiel, der Sinn steht mir nicht nach dominanter Behandlung und devoten Gesten. Das funktioniert bei mir nur, wenn ich meinen Spielpartner besser kenne. Und nur, wenn die Ausschüttung von Botenstoffen in meinem Körper mir den Verstand noch nicht weggespült hat. Das Thema ist durch, spätestens als Alex mit zärtlichen Händen mein Gesicht berührt, meinen Hals streift und mein Dekolleté. Er schiebt mich zu einem Tisch vor dem zweiten geöffneten Fester. Darauf sehe ich nun ein paar schmale, lange Zweige, die ich ungläubig betrachte. Sollen das die Spankinggerätschaften sein? Keine Paddles und Peitschen? Kein Rohrstock?

 „Mein Profos hat so viele Ruten fertigen lassen“, erklärt Alex verschmitzt und mit eindeutig belegter Stimme, „dass ich einige davon zum persönlichen Gebrauch habe abzweigen können. Für meine Zwecke habe ich sie mir durch meine Dienerschaft kürzen lassen.“ Er deutet mir an, mich mit den Armen auf dem Tisch abzustützen - endlich! - und nach vorne zu beugen. Schicht für Schicht arbeitet er sich durch meine Röcke und legt meinen Hintern frei. Zunächst spüre ich die frische Luft dort, die durch das geöffnete Fenster hereinkommt. Dann fummelt Alex den Stringtanga aus meiner Poritze und zieht daran. Er lässt sich trotz seines Elasthananteils nicht unbegrenzt dehnen und landet mit einem saftigen Schnalzer zurück auf meinem Hintern. Das macht er gleich noch einmal und noch einmal, beugt sich über mich und lächelt. „Welch ein vergnügliches Dessous, Ihr Schneider, oder wer sonst dergleichen gefertigt hat, muss wirklich ein Teufelskerl sein!“

Er verwahrt den String wieder an seinem Platz und befingert meine Ritze noch eine Weile. Ich beginne mich unter seinen Händen zu winden, meine Atmung und mein Puls beschleunigen sich. Er wird doch wohl nicht?! Ich bin ihm gefolgt, weil er meinen Hintern versohlen wollte, und auf eine After Show Party überhaupt nicht vorbereitet. Meine Irritation legt sich, als Alex seine Hände von mir wegnimmt. Nun nestelt er an etwas anderem herum, vielleicht an seiner Hose? Hoffentlich! Ich bin immer sehr gespannt, was die Kerls so aus ihren Büxen holen: Kurz und dick? Lang und eher dünn? Beschnitten oder nicht? Was ich für einen Augenblick auf meinem Hintern fühle, während Alex sich über mich nach einer der Ruten beugt, erscheint jedenfalls vielversprechend und sehr bereit. Unwillkürlich stöhne ich auf.

„Sie wird sich nun zu entscheiden haben, zwischen dieser Rute“, ein schneidendes Geräusch durchbricht die Stille, „und jener“, er kiekst mich mit der Spitze seines Schwanzes an den Hintern.

Ich will beides und sage das auch. Alex lacht auf, vor Lust keuchend.

„Wo immer Sie herkommt mit Ihren unerhört vorlauten Forderungen, wer immer Sie eingeladen hat, Sie scheint mir ein rechtes Luder zu sein, dessen Betragen eine treffende Behandlung redlich verdient.“

 

**

Vorsichtig, um Konstanze nicht zu wecken, verlässt er im Morgengrauen das Bett. Übernächtigt zwar, aber auch aufgekratzt und fröhlich. Beim Einsammeln seiner Kleidung betrachtet er sie versonnen, seine Gespielin der zurückliegenden Nacht. Zärtlich zeichnet er die Striemen auf ihrem Hintern nach, die die Rute hinterlassen hat.

Er war erstaunt und entzückt von dem, was sie ausgehalten und was sie gefordert hatte. Zwischen den Lustschreien rief sie immer wieder „Mehr!“ und „Fester!“ und seine Erregung stieg ins Unermessliche.

Eine Frau, die ihre eigene Lust so auslebt und sich weder in Gesellschaft noch in der Zurückgezogenheit eines privaten Zimmers hinter höfischem Gehabe und verlogener Sittsamkeit versteckt, wusste ihm sehr zu gefallen. Eine Frau, die den Schmerz voller Freude bejaht, nahm ihm in dieser Nacht die Sorge, die ihn bislang gequält hatte, wenn er seine eigene Lust besah. Geschämt hatte er sich dieser Lust, die er empfand, wenn er Hiebe auf einen blanken Frauenhintern platzierte, und konnte doch nicht ablassen von ihr. Geängstigt hatte ihn diese Lust. Und aus Scham und Angst wuchs eben diese Sorge, die Konstanze ihm genommen hatte. Die Sorge, dass er sein könne wie sein Vater.

Gerade als er sich endgültig von ihr abwenden will, bleibt sein Blick an einer dunklen Stelle in ihrem Nacken hängen. Buchstaben? Sachte hebt er ihr Haar an. Es sind Buchstaben, tatsächlich. Gestochen scharf zeichnen sie sich auf ihrer ungewöhnlich gebräunten Haut ab.

Sans,souci. Welch wunderbare Worte. Wie passend an diesem Morgen, nach dieser Nacht. Eines Tages werde ich mir ein kleines Schloss bauen. Nicht, um gekrönte Häupter zu beeindrucken. Ein Schloss nur für mich, meine Bücher, meine Musik, meine liebsten Freunde. Einen Ort ohne höfisches Gehabe und verlogene Sittsamkeit. Ein Ort ohne Sorge, und so soll er heißen. Sans,souci.

 

***

Liedzeilen aus „Blaue Augen“ von Ideal, getextet von Annette Humpe.

 

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Kommentare von Leserinnen und Lesern

Gelöscht.

02.12.2018 um 07:59 Uhr

Und, kommt sie zurück? Bleibt sie dort? Was ist nun mit den Condomen?

 

So viele Fragen. Mehr davon

19.11.2018 um 15:15 Uhr

Eine ganz reizende Zeitreise hat sie da beschrieben! Die Mischung der sprachlichen Unterschiede. Die Fragezeichen in der jeweils anderen Person beim Nichtverstehen.

Bloß wie kommt die Konstanze zurück? Und der arme Rentner!!

Gelöscht.

12.07.2016 um 23:41 Uhr

Gute Geschichte

Gelöscht.

04.02.2016 um 03:29 Uhr

Sehr einfühlsam geschrieben.

Gelöscht.

08.09.2015 um 00:18 Uhr

Fantastisch! Ganz mein Ding. Wunderbare Idee super umgesetzt. Es war eine Freude diese Geschichte zu lesen

Danke

Meister Y

Autor. Förderer.

25.07.2015 um 18:13 Uhr

Was für eine wunderbare Idee. Eine Geschichte, die Geschichte (be)schreibt. Toll erzählt und vor allem in der Sprache klasse umgesetzt. Wäre es nicht schön, zu wissen wie es damals tatsächlich war? Oder wissen wir es jetzt?

Eine klitzekleine Kritk sei mir gestattet. Der 75' jährige Autofahrer hätte erlöst gehört. Wahrscheinlich macht er sich noch heute Gedanken .

eileen

Profil unsichtbar.

01.06.2015 um 22:37 Uhr

Was ich bei deinen Geschichten so toll finde, ist die Atmosphäre, die du schaffst. Du erzählst die Geschichten nicht nur, sondern machst sie lebendig, so auch diesen Text. Danke für diese spannende, unterhaltsame und anregende Zeitreise, es hat solchen Spaß gemacht, sie zu lesen.

28.10.2014 um 20:41 Uhr

Danke, hat mir sehr gefallen!!

Gelöscht.

10.10.2014 um 19:12 Uhr

Tolle Sprache, interessantes Ambiente. Hatte viel Freude beim Lesen.

Danke!

Gelöscht.

30.09.2014 um 18:27 Uhr

Klasse Idee

Berücksichtigt wurden nur die letzten Kommentare.

Zu allen Beiträgen im Forum zu dieser Veröffentlichung.

 

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